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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Rechtlichkeit, Heiterkeit und Gleichmütigkeit, wodurch wir uns immer einge"
nommer fühlen: der unbegrenzte Beifall seiner Zeit war eine Folge solcher
sittlichen Vorzüge."

Soweit Goethe. Rabener selbst war im Leben größer und freier, als seine
Schriften. In jener schüchternen, weichen, empsindungsbedürftigen Zeit, die so arm
an großen Gefühlen war, stand er als ein gesunder, klarer und nüchterner Geist, der
mit freundlichem Lächeln und schalkhafter Laune seine Verbeugung machte und dabei
ein festes Herz und einen wackern männlichen Sinn bewährte. Das Bänd¬
chen seiner Briefe an Freunde, welche er selbst sammelte und die nach seinem
Tode von C. F. Weiße herausgegeben wurden, macht uns den Mann sehr werth.
Das schönste Stück darin ist der Brief, welchen er 1760 nach der Belagerung
Dresdens durch Friedrich den Großen an einen Freund schrieb. Die Noth,
welche darin geschildert wird, ist seitdem von andern deutschen Städten in un¬
gleich höherem Grade gefühlt worden, aber die Art, wie Rabener das Unglück
ertrug, ist sehr schön und charakteristisch für die Empfindung seiner Zeit; und
da wir jetzt, wo die Bürger Sachsens wieder Ursache haben, vor den Gefahren
eines Krieges besorgt zu sein, warme Theilnahme für einen Landsmann zur Zeit
ihrer Großväter voraussetzen dürfen, so wird dieser Brief hier mitgetheilt:

An Herrn Cabinetssecretär Ferber in Warschau.

Dresden am 12. August 1760.

Bald werden Sie glauben müssen, daß mein gutes freundschaftliches Herz
mit verbrannt sey, da ich, seit meinem erlittenen Unglücke, an meinen liebsten
Freund nicht geschrieben, und ihm meine Noth nicht geklagt habe. Mitten in
meiner größten Beängstigung habe ich tausendmal an Sie gedacht, und da ich
endlich erfuhr, daß ich alles verloren hatte, so siel mir zu meiner größten Be¬
ruhigung ein, daß mir doch noch die Freundschaft meines Ferbers übrig sey.
Es war ganz natürlich, daß mir dieses einfiel, da ich, Sie wissen es wohl,
Sie von ganzem Herzen liebe, und da ich die Nachricht von meinem Verluste
eben damals in Gegenwart Ihrer Mademoiselle Schwester erfuhr, die ich un¬
endlich und doppelt hochschätze, weil sie Ihre Schwester und meine Freundinn
ist. Sie wird Ihnen von H... aus von meinem Schicksale etwas gemeldet
haben; erlauben Sie mir, daß ich es hier wiederhole.

Unsere Briefe sind so oft vergnügt und scherzhaft gewesen; dieser mag
einmal traurig seyn. Nicht allzu traurig, ich gebe Ihnen mein Wort; denn
mein Verlust, so weh er mir auch thut, hat mir doch nicht eine Thräne ge¬
kostet, und mir keine unruhige Minute gemacht. Mir selbst ist das unbegreif¬
lich. ES war weder Unempfindlichkeit, noch Philosophie; eine Gnade von Gott
war es, ich erkenne es dafür, daß ich mit der größten Gelassenheit mein Haus
brennen sah, und mit eben der Gelassenheit hernach anhörte, daß alles ver¬
loren sey.


Rechtlichkeit, Heiterkeit und Gleichmütigkeit, wodurch wir uns immer einge»
nommer fühlen: der unbegrenzte Beifall seiner Zeit war eine Folge solcher
sittlichen Vorzüge."

Soweit Goethe. Rabener selbst war im Leben größer und freier, als seine
Schriften. In jener schüchternen, weichen, empsindungsbedürftigen Zeit, die so arm
an großen Gefühlen war, stand er als ein gesunder, klarer und nüchterner Geist, der
mit freundlichem Lächeln und schalkhafter Laune seine Verbeugung machte und dabei
ein festes Herz und einen wackern männlichen Sinn bewährte. Das Bänd¬
chen seiner Briefe an Freunde, welche er selbst sammelte und die nach seinem
Tode von C. F. Weiße herausgegeben wurden, macht uns den Mann sehr werth.
Das schönste Stück darin ist der Brief, welchen er 1760 nach der Belagerung
Dresdens durch Friedrich den Großen an einen Freund schrieb. Die Noth,
welche darin geschildert wird, ist seitdem von andern deutschen Städten in un¬
gleich höherem Grade gefühlt worden, aber die Art, wie Rabener das Unglück
ertrug, ist sehr schön und charakteristisch für die Empfindung seiner Zeit; und
da wir jetzt, wo die Bürger Sachsens wieder Ursache haben, vor den Gefahren
eines Krieges besorgt zu sein, warme Theilnahme für einen Landsmann zur Zeit
ihrer Großväter voraussetzen dürfen, so wird dieser Brief hier mitgetheilt:

An Herrn Cabinetssecretär Ferber in Warschau.

Dresden am 12. August 1760.

Bald werden Sie glauben müssen, daß mein gutes freundschaftliches Herz
mit verbrannt sey, da ich, seit meinem erlittenen Unglücke, an meinen liebsten
Freund nicht geschrieben, und ihm meine Noth nicht geklagt habe. Mitten in
meiner größten Beängstigung habe ich tausendmal an Sie gedacht, und da ich
endlich erfuhr, daß ich alles verloren hatte, so siel mir zu meiner größten Be¬
ruhigung ein, daß mir doch noch die Freundschaft meines Ferbers übrig sey.
Es war ganz natürlich, daß mir dieses einfiel, da ich, Sie wissen es wohl,
Sie von ganzem Herzen liebe, und da ich die Nachricht von meinem Verluste
eben damals in Gegenwart Ihrer Mademoiselle Schwester erfuhr, die ich un¬
endlich und doppelt hochschätze, weil sie Ihre Schwester und meine Freundinn
ist. Sie wird Ihnen von H... aus von meinem Schicksale etwas gemeldet
haben; erlauben Sie mir, daß ich es hier wiederhole.

Unsere Briefe sind so oft vergnügt und scherzhaft gewesen; dieser mag
einmal traurig seyn. Nicht allzu traurig, ich gebe Ihnen mein Wort; denn
mein Verlust, so weh er mir auch thut, hat mir doch nicht eine Thräne ge¬
kostet, und mir keine unruhige Minute gemacht. Mir selbst ist das unbegreif¬
lich. ES war weder Unempfindlichkeit, noch Philosophie; eine Gnade von Gott
war es, ich erkenne es dafür, daß ich mit der größten Gelassenheit mein Haus
brennen sah, und mit eben der Gelassenheit hernach anhörte, daß alles ver¬
loren sey.


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[0411] Rechtlichkeit, Heiterkeit und Gleichmütigkeit, wodurch wir uns immer einge» nommer fühlen: der unbegrenzte Beifall seiner Zeit war eine Folge solcher sittlichen Vorzüge." Soweit Goethe. Rabener selbst war im Leben größer und freier, als seine Schriften. In jener schüchternen, weichen, empsindungsbedürftigen Zeit, die so arm an großen Gefühlen war, stand er als ein gesunder, klarer und nüchterner Geist, der mit freundlichem Lächeln und schalkhafter Laune seine Verbeugung machte und dabei ein festes Herz und einen wackern männlichen Sinn bewährte. Das Bänd¬ chen seiner Briefe an Freunde, welche er selbst sammelte und die nach seinem Tode von C. F. Weiße herausgegeben wurden, macht uns den Mann sehr werth. Das schönste Stück darin ist der Brief, welchen er 1760 nach der Belagerung Dresdens durch Friedrich den Großen an einen Freund schrieb. Die Noth, welche darin geschildert wird, ist seitdem von andern deutschen Städten in un¬ gleich höherem Grade gefühlt worden, aber die Art, wie Rabener das Unglück ertrug, ist sehr schön und charakteristisch für die Empfindung seiner Zeit; und da wir jetzt, wo die Bürger Sachsens wieder Ursache haben, vor den Gefahren eines Krieges besorgt zu sein, warme Theilnahme für einen Landsmann zur Zeit ihrer Großväter voraussetzen dürfen, so wird dieser Brief hier mitgetheilt: An Herrn Cabinetssecretär Ferber in Warschau. Dresden am 12. August 1760. Bald werden Sie glauben müssen, daß mein gutes freundschaftliches Herz mit verbrannt sey, da ich, seit meinem erlittenen Unglücke, an meinen liebsten Freund nicht geschrieben, und ihm meine Noth nicht geklagt habe. Mitten in meiner größten Beängstigung habe ich tausendmal an Sie gedacht, und da ich endlich erfuhr, daß ich alles verloren hatte, so siel mir zu meiner größten Be¬ ruhigung ein, daß mir doch noch die Freundschaft meines Ferbers übrig sey. Es war ganz natürlich, daß mir dieses einfiel, da ich, Sie wissen es wohl, Sie von ganzem Herzen liebe, und da ich die Nachricht von meinem Verluste eben damals in Gegenwart Ihrer Mademoiselle Schwester erfuhr, die ich un¬ endlich und doppelt hochschätze, weil sie Ihre Schwester und meine Freundinn ist. Sie wird Ihnen von H... aus von meinem Schicksale etwas gemeldet haben; erlauben Sie mir, daß ich es hier wiederhole. Unsere Briefe sind so oft vergnügt und scherzhaft gewesen; dieser mag einmal traurig seyn. Nicht allzu traurig, ich gebe Ihnen mein Wort; denn mein Verlust, so weh er mir auch thut, hat mir doch nicht eine Thräne ge¬ kostet, und mir keine unruhige Minute gemacht. Mir selbst ist das unbegreif¬ lich. ES war weder Unempfindlichkeit, noch Philosophie; eine Gnade von Gott war es, ich erkenne es dafür, daß ich mit der größten Gelassenheit mein Haus brennen sah, und mit eben der Gelassenheit hernach anhörte, daß alles ver¬ loren sey.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/411>, abgerufen am 15.05.2024.