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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Spanier bewies die Richtigkeit und Ausführbarkeit dieses Planes. Für diesen
Krieg am geeignetsten waren die unweit Oestreichs im und am Gebirge ge-
legenen Festungen, auf diese war deshalb die größte Sorgfalt gewandt, man
hatte ihnen in einem Gesinnungsgenossen, dem Obersten Graf Götzen einen
besondern Vorgesetzten gegeben, der selbständig und ohne Wissen des unzuver¬
lässigen und französisch gesinnten commandirenden Generals in Schlesien,
Grawert, nicht nur die Armirung und Verproviantirung der Festungen leitete,
sondern auch die Verbindung mit dem Lande und mit Oestreich unterhielt.
Als nun Stein am 24. November 1808 fiel und man dadurch die Leitung der
Regierung verlor, glaubten Scharnhorst und Gneisenau sich ferner außer Stande
in dem bisherigen Sinne zu wirken und erbaten vom Könige ihre Verabschiedung.
Der König lehnte diese Gesuche aber in so anerkennender und in Anspruch
nehmender Weise ab, daß sie nickt umhin konnten zu bleiben. Ihre Bestrebungen
geriethen zwar zunächst ins Stocken, aber bald mußten sich die neuen Minister,
zumal der Finanzminister Altenstein überzeugen, daß der Staat nur durch einen
Krieg gerettet werden konnte, weil er die von den Franzosen nicht nur im
Frieden von Tilsit auferlegten, sondern fortwährend erhöhten und erneuerten
Lasten und Contributionen nicht zu tragen vermochte. Jeder Versuch, durch
Unterhandlungen einen Nachlaß dieses Drucks herbeizuführen, ergab sich als
erfolglos, und es erschien geboten, durch einen letzten Kampf zu versuchen, ob
man den Dränger nicht abschütteln könnte, und die irgend disponibel zu machenden
Mittel lieber gegen die Franzosen zu verwenden, als durch Auslieferung der¬
selben deren Kräfte zu erhöhen. Diese Anschauung wurde wesentlich unterstützt
durch die ersten Erfolge der spanischen Revolution und durch die Entschiedenheit,
mit welcher Oestreich seine Rüstungen zu einem erneuten Ringen mit Napoleon
betrieb. -- Wie Gneisenau und seine Gesinnungsgenossen in diesen Tagen vor¬
wärts trieben, endlich aber scheiterten, verdient zur Charakterisirung der Männer
und Zeiten eine eingehendere Behandlung.

Wie sehr Land und Volk zu einem Kampf angeregt und vorbereitet war,
geht aus einem Bericht des in Schlesien commandirenden Graf Götzen hervor,
den er kurz vor Steins Abschied an diesen erstattete und der hier im Auszuge
folgt: "Bei meiner Ankunft hier fand ich mehre Verbindungen, die meist von
einander unabhängig waren. Die erste ging von der dresdner Loge aus; sie
wirkte auf weitaussehende Plane. Die zweite war durch unvollständige Winke
von Königsberg her entstanden. In ihren Unterabtheilungen wollten sie augen¬
blicklichen Aufstand, mehr Massacre als militärische Operation. Die dritte war
ein Anhang, den sich der Herzog von Oels gebildet, mit Parteigängerplanen
und unvollständigen Mitteln. Die vierte unter einem Graf Broeskow. der
früher im hirschfeldschen Corps gestanden, ein Mann von vielem Talent. Sein
Anfang war klein, seine Pläne in der Hauptsache auf England gestützt, und er


Spanier bewies die Richtigkeit und Ausführbarkeit dieses Planes. Für diesen
Krieg am geeignetsten waren die unweit Oestreichs im und am Gebirge ge-
legenen Festungen, auf diese war deshalb die größte Sorgfalt gewandt, man
hatte ihnen in einem Gesinnungsgenossen, dem Obersten Graf Götzen einen
besondern Vorgesetzten gegeben, der selbständig und ohne Wissen des unzuver¬
lässigen und französisch gesinnten commandirenden Generals in Schlesien,
Grawert, nicht nur die Armirung und Verproviantirung der Festungen leitete,
sondern auch die Verbindung mit dem Lande und mit Oestreich unterhielt.
Als nun Stein am 24. November 1808 fiel und man dadurch die Leitung der
Regierung verlor, glaubten Scharnhorst und Gneisenau sich ferner außer Stande
in dem bisherigen Sinne zu wirken und erbaten vom Könige ihre Verabschiedung.
Der König lehnte diese Gesuche aber in so anerkennender und in Anspruch
nehmender Weise ab, daß sie nickt umhin konnten zu bleiben. Ihre Bestrebungen
geriethen zwar zunächst ins Stocken, aber bald mußten sich die neuen Minister,
zumal der Finanzminister Altenstein überzeugen, daß der Staat nur durch einen
Krieg gerettet werden konnte, weil er die von den Franzosen nicht nur im
Frieden von Tilsit auferlegten, sondern fortwährend erhöhten und erneuerten
Lasten und Contributionen nicht zu tragen vermochte. Jeder Versuch, durch
Unterhandlungen einen Nachlaß dieses Drucks herbeizuführen, ergab sich als
erfolglos, und es erschien geboten, durch einen letzten Kampf zu versuchen, ob
man den Dränger nicht abschütteln könnte, und die irgend disponibel zu machenden
Mittel lieber gegen die Franzosen zu verwenden, als durch Auslieferung der¬
selben deren Kräfte zu erhöhen. Diese Anschauung wurde wesentlich unterstützt
durch die ersten Erfolge der spanischen Revolution und durch die Entschiedenheit,
mit welcher Oestreich seine Rüstungen zu einem erneuten Ringen mit Napoleon
betrieb. — Wie Gneisenau und seine Gesinnungsgenossen in diesen Tagen vor¬
wärts trieben, endlich aber scheiterten, verdient zur Charakterisirung der Männer
und Zeiten eine eingehendere Behandlung.

Wie sehr Land und Volk zu einem Kampf angeregt und vorbereitet war,
geht aus einem Bericht des in Schlesien commandirenden Graf Götzen hervor,
den er kurz vor Steins Abschied an diesen erstattete und der hier im Auszuge
folgt: „Bei meiner Ankunft hier fand ich mehre Verbindungen, die meist von
einander unabhängig waren. Die erste ging von der dresdner Loge aus; sie
wirkte auf weitaussehende Plane. Die zweite war durch unvollständige Winke
von Königsberg her entstanden. In ihren Unterabtheilungen wollten sie augen¬
blicklichen Aufstand, mehr Massacre als militärische Operation. Die dritte war
ein Anhang, den sich der Herzog von Oels gebildet, mit Parteigängerplanen
und unvollständigen Mitteln. Die vierte unter einem Graf Broeskow. der
früher im hirschfeldschen Corps gestanden, ein Mann von vielem Talent. Sein
Anfang war klein, seine Pläne in der Hauptsache auf England gestützt, und er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/210>, abgerufen am 11.06.2024.