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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Neubelebung der deutschen Poesie sehr zu Statten. Während sie insbesondre
die Form seines Dichtens bestimmten, waren die Lehrstunden, in denen die
Evangelien synoptisch gelesen, auch alttestamentliche Stücke erklärt wurden, für
die Wahl des Stoffes zu seinem Epos von Bedeutung. Neben den Uebungen
im Schreiben der lateinischen und griechischen Prosa nahmen auf der alten
Fürstenschule an der Saale auch die poetischen eine wichtige Stelle ein. Man
machte lateinische und griechische Berse und Gedichte in allen Arten und For¬
men, und auch die deutsche Poesie fand eifrige Pflege. Waren es doch die
Jahre, da Haller und Hagedorn in schönster Blüthe standen und der Streit
zwischen Gottsched und den Zürcher" die Fragen über Wesen und Aufgabe der
Dichtkunst zum Tagesgespräch machte.

Es gab damals allerlei angehende Dichter in der damaligen Pforte.
Fabeln allerdings machte, so sehr sie Mode waren, nur ein Schüler, Namens
Böhme. Desto fleißiger wurde das Schäfergedicht cultivirt: neben einem dori¬
schen . und einem lateinischen Bukoliker nennt die Quelle, aus der.Strauß
schöpft, in einem gewissen Wüstemann auch einen deutschen; Klopstock aber, so
heißt es da, liefere in allen drei Sprachen wohlgelungene Idyllen. Er kenne
die Natur dieser Dichtungsart und schildere seine Schäfer und Schäferinnen nach
ihrer glückseligen Ruhe und Zufriedenheit anmuthig ab. In der Beschreibung
ihrer unschuldigen Liebe sei er am vortrefflichsten; die Ausführung gerathe ihm
bisweilen zu umständlich. Auch Ode und Lied, und zwar das anakreontische
wie das geistliche, wurden gepflegt. Unter den Odendichtern wird dann aber¬
mals auch jener Wüstemann genannt, und zwar wird ihm eine finstre ungeord¬
nete Einbildungskraft zugeschrieben, während von Klopstock natürliche Zärtlich¬
keit der Gedanken, glücklicher Reichthum an neuen Bildern, vollständige
Ausführung und insbesondere von seinen Bußliedern rührende Zärtlichkeit ge¬
rühmt wird. Ueberhaupt zeigen nach dieser Quelle, den Briefen eines gewissen
Janozki. der ein Mitschüler Klopstocks war, die Gedichte des jungen quedlin¬
burger Poeten eine stille und gesetzte Majestät; hitzige und außerordentliche
Leidenschaften erregen sie nicht, nehmen aber das Gemüth mit einer süßen
Regung ein. Auch sonst muß Klopstock dem Verfasser dieser Briefe als ein
bedeutender Mensch erschienen sein. Namentlich glaubt er ihn von einer wahren
Neigung zur Weltweisheit erfüllt. Seine Frömmigkeit findet er echt und un-
geheuchelt. "In seinen Sitten," sagt er, "ist Einfalt und Unschuld, in den
Unterredungen Freundlichkeit und Vorsichtigkeit. Aufrichtige Freunde liebet er
treu; den Neidern begegnet er mit Großmuth. Er lebt gern in der Einsamkeit.
An den Orten, wo er die Werke und Wunder Gottes in der Natur betrachten
kann, ist er am liebsten. Gewöhnliche Lustbarkeiten siehet er ganz gleichgiltig
an. Er bleibet allzeit gelassen und vergnügt." Die Sprachen, berichtet Janozki.
liebe er zwar, halte sie aber für keinen Theil der Gelehrsamkeit -- gewiß eine


Neubelebung der deutschen Poesie sehr zu Statten. Während sie insbesondre
die Form seines Dichtens bestimmten, waren die Lehrstunden, in denen die
Evangelien synoptisch gelesen, auch alttestamentliche Stücke erklärt wurden, für
die Wahl des Stoffes zu seinem Epos von Bedeutung. Neben den Uebungen
im Schreiben der lateinischen und griechischen Prosa nahmen auf der alten
Fürstenschule an der Saale auch die poetischen eine wichtige Stelle ein. Man
machte lateinische und griechische Berse und Gedichte in allen Arten und For¬
men, und auch die deutsche Poesie fand eifrige Pflege. Waren es doch die
Jahre, da Haller und Hagedorn in schönster Blüthe standen und der Streit
zwischen Gottsched und den Zürcher» die Fragen über Wesen und Aufgabe der
Dichtkunst zum Tagesgespräch machte.

Es gab damals allerlei angehende Dichter in der damaligen Pforte.
Fabeln allerdings machte, so sehr sie Mode waren, nur ein Schüler, Namens
Böhme. Desto fleißiger wurde das Schäfergedicht cultivirt: neben einem dori¬
schen . und einem lateinischen Bukoliker nennt die Quelle, aus der.Strauß
schöpft, in einem gewissen Wüstemann auch einen deutschen; Klopstock aber, so
heißt es da, liefere in allen drei Sprachen wohlgelungene Idyllen. Er kenne
die Natur dieser Dichtungsart und schildere seine Schäfer und Schäferinnen nach
ihrer glückseligen Ruhe und Zufriedenheit anmuthig ab. In der Beschreibung
ihrer unschuldigen Liebe sei er am vortrefflichsten; die Ausführung gerathe ihm
bisweilen zu umständlich. Auch Ode und Lied, und zwar das anakreontische
wie das geistliche, wurden gepflegt. Unter den Odendichtern wird dann aber¬
mals auch jener Wüstemann genannt, und zwar wird ihm eine finstre ungeord¬
nete Einbildungskraft zugeschrieben, während von Klopstock natürliche Zärtlich¬
keit der Gedanken, glücklicher Reichthum an neuen Bildern, vollständige
Ausführung und insbesondere von seinen Bußliedern rührende Zärtlichkeit ge¬
rühmt wird. Ueberhaupt zeigen nach dieser Quelle, den Briefen eines gewissen
Janozki. der ein Mitschüler Klopstocks war, die Gedichte des jungen quedlin¬
burger Poeten eine stille und gesetzte Majestät; hitzige und außerordentliche
Leidenschaften erregen sie nicht, nehmen aber das Gemüth mit einer süßen
Regung ein. Auch sonst muß Klopstock dem Verfasser dieser Briefe als ein
bedeutender Mensch erschienen sein. Namentlich glaubt er ihn von einer wahren
Neigung zur Weltweisheit erfüllt. Seine Frömmigkeit findet er echt und un-
geheuchelt. „In seinen Sitten," sagt er, „ist Einfalt und Unschuld, in den
Unterredungen Freundlichkeit und Vorsichtigkeit. Aufrichtige Freunde liebet er
treu; den Neidern begegnet er mit Großmuth. Er lebt gern in der Einsamkeit.
An den Orten, wo er die Werke und Wunder Gottes in der Natur betrachten
kann, ist er am liebsten. Gewöhnliche Lustbarkeiten siehet er ganz gleichgiltig
an. Er bleibet allzeit gelassen und vergnügt." Die Sprachen, berichtet Janozki.
liebe er zwar, halte sie aber für keinen Theil der Gelehrsamkeit — gewiß eine


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[0248] Neubelebung der deutschen Poesie sehr zu Statten. Während sie insbesondre die Form seines Dichtens bestimmten, waren die Lehrstunden, in denen die Evangelien synoptisch gelesen, auch alttestamentliche Stücke erklärt wurden, für die Wahl des Stoffes zu seinem Epos von Bedeutung. Neben den Uebungen im Schreiben der lateinischen und griechischen Prosa nahmen auf der alten Fürstenschule an der Saale auch die poetischen eine wichtige Stelle ein. Man machte lateinische und griechische Berse und Gedichte in allen Arten und For¬ men, und auch die deutsche Poesie fand eifrige Pflege. Waren es doch die Jahre, da Haller und Hagedorn in schönster Blüthe standen und der Streit zwischen Gottsched und den Zürcher» die Fragen über Wesen und Aufgabe der Dichtkunst zum Tagesgespräch machte. Es gab damals allerlei angehende Dichter in der damaligen Pforte. Fabeln allerdings machte, so sehr sie Mode waren, nur ein Schüler, Namens Böhme. Desto fleißiger wurde das Schäfergedicht cultivirt: neben einem dori¬ schen . und einem lateinischen Bukoliker nennt die Quelle, aus der.Strauß schöpft, in einem gewissen Wüstemann auch einen deutschen; Klopstock aber, so heißt es da, liefere in allen drei Sprachen wohlgelungene Idyllen. Er kenne die Natur dieser Dichtungsart und schildere seine Schäfer und Schäferinnen nach ihrer glückseligen Ruhe und Zufriedenheit anmuthig ab. In der Beschreibung ihrer unschuldigen Liebe sei er am vortrefflichsten; die Ausführung gerathe ihm bisweilen zu umständlich. Auch Ode und Lied, und zwar das anakreontische wie das geistliche, wurden gepflegt. Unter den Odendichtern wird dann aber¬ mals auch jener Wüstemann genannt, und zwar wird ihm eine finstre ungeord¬ nete Einbildungskraft zugeschrieben, während von Klopstock natürliche Zärtlich¬ keit der Gedanken, glücklicher Reichthum an neuen Bildern, vollständige Ausführung und insbesondere von seinen Bußliedern rührende Zärtlichkeit ge¬ rühmt wird. Ueberhaupt zeigen nach dieser Quelle, den Briefen eines gewissen Janozki. der ein Mitschüler Klopstocks war, die Gedichte des jungen quedlin¬ burger Poeten eine stille und gesetzte Majestät; hitzige und außerordentliche Leidenschaften erregen sie nicht, nehmen aber das Gemüth mit einer süßen Regung ein. Auch sonst muß Klopstock dem Verfasser dieser Briefe als ein bedeutender Mensch erschienen sein. Namentlich glaubt er ihn von einer wahren Neigung zur Weltweisheit erfüllt. Seine Frömmigkeit findet er echt und un- geheuchelt. „In seinen Sitten," sagt er, „ist Einfalt und Unschuld, in den Unterredungen Freundlichkeit und Vorsichtigkeit. Aufrichtige Freunde liebet er treu; den Neidern begegnet er mit Großmuth. Er lebt gern in der Einsamkeit. An den Orten, wo er die Werke und Wunder Gottes in der Natur betrachten kann, ist er am liebsten. Gewöhnliche Lustbarkeiten siehet er ganz gleichgiltig an. Er bleibet allzeit gelassen und vergnügt." Die Sprachen, berichtet Janozki. liebe er zwar, halte sie aber für keinen Theil der Gelehrsamkeit — gewiß eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/248>, abgerufen am 05.06.2024.