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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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ganz unwerth des deutschen Namens, die heilige Unsterblichkeit erringen zu
wollen. Wie kühn waren unsere Vorfahren in den Waffen! ja auch wir noch
sind in der Philosophie, in den Wissenschaften überhaupt, nicht ohne Ruhm;
wir streben empor, selbst das stolze Ausland erkennt es an: nur die Dichtkunst
scheint bei uns dazu verurtheilt, von unwürdigen Händen berührt und am
Boden gehalten zu werden. Werfet mir nicht ein, wir haben doch Dichter, die
die sich über die Mittelmäßigkeit erheben: ich rede hier vom Heldengedicht, dem
höchsten Werk der Poesie, und ein solches hat von unsern Poeten noch keiner
geschaffen. Versuche sind gemacht, aber mißlungen: so gut das neue auf den
Sachsen Wittekind, als jenes alte aus den Kaiser Maximilian.

Hier führt der Redner den Vorwurf Eleazar Mauvillon's*) von dem Man¬
gel eines schöpferischen Geistes auf dem deutschen Parnaß mit dem Beisatz an,
das Schlimmste sei. daß der Mann nicht einmal Unrecht habe. Was nun aber
dagegen thun? Etwa abermals, wie schon öfter geschehen, mit vielem Wort¬
gepränge beweisen, daß es den Deutschen nicht an Geist fehle? Nein! "Durch
die That, durch ein großes und unsterbliches Werk, müssen wir zeigen, was
wir vermögen." Das möchte der Redner in einer Versammlung der ersten
deutschen Dichter aussprechen, und wie glücklich würde er sich schätzen, wenn
es ihm gelänge, den würdigsten derselben die Nöthe edler Scham über die lange
Vernachlässigung der Pflicht gegen des Vaterlands Ruhm in die Wangen zu
jagen! "Sollte jedoch vielleicht unter den jetzt blühenden deutschen Dichtern
derjenige noch nicht zu finden sein, welcher bestimmt ist, sein deutsches Vater¬
land mit diesem Ruhme zu schmücken: o, so brich an, du großer Tag, der uns
diesen Sänger schenken soll; nähere dich schneller, o Sonne, der zuerst ihn zu
schauen und mit freundlichem Antlitz zu bestrahlen vergönnt sein wird! Tugend
möge ihn, und mit der himmlischen Muse vereint, Weisheit auf zärtlichen
Armen wiegen! Vor seinen Augen erschließe sich der Natur ganzes Feld und
der anbetungswürdigen Religion Andern unzugängliche Höhe; selbst künftiger
Jahrhunderte Reihe bleibe ihm nicht ganz verhüllt und dunkel. Von diesen
Erzieherinnen werde er gebildet, der Menschheit, der Unsterblichkeit, Gottes selbst,
den er vornehmlich preisen soll, würdig."

"Du endlich," schließt er, "o Pforte, Nährerin und Augenzeugin dieser
Freundschaft, sei glücklich und pflege in zärtlichem Schooße diese deine Zöglinge.
Oft werde ich deines Namens mich anhänglich erinnern und dich als die Mutter
jenes Werkes, das ich in deinen Armen auszudenken angefangen, dankbar ver¬
ehren."

In dieser Rede ist besonders die Stelle, in welcher ihr Verfasser den künf¬
tigen Dichter, wie ihn Deutschland bedürfe, mithin, was seine den Zuhörern



') 1740 Lehrer am braunschweiger Carolinum,

ganz unwerth des deutschen Namens, die heilige Unsterblichkeit erringen zu
wollen. Wie kühn waren unsere Vorfahren in den Waffen! ja auch wir noch
sind in der Philosophie, in den Wissenschaften überhaupt, nicht ohne Ruhm;
wir streben empor, selbst das stolze Ausland erkennt es an: nur die Dichtkunst
scheint bei uns dazu verurtheilt, von unwürdigen Händen berührt und am
Boden gehalten zu werden. Werfet mir nicht ein, wir haben doch Dichter, die
die sich über die Mittelmäßigkeit erheben: ich rede hier vom Heldengedicht, dem
höchsten Werk der Poesie, und ein solches hat von unsern Poeten noch keiner
geschaffen. Versuche sind gemacht, aber mißlungen: so gut das neue auf den
Sachsen Wittekind, als jenes alte aus den Kaiser Maximilian.

Hier führt der Redner den Vorwurf Eleazar Mauvillon's*) von dem Man¬
gel eines schöpferischen Geistes auf dem deutschen Parnaß mit dem Beisatz an,
das Schlimmste sei. daß der Mann nicht einmal Unrecht habe. Was nun aber
dagegen thun? Etwa abermals, wie schon öfter geschehen, mit vielem Wort¬
gepränge beweisen, daß es den Deutschen nicht an Geist fehle? Nein! „Durch
die That, durch ein großes und unsterbliches Werk, müssen wir zeigen, was
wir vermögen." Das möchte der Redner in einer Versammlung der ersten
deutschen Dichter aussprechen, und wie glücklich würde er sich schätzen, wenn
es ihm gelänge, den würdigsten derselben die Nöthe edler Scham über die lange
Vernachlässigung der Pflicht gegen des Vaterlands Ruhm in die Wangen zu
jagen! „Sollte jedoch vielleicht unter den jetzt blühenden deutschen Dichtern
derjenige noch nicht zu finden sein, welcher bestimmt ist, sein deutsches Vater¬
land mit diesem Ruhme zu schmücken: o, so brich an, du großer Tag, der uns
diesen Sänger schenken soll; nähere dich schneller, o Sonne, der zuerst ihn zu
schauen und mit freundlichem Antlitz zu bestrahlen vergönnt sein wird! Tugend
möge ihn, und mit der himmlischen Muse vereint, Weisheit auf zärtlichen
Armen wiegen! Vor seinen Augen erschließe sich der Natur ganzes Feld und
der anbetungswürdigen Religion Andern unzugängliche Höhe; selbst künftiger
Jahrhunderte Reihe bleibe ihm nicht ganz verhüllt und dunkel. Von diesen
Erzieherinnen werde er gebildet, der Menschheit, der Unsterblichkeit, Gottes selbst,
den er vornehmlich preisen soll, würdig."

„Du endlich," schließt er, „o Pforte, Nährerin und Augenzeugin dieser
Freundschaft, sei glücklich und pflege in zärtlichem Schooße diese deine Zöglinge.
Oft werde ich deines Namens mich anhänglich erinnern und dich als die Mutter
jenes Werkes, das ich in deinen Armen auszudenken angefangen, dankbar ver¬
ehren."

In dieser Rede ist besonders die Stelle, in welcher ihr Verfasser den künf¬
tigen Dichter, wie ihn Deutschland bedürfe, mithin, was seine den Zuhörern



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[0251] ganz unwerth des deutschen Namens, die heilige Unsterblichkeit erringen zu wollen. Wie kühn waren unsere Vorfahren in den Waffen! ja auch wir noch sind in der Philosophie, in den Wissenschaften überhaupt, nicht ohne Ruhm; wir streben empor, selbst das stolze Ausland erkennt es an: nur die Dichtkunst scheint bei uns dazu verurtheilt, von unwürdigen Händen berührt und am Boden gehalten zu werden. Werfet mir nicht ein, wir haben doch Dichter, die die sich über die Mittelmäßigkeit erheben: ich rede hier vom Heldengedicht, dem höchsten Werk der Poesie, und ein solches hat von unsern Poeten noch keiner geschaffen. Versuche sind gemacht, aber mißlungen: so gut das neue auf den Sachsen Wittekind, als jenes alte aus den Kaiser Maximilian. Hier führt der Redner den Vorwurf Eleazar Mauvillon's*) von dem Man¬ gel eines schöpferischen Geistes auf dem deutschen Parnaß mit dem Beisatz an, das Schlimmste sei. daß der Mann nicht einmal Unrecht habe. Was nun aber dagegen thun? Etwa abermals, wie schon öfter geschehen, mit vielem Wort¬ gepränge beweisen, daß es den Deutschen nicht an Geist fehle? Nein! „Durch die That, durch ein großes und unsterbliches Werk, müssen wir zeigen, was wir vermögen." Das möchte der Redner in einer Versammlung der ersten deutschen Dichter aussprechen, und wie glücklich würde er sich schätzen, wenn es ihm gelänge, den würdigsten derselben die Nöthe edler Scham über die lange Vernachlässigung der Pflicht gegen des Vaterlands Ruhm in die Wangen zu jagen! „Sollte jedoch vielleicht unter den jetzt blühenden deutschen Dichtern derjenige noch nicht zu finden sein, welcher bestimmt ist, sein deutsches Vater¬ land mit diesem Ruhme zu schmücken: o, so brich an, du großer Tag, der uns diesen Sänger schenken soll; nähere dich schneller, o Sonne, der zuerst ihn zu schauen und mit freundlichem Antlitz zu bestrahlen vergönnt sein wird! Tugend möge ihn, und mit der himmlischen Muse vereint, Weisheit auf zärtlichen Armen wiegen! Vor seinen Augen erschließe sich der Natur ganzes Feld und der anbetungswürdigen Religion Andern unzugängliche Höhe; selbst künftiger Jahrhunderte Reihe bleibe ihm nicht ganz verhüllt und dunkel. Von diesen Erzieherinnen werde er gebildet, der Menschheit, der Unsterblichkeit, Gottes selbst, den er vornehmlich preisen soll, würdig." „Du endlich," schließt er, „o Pforte, Nährerin und Augenzeugin dieser Freundschaft, sei glücklich und pflege in zärtlichem Schooße diese deine Zöglinge. Oft werde ich deines Namens mich anhänglich erinnern und dich als die Mutter jenes Werkes, das ich in deinen Armen auszudenken angefangen, dankbar ver¬ ehren." In dieser Rede ist besonders die Stelle, in welcher ihr Verfasser den künf¬ tigen Dichter, wie ihn Deutschland bedürfe, mithin, was seine den Zuhörern ') 1740 Lehrer am braunschweiger Carolinum,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/251>, abgerufen am 16.05.2024.