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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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schreien mit allen Stimmen." Sie lassen sich ferner mit allerlei artigen Lie¬
dern, z. B. .Ich fuhr wohl übern Rhein", "Nachbar, Gott geb' euch einen
guten Tag", "Lovuw Viuum post Nartirmm", "Ein Hirsch sprung aus dem
Brunnen", "He seit den Berkenmever wohl an syne Mund", "Der tolle Hund",
"Es fuhr ein Bauer ins Holz", "Der Kuckuk auf dem Zaune", "LaeeKus no-
diseum et euiri suo äolio", "Hänsclein, mein Brüderlein" vernehmen, "welches
dann hö lieblich zu hören, daß einem die Ohren wehe thun, daS Gesicht ver¬
gehen und das Leder davon zerbersten möchte." Sie beginnen zu disputiren
"von dem Lote und nov ZZute, Von dem Düte (Zuiättitativv und dessen Ro-
tiollibus xrimis et seeunäis und was des subtilen Gebäcks mehr ist", wobei
sich besonders die Füchse hervorthun, die dazu "die kleinen neulich gewachsenen
Zweigbartspihchen mit den Fingern artig hin und herstreichen", und deren
"wäschbaftige Paralogismen" von den älteren Commilitonen "oftmals mit
starken und jwohlgegründeten Ohrfeigen artificiose widerlegt werden." "Ihrer
viel haben auch den Brauch, daß sie. wenn sie wohl bezecht sind, Fenster aus¬
schlagen, Tische und Bänke in Stücken brechen und dergleichen mehr. Ja eS
hat uns unser lieber Getreuer, der Pedell berichtet, daß sie wohl die Oefen
stürmen und die zerbrochnen Kacheln hernach zu den Fenstern hinaus werfen."

Genug nun hiermit. Erfreulich ist, daß der Verfasser einmal auch an¬
deutet, eS könne einer auch wohl "viele Jahre lang auf der Universität zuge¬
bracht und so stetig und fleißig seines Studirens abgewartet haben, daß er
dergleichen Saufgelage zu besuchen keine Gelegenheit und Zeit gehabt." Viel-
leicht ebenso viele freilich werden es wie jener tolle Student getrieben haben,
der*) von Helmstädt relegirt werden mußte, "weil er in zwei Jahren nichts ge¬
than als Gesäufeden obzuliegen, ita ut stuxorsm yuöväarli was traxisss
viäektur." Ein leidiger Trost für die Eltern solcher Musensöhne war es, daß
sich selbst manche Fürsten durch wüstes Zechen in einen gewissen Blödsinn hinein¬
tranken, wie z. B. Kurfürst Christian der Zweite von Sachsen, den man den
"merseburger Bierkönig" nannte, und auf welchen man**) den im "Kaufmann
von Venedig" als Freier der Porzia erwähnten Neffen des Herzogs von Sach¬
sen gedeutet hat. Auf die Frage der Nerissa. wie ihr der junge Deutsche ge¬
falle, erwidert Porzia bekanntlich:

"Sehr abscheulich deS Morgens, wenn er nüchtern ist, und höchst abscheu¬
lich des Nachmittags, wenn er betrunken ist. Wenn er am besten ist, so ist
er ein wenig schlechter als ein Mensch, und wenn er am schlimmsten ist. wenig
besser als ein Vieh. Alles lieber, Nerissa, als einen Schwamm heirathen."






") Vgl. Tholuck, Das akademische Leben des 17. Jahrhunderts. Hülle, 1364.
") Vgl. Deutscher Trunk, Kulturhistorische Skizzen. Leipzig, H. Härtung. 1863.
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schreien mit allen Stimmen." Sie lassen sich ferner mit allerlei artigen Lie¬
dern, z. B. .Ich fuhr wohl übern Rhein", „Nachbar, Gott geb' euch einen
guten Tag", „Lovuw Viuum post Nartirmm", „Ein Hirsch sprung aus dem
Brunnen", „He seit den Berkenmever wohl an syne Mund", „Der tolle Hund",
„Es fuhr ein Bauer ins Holz", „Der Kuckuk auf dem Zaune", „LaeeKus no-
diseum et euiri suo äolio", „Hänsclein, mein Brüderlein" vernehmen, „welches
dann hö lieblich zu hören, daß einem die Ohren wehe thun, daS Gesicht ver¬
gehen und das Leder davon zerbersten möchte." Sie beginnen zu disputiren
„von dem Lote und nov ZZute, Von dem Düte (Zuiättitativv und dessen Ro-
tiollibus xrimis et seeunäis und was des subtilen Gebäcks mehr ist", wobei
sich besonders die Füchse hervorthun, die dazu „die kleinen neulich gewachsenen
Zweigbartspihchen mit den Fingern artig hin und herstreichen", und deren
„wäschbaftige Paralogismen" von den älteren Commilitonen „oftmals mit
starken und jwohlgegründeten Ohrfeigen artificiose widerlegt werden." „Ihrer
viel haben auch den Brauch, daß sie. wenn sie wohl bezecht sind, Fenster aus¬
schlagen, Tische und Bänke in Stücken brechen und dergleichen mehr. Ja eS
hat uns unser lieber Getreuer, der Pedell berichtet, daß sie wohl die Oefen
stürmen und die zerbrochnen Kacheln hernach zu den Fenstern hinaus werfen."

Genug nun hiermit. Erfreulich ist, daß der Verfasser einmal auch an¬
deutet, eS könne einer auch wohl „viele Jahre lang auf der Universität zuge¬
bracht und so stetig und fleißig seines Studirens abgewartet haben, daß er
dergleichen Saufgelage zu besuchen keine Gelegenheit und Zeit gehabt." Viel-
leicht ebenso viele freilich werden es wie jener tolle Student getrieben haben,
der*) von Helmstädt relegirt werden mußte, „weil er in zwei Jahren nichts ge¬
than als Gesäufeden obzuliegen, ita ut stuxorsm yuöväarli was traxisss
viäektur." Ein leidiger Trost für die Eltern solcher Musensöhne war es, daß
sich selbst manche Fürsten durch wüstes Zechen in einen gewissen Blödsinn hinein¬
tranken, wie z. B. Kurfürst Christian der Zweite von Sachsen, den man den
„merseburger Bierkönig" nannte, und auf welchen man**) den im „Kaufmann
von Venedig" als Freier der Porzia erwähnten Neffen des Herzogs von Sach¬
sen gedeutet hat. Auf die Frage der Nerissa. wie ihr der junge Deutsche ge¬
falle, erwidert Porzia bekanntlich:

„Sehr abscheulich deS Morgens, wenn er nüchtern ist, und höchst abscheu¬
lich des Nachmittags, wenn er betrunken ist. Wenn er am besten ist, so ist
er ein wenig schlechter als ein Mensch, und wenn er am schlimmsten ist. wenig
besser als ein Vieh. Alles lieber, Nerissa, als einen Schwamm heirathen."






") Vgl. Tholuck, Das akademische Leben des 17. Jahrhunderts. Hülle, 1364.
") Vgl. Deutscher Trunk, Kulturhistorische Skizzen. Leipzig, H. Härtung. 1863.
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[0381] schreien mit allen Stimmen." Sie lassen sich ferner mit allerlei artigen Lie¬ dern, z. B. .Ich fuhr wohl übern Rhein", „Nachbar, Gott geb' euch einen guten Tag", „Lovuw Viuum post Nartirmm", „Ein Hirsch sprung aus dem Brunnen", „He seit den Berkenmever wohl an syne Mund", „Der tolle Hund", „Es fuhr ein Bauer ins Holz", „Der Kuckuk auf dem Zaune", „LaeeKus no- diseum et euiri suo äolio", „Hänsclein, mein Brüderlein" vernehmen, „welches dann hö lieblich zu hören, daß einem die Ohren wehe thun, daS Gesicht ver¬ gehen und das Leder davon zerbersten möchte." Sie beginnen zu disputiren „von dem Lote und nov ZZute, Von dem Düte (Zuiättitativv und dessen Ro- tiollibus xrimis et seeunäis und was des subtilen Gebäcks mehr ist", wobei sich besonders die Füchse hervorthun, die dazu „die kleinen neulich gewachsenen Zweigbartspihchen mit den Fingern artig hin und herstreichen", und deren „wäschbaftige Paralogismen" von den älteren Commilitonen „oftmals mit starken und jwohlgegründeten Ohrfeigen artificiose widerlegt werden." „Ihrer viel haben auch den Brauch, daß sie. wenn sie wohl bezecht sind, Fenster aus¬ schlagen, Tische und Bänke in Stücken brechen und dergleichen mehr. Ja eS hat uns unser lieber Getreuer, der Pedell berichtet, daß sie wohl die Oefen stürmen und die zerbrochnen Kacheln hernach zu den Fenstern hinaus werfen." Genug nun hiermit. Erfreulich ist, daß der Verfasser einmal auch an¬ deutet, eS könne einer auch wohl „viele Jahre lang auf der Universität zuge¬ bracht und so stetig und fleißig seines Studirens abgewartet haben, daß er dergleichen Saufgelage zu besuchen keine Gelegenheit und Zeit gehabt." Viel- leicht ebenso viele freilich werden es wie jener tolle Student getrieben haben, der*) von Helmstädt relegirt werden mußte, „weil er in zwei Jahren nichts ge¬ than als Gesäufeden obzuliegen, ita ut stuxorsm yuöväarli was traxisss viäektur." Ein leidiger Trost für die Eltern solcher Musensöhne war es, daß sich selbst manche Fürsten durch wüstes Zechen in einen gewissen Blödsinn hinein¬ tranken, wie z. B. Kurfürst Christian der Zweite von Sachsen, den man den „merseburger Bierkönig" nannte, und auf welchen man**) den im „Kaufmann von Venedig" als Freier der Porzia erwähnten Neffen des Herzogs von Sach¬ sen gedeutet hat. Auf die Frage der Nerissa. wie ihr der junge Deutsche ge¬ falle, erwidert Porzia bekanntlich: „Sehr abscheulich deS Morgens, wenn er nüchtern ist, und höchst abscheu¬ lich des Nachmittags, wenn er betrunken ist. Wenn er am besten ist, so ist er ein wenig schlechter als ein Mensch, und wenn er am schlimmsten ist. wenig besser als ein Vieh. Alles lieber, Nerissa, als einen Schwamm heirathen." ") Vgl. Tholuck, Das akademische Leben des 17. Jahrhunderts. Hülle, 1364. ") Vgl. Deutscher Trunk, Kulturhistorische Skizzen. Leipzig, H. Härtung. 1863. 45*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/381>, abgerufen am 15.05.2024.