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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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nicht besser als die Mehrzahl der übrigen Fahrenden treiben und wie diese
mit ihren üblen Neigungen und Gewohnheiten den Derwischen des heutigen
Orients gleich, roh, verschlagen und bettelhaft, eine der schlimmsten Plagen des
platten Landes bilden. Nach Errichtung der Universitäten endlich kam zu den
verschiedenen Gattungen dieses schwärmenden Drohnenvolkes in dem fahrenden
Schüler noch eine weitere Variation.

Der fahrende Schüler, LoKolastieus vagans, auch Cerotan, ist in dieser
ältesten Zeit ein naher Verwandter des fahrenden Pfaffen. Wie dieser keines¬
wegs in allen Fällen die Weihen empfangen hatte, so wird auch jener durchaus
nicht immer ein wirklicher Gelehrter oder auch nur ein der Wissenschaft der
Universitäten Zugewandter gewesen sein. Was wir von dieser Classe der
fahrenden Leute wissen, unterscheidet sie von den übrigen nur in einigen Stücken.
Sie fügen zu dem grauen Rock, der die Vaganten bezeichnet, noch eine netz¬
artige gelbe Mütze und verstehen sich mit einigen geheimnißvollen Formeln, bis¬
weilen mit etwas Latein, vor dem Bauer ein höheres Ansehen zu geben als
die übrigen Mitglieder der Brüderschaft. Außerdem haben sie sich vorzüglich
auf die Industrie gelegt, welche den Aberglauben der Menge ausbeutet, und
entlocken dem leicht zu bethörenden Volke, besonders der Einfalt des weiblichen
Geschlechts, als Wahrsager und Traumdeuter, als Schatzgräber, Heilkünstler,
Besitzer von Zaubersprüchen, Verkäufer von Amuleten und Teufelsbanner allerlei
Gaben. Daneben sind sie häufig Bänkelsänger und Musikanten, weshalb wir
sie auch "Lyranten" genannt finden. Mitunter nähren sie sich zugleich als
Gaukler und Taschenspieler, und selbst das Possenreißer muß Brod gewinnen
helfen.

So die ältesten fahrenden Schüler, die wir genauer kennen: Johannes von
Nürnberg*) und Nikolaus, der Archipoeta, von denen jener seine Wanderungen
in deutschen, dieser die seinen in lateinischen gereimten Versen besungen hat.
Johannes macht noch wenig Anspruch, ein Gelehrter zu sein, der mit Univer¬
sitäten zu thun gehabt hat. Er ist ein umherschweifender Bauernpoet und
daneben ein Tausendkünstler, der allerlei Recepte aus dem Buch der Rocken-
Philosophie und verschiedentliche gute Rathschläge für Fährlichkeiten und Wünsche
des Alltagslebens feil hat und sich mit alledem bald wohl, bald übel durch
die Welt schlägt, in der er sich herumtreibt. Er lehrt seine Bauern das Feuer
besprechen, nützliche Kobolde anfertigen, das beliebte Zaubermittel der Gist-
morchel gewinnen, sich vor dem Blitz schützen, den Alp verbannen, geliebte
Personen zur Gegenliebe zwingen und was dergleichen Künste mehr sind. Dafür
wird er zuweilen reichlich beschenkt:



') Derselbe lebte um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, Vgl. Grimms Altdeutsche
Wälder 2, 49 ff

nicht besser als die Mehrzahl der übrigen Fahrenden treiben und wie diese
mit ihren üblen Neigungen und Gewohnheiten den Derwischen des heutigen
Orients gleich, roh, verschlagen und bettelhaft, eine der schlimmsten Plagen des
platten Landes bilden. Nach Errichtung der Universitäten endlich kam zu den
verschiedenen Gattungen dieses schwärmenden Drohnenvolkes in dem fahrenden
Schüler noch eine weitere Variation.

Der fahrende Schüler, LoKolastieus vagans, auch Cerotan, ist in dieser
ältesten Zeit ein naher Verwandter des fahrenden Pfaffen. Wie dieser keines¬
wegs in allen Fällen die Weihen empfangen hatte, so wird auch jener durchaus
nicht immer ein wirklicher Gelehrter oder auch nur ein der Wissenschaft der
Universitäten Zugewandter gewesen sein. Was wir von dieser Classe der
fahrenden Leute wissen, unterscheidet sie von den übrigen nur in einigen Stücken.
Sie fügen zu dem grauen Rock, der die Vaganten bezeichnet, noch eine netz¬
artige gelbe Mütze und verstehen sich mit einigen geheimnißvollen Formeln, bis¬
weilen mit etwas Latein, vor dem Bauer ein höheres Ansehen zu geben als
die übrigen Mitglieder der Brüderschaft. Außerdem haben sie sich vorzüglich
auf die Industrie gelegt, welche den Aberglauben der Menge ausbeutet, und
entlocken dem leicht zu bethörenden Volke, besonders der Einfalt des weiblichen
Geschlechts, als Wahrsager und Traumdeuter, als Schatzgräber, Heilkünstler,
Besitzer von Zaubersprüchen, Verkäufer von Amuleten und Teufelsbanner allerlei
Gaben. Daneben sind sie häufig Bänkelsänger und Musikanten, weshalb wir
sie auch „Lyranten" genannt finden. Mitunter nähren sie sich zugleich als
Gaukler und Taschenspieler, und selbst das Possenreißer muß Brod gewinnen
helfen.

So die ältesten fahrenden Schüler, die wir genauer kennen: Johannes von
Nürnberg*) und Nikolaus, der Archipoeta, von denen jener seine Wanderungen
in deutschen, dieser die seinen in lateinischen gereimten Versen besungen hat.
Johannes macht noch wenig Anspruch, ein Gelehrter zu sein, der mit Univer¬
sitäten zu thun gehabt hat. Er ist ein umherschweifender Bauernpoet und
daneben ein Tausendkünstler, der allerlei Recepte aus dem Buch der Rocken-
Philosophie und verschiedentliche gute Rathschläge für Fährlichkeiten und Wünsche
des Alltagslebens feil hat und sich mit alledem bald wohl, bald übel durch
die Welt schlägt, in der er sich herumtreibt. Er lehrt seine Bauern das Feuer
besprechen, nützliche Kobolde anfertigen, das beliebte Zaubermittel der Gist-
morchel gewinnen, sich vor dem Blitz schützen, den Alp verbannen, geliebte
Personen zur Gegenliebe zwingen und was dergleichen Künste mehr sind. Dafür
wird er zuweilen reichlich beschenkt:



') Derselbe lebte um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, Vgl. Grimms Altdeutsche
Wälder 2, 49 ff
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/362>, abgerufen am 16.05.2024.