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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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übermäßig, was ihm persönlich das Leben nicht einengt, und er verkennt in
seinem Zorn den Werth, welchen die ihm durch Preußen erworbenen und bis
jetzt gesicherten, sowie die neu angebotenen Güter für das deutsche Leben haben.
Für ihn giebt es nur eine richtige Politik: das Gute, das ihm von Preußen
geboten wird, unbefangen nach seinem Werth zu beurtheilen, das ihm Nützliche
anzunehmen. Die politische Aufregung wirft in Süddeutschland ihre Blasen
wie im Jahre 1848. Wenn man aber über dem Straßengeschrei, den Hetzereien
kleiner demokratischer Blätter und den explodirenden Kanonenschlägen die Mei¬
nung der Volksführer, wie sie sich in den Beschlüssen des Abgeordnetentages
kundgegeben hat, mustert, so wird man hinter den Concessionen, welche in den
Motiven der Zeitstimmung gemacht worden sind, die für Süddeutschland in
diesem Augenblick mögliche und richtige Auffassung der politischen Lage wür¬
digen. Denn die Aufgabe der nichtpreußischen Deutschen ist in diesem Augen¬
blick eine sehr große, und sie ist so zu formuliren:

1) Jeder soll dahin wirken, daß die außer Preußen und Oestreich im
deutschen Bund befindlichen Staaten von ihrer aggressiven Politik zurück
und zu neutraler Haltung geführt werden, damit der Krieg, wenn er dadurch
nicht ganz verhütet werden sollte, in seinen nachtheiligen Wirkungen beschränkt
und localisirt werde;

2) jeder soll dahin wirken, daß die preußischen Reformvorschläge, welche
durch ein aus Volkswahlen hervorgegangenes Parlament und durch Aenderung
des Abstimmungsmodus in einem künftigen Staatenhause des Bundes die
richtigen Grundlagen für alle weitere Entwickelung des deutschen Staats-
organismus geben, bei den Regierungen des Bundes bereitwillige Annahme
finden.

Wir meinen, daß der Deutsche, welcher nach diesen beiden Richtungen die
ihm mögliche Thätigkeit als Abgeordneter, Journalist, geachteter Bürger, ent¬
wickelt, grade alles Gute thut, was in der Gegenwart für den Einzelnen mög¬
lich ist. -- Die Entscheidung über Krieg oder Frieden steht jetzt bei den Gro߬
mächten des Bundes, und vielleicht auch nicht mehr bei diesen allein, sondern
bei den großen Mächten Europas.




übermäßig, was ihm persönlich das Leben nicht einengt, und er verkennt in
seinem Zorn den Werth, welchen die ihm durch Preußen erworbenen und bis
jetzt gesicherten, sowie die neu angebotenen Güter für das deutsche Leben haben.
Für ihn giebt es nur eine richtige Politik: das Gute, das ihm von Preußen
geboten wird, unbefangen nach seinem Werth zu beurtheilen, das ihm Nützliche
anzunehmen. Die politische Aufregung wirft in Süddeutschland ihre Blasen
wie im Jahre 1848. Wenn man aber über dem Straßengeschrei, den Hetzereien
kleiner demokratischer Blätter und den explodirenden Kanonenschlägen die Mei¬
nung der Volksführer, wie sie sich in den Beschlüssen des Abgeordnetentages
kundgegeben hat, mustert, so wird man hinter den Concessionen, welche in den
Motiven der Zeitstimmung gemacht worden sind, die für Süddeutschland in
diesem Augenblick mögliche und richtige Auffassung der politischen Lage wür¬
digen. Denn die Aufgabe der nichtpreußischen Deutschen ist in diesem Augen¬
blick eine sehr große, und sie ist so zu formuliren:

1) Jeder soll dahin wirken, daß die außer Preußen und Oestreich im
deutschen Bund befindlichen Staaten von ihrer aggressiven Politik zurück
und zu neutraler Haltung geführt werden, damit der Krieg, wenn er dadurch
nicht ganz verhütet werden sollte, in seinen nachtheiligen Wirkungen beschränkt
und localisirt werde;

2) jeder soll dahin wirken, daß die preußischen Reformvorschläge, welche
durch ein aus Volkswahlen hervorgegangenes Parlament und durch Aenderung
des Abstimmungsmodus in einem künftigen Staatenhause des Bundes die
richtigen Grundlagen für alle weitere Entwickelung des deutschen Staats-
organismus geben, bei den Regierungen des Bundes bereitwillige Annahme
finden.

Wir meinen, daß der Deutsche, welcher nach diesen beiden Richtungen die
ihm mögliche Thätigkeit als Abgeordneter, Journalist, geachteter Bürger, ent¬
wickelt, grade alles Gute thut, was in der Gegenwart für den Einzelnen mög¬
lich ist. — Die Entscheidung über Krieg oder Frieden steht jetzt bei den Gro߬
mächten des Bundes, und vielleicht auch nicht mehr bei diesen allein, sondern
bei den großen Mächten Europas.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/354>, abgerufen am 15.05.2024.