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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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diesen Rückzug voraussichtlich nicht antreten; voraussichtlich auch dann nicht,
wenn Graf Bismarck einem liberalen Ministerium Platz machte; mindestens
nicht in einem Sinne, der Oestreich befriedigen könnte. Und in Oestreich scheint
jeder Systemwechsel, der die zugemutheten Opfer ohne vorangegangene Kriegs¬
probe brächte, ganz undenkbar. Es ist kaum abzusehen, wie der Krieg zwischen
Preußen und Oestreich (von Italien ganz zu schweigen) sich noch vermeiden
lassen sollte; die Schleswig-holsteinsche Frage mag den Anlaß zum Conflict
gegeben haben, jetzt aber handelt es sich in Wahrheit um die Hegemoniesrage
in Deutschland. Wir haben nicht gewünscht, daß sie jetzt gestellt würde, aber
da sie gestellt wird, können wir uns ihr nicht entziehen.

Es handelt sich also jetzt darum, Position zu nehmen. Und zwar tritt
diese Frage zunächst an die Mittel- und Kleinstaaten. Sie soll ganz kühl und
besonnen beantwortet werden; große Empfindungen geben in den Kreisen der
Regierenden selten den Ausschlag, einfach ihre Interessen sollen zu Rathe ge¬
zogen werden.

Es ist in diesen Kreisen in hohem Grade die Sorge vorherrschend, von
Preußen dereinst, wie man es nennt, verschluckt zu werden; eine böse Ahnung
hatte sich der regierenden Herren (zumal der in der Machtsphäre Preußens ge¬
legenen Länder) bemächtigt, daß ihre Herrschaft denn doch nicht bis ans Ende
der Tage währen werde. Die Sorge war stärker, als sie unsers Erachtens gegen¬
wärtig zu sein brauchte; aber gesetzt, sie wäre begründeter als sie ist, welche
Mittel giebt es vorerst dagegen?

Darüber wird man sich doch keinen Illusionen mehr hingeben, daß für die
Mittel- und Kleinstaaten das günstige Stadium des Balancirens zwischen
Preußen und Oestreich vorüber ist. Es war bequem, bald mit der einen, bald
mit der andern deutschen Großmacht zu gehen, mit Phrasen, die der Bundes¬
reform günstig klangen, eine wirkliche Reform hinauszuschieben, des Bundestags
Unfähigkeit gleichzeitig zu beklagen und zu befestigen. Diese vortheilhafte La-
virperiode ist vorüber; Graf Bismarck hat die Dinge auf einen Punkt geführt,
von wo aus irgendeine Veränderung eintreten muß. Glaubt man nun im
gegnerischen Lager seiner Sache so sicher zu sein, daß man Preußen nicht blos
für den Moment schädigen, sondern etwa auf die Hälfte seines Besitzstandes
reduciren und zum Mittelstaat Herabdrücken könnte, glaubt man auch Oestreichs
dann überwiegenden Einfluß genügend in Schach halten zu können, glaubt man
endlich im Stande zu sein, den seit zwanzig Jahren gewachsenen und immer
bestimmter aufgetretenen Forderungen der Nation widerstandskräftig zu be¬
gegnen, -- gut, dann ist es ein Kampf, der der Opfer lohnt; die regierenden
Herren werden nicht erwarten, Sympathieen bei uns zu finden, aber wir werden
ihren Interessenkampf dann wenigstens verstehen. Wer aber diesen Kampf auf¬
nimmt, muß sich auch klar sein, daß er im Fall des Unterliegens für immer


diesen Rückzug voraussichtlich nicht antreten; voraussichtlich auch dann nicht,
wenn Graf Bismarck einem liberalen Ministerium Platz machte; mindestens
nicht in einem Sinne, der Oestreich befriedigen könnte. Und in Oestreich scheint
jeder Systemwechsel, der die zugemutheten Opfer ohne vorangegangene Kriegs¬
probe brächte, ganz undenkbar. Es ist kaum abzusehen, wie der Krieg zwischen
Preußen und Oestreich (von Italien ganz zu schweigen) sich noch vermeiden
lassen sollte; die Schleswig-holsteinsche Frage mag den Anlaß zum Conflict
gegeben haben, jetzt aber handelt es sich in Wahrheit um die Hegemoniesrage
in Deutschland. Wir haben nicht gewünscht, daß sie jetzt gestellt würde, aber
da sie gestellt wird, können wir uns ihr nicht entziehen.

Es handelt sich also jetzt darum, Position zu nehmen. Und zwar tritt
diese Frage zunächst an die Mittel- und Kleinstaaten. Sie soll ganz kühl und
besonnen beantwortet werden; große Empfindungen geben in den Kreisen der
Regierenden selten den Ausschlag, einfach ihre Interessen sollen zu Rathe ge¬
zogen werden.

Es ist in diesen Kreisen in hohem Grade die Sorge vorherrschend, von
Preußen dereinst, wie man es nennt, verschluckt zu werden; eine böse Ahnung
hatte sich der regierenden Herren (zumal der in der Machtsphäre Preußens ge¬
legenen Länder) bemächtigt, daß ihre Herrschaft denn doch nicht bis ans Ende
der Tage währen werde. Die Sorge war stärker, als sie unsers Erachtens gegen¬
wärtig zu sein brauchte; aber gesetzt, sie wäre begründeter als sie ist, welche
Mittel giebt es vorerst dagegen?

Darüber wird man sich doch keinen Illusionen mehr hingeben, daß für die
Mittel- und Kleinstaaten das günstige Stadium des Balancirens zwischen
Preußen und Oestreich vorüber ist. Es war bequem, bald mit der einen, bald
mit der andern deutschen Großmacht zu gehen, mit Phrasen, die der Bundes¬
reform günstig klangen, eine wirkliche Reform hinauszuschieben, des Bundestags
Unfähigkeit gleichzeitig zu beklagen und zu befestigen. Diese vortheilhafte La-
virperiode ist vorüber; Graf Bismarck hat die Dinge auf einen Punkt geführt,
von wo aus irgendeine Veränderung eintreten muß. Glaubt man nun im
gegnerischen Lager seiner Sache so sicher zu sein, daß man Preußen nicht blos
für den Moment schädigen, sondern etwa auf die Hälfte seines Besitzstandes
reduciren und zum Mittelstaat Herabdrücken könnte, glaubt man auch Oestreichs
dann überwiegenden Einfluß genügend in Schach halten zu können, glaubt man
endlich im Stande zu sein, den seit zwanzig Jahren gewachsenen und immer
bestimmter aufgetretenen Forderungen der Nation widerstandskräftig zu be¬
gegnen, — gut, dann ist es ein Kampf, der der Opfer lohnt; die regierenden
Herren werden nicht erwarten, Sympathieen bei uns zu finden, aber wir werden
ihren Interessenkampf dann wenigstens verstehen. Wer aber diesen Kampf auf¬
nimmt, muß sich auch klar sein, daß er im Fall des Unterliegens für immer


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[0436] diesen Rückzug voraussichtlich nicht antreten; voraussichtlich auch dann nicht, wenn Graf Bismarck einem liberalen Ministerium Platz machte; mindestens nicht in einem Sinne, der Oestreich befriedigen könnte. Und in Oestreich scheint jeder Systemwechsel, der die zugemutheten Opfer ohne vorangegangene Kriegs¬ probe brächte, ganz undenkbar. Es ist kaum abzusehen, wie der Krieg zwischen Preußen und Oestreich (von Italien ganz zu schweigen) sich noch vermeiden lassen sollte; die Schleswig-holsteinsche Frage mag den Anlaß zum Conflict gegeben haben, jetzt aber handelt es sich in Wahrheit um die Hegemoniesrage in Deutschland. Wir haben nicht gewünscht, daß sie jetzt gestellt würde, aber da sie gestellt wird, können wir uns ihr nicht entziehen. Es handelt sich also jetzt darum, Position zu nehmen. Und zwar tritt diese Frage zunächst an die Mittel- und Kleinstaaten. Sie soll ganz kühl und besonnen beantwortet werden; große Empfindungen geben in den Kreisen der Regierenden selten den Ausschlag, einfach ihre Interessen sollen zu Rathe ge¬ zogen werden. Es ist in diesen Kreisen in hohem Grade die Sorge vorherrschend, von Preußen dereinst, wie man es nennt, verschluckt zu werden; eine böse Ahnung hatte sich der regierenden Herren (zumal der in der Machtsphäre Preußens ge¬ legenen Länder) bemächtigt, daß ihre Herrschaft denn doch nicht bis ans Ende der Tage währen werde. Die Sorge war stärker, als sie unsers Erachtens gegen¬ wärtig zu sein brauchte; aber gesetzt, sie wäre begründeter als sie ist, welche Mittel giebt es vorerst dagegen? Darüber wird man sich doch keinen Illusionen mehr hingeben, daß für die Mittel- und Kleinstaaten das günstige Stadium des Balancirens zwischen Preußen und Oestreich vorüber ist. Es war bequem, bald mit der einen, bald mit der andern deutschen Großmacht zu gehen, mit Phrasen, die der Bundes¬ reform günstig klangen, eine wirkliche Reform hinauszuschieben, des Bundestags Unfähigkeit gleichzeitig zu beklagen und zu befestigen. Diese vortheilhafte La- virperiode ist vorüber; Graf Bismarck hat die Dinge auf einen Punkt geführt, von wo aus irgendeine Veränderung eintreten muß. Glaubt man nun im gegnerischen Lager seiner Sache so sicher zu sein, daß man Preußen nicht blos für den Moment schädigen, sondern etwa auf die Hälfte seines Besitzstandes reduciren und zum Mittelstaat Herabdrücken könnte, glaubt man auch Oestreichs dann überwiegenden Einfluß genügend in Schach halten zu können, glaubt man endlich im Stande zu sein, den seit zwanzig Jahren gewachsenen und immer bestimmter aufgetretenen Forderungen der Nation widerstandskräftig zu be¬ gegnen, — gut, dann ist es ein Kampf, der der Opfer lohnt; die regierenden Herren werden nicht erwarten, Sympathieen bei uns zu finden, aber wir werden ihren Interessenkampf dann wenigstens verstehen. Wer aber diesen Kampf auf¬ nimmt, muß sich auch klar sein, daß er im Fall des Unterliegens für immer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/436>, abgerufen am 15.05.2024.