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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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doch war die "beschließende Mitwirkung" so nach allen Seiten hin verclausulirt,
die Bundesabgeordneten waren so eingeengt von Bundesrath. Direktorium und
Fürstenversammlung, die für Aenderungen erforderlichen Majoritäten waren so
unerschwinglich hoch normirt, und die Delegirtenwahl endlich war eine so trost¬
lose Verdünnung des Princips freier und selbständiger Wahlen, daß an einem er¬
sprießlichen Vorwärtskommen unter allen Umstänven verzweifelt werden mußte.
Der preußische Entwurf dagegen bietet ein frei und direct gewähltes Parlament,
daS auf seinem begrenzten Gebiet eine wirkliche Macht sein und von diesem
Punkt des Archimedes aus sich weiter entwickeln wird. Zumal da die lästigste
Schranke, die bisher jede Verbesserung hinderte, die erforderliche Stimmeneinheit,
einfacher Majorität in beiden Versammlungen weichen muß.

In solchen Dingen ist immer zu fragen, einmal, ob das Neue besser als
das Alte, und dann, ob es entwicklungsfähig sei. Beide Fragen glauben wir
bejahen zu müssen. Der Entwurf befriedigt nicht völlig die berechtigten Be¬
dürfnisse der Nation, aber er schiebt den Riegel zurück, der dieser Befrie¬
digung im Wege stand; waS uns geboten wird, schafft vorerst wenigstens Raum,
in ehrlicher Arbeit weiterzustreben. DaS wäre kein glänzendes Loos, doch auch
kein unbefriedigendes, mannhafte Gesinnung eher ermuthigend als niederdrückend.
Hoffentlich aber wird der Sturmwind dieser Tage noch manche der Rücksichten
hinwegfegen, die froheren Wünschen Schranken setzten, und die preußische Re¬
gierung wird dann, wie ihr neuliches Memorial verkündete, "ihr enges Pro¬
gramm erweitern und auf neuen Wegen den Anforderungen der Nation in
vollem Umfang gerecht zu werden versuchen."

Wie das Geschick eS auch füge, volle Freud" empfinden wir, daß Preußen
den verhängnißvollen Entscheidungen der nächsten Wochen mit einem positiven
Programm entgegengeht, und daß man zu Berlin verstanden hat, dem Kampf,
der schon über Schleswig-Holstein zu entbrennen drohte, jetzt einen edleren In¬
halt zu geben.




doch war die „beschließende Mitwirkung" so nach allen Seiten hin verclausulirt,
die Bundesabgeordneten waren so eingeengt von Bundesrath. Direktorium und
Fürstenversammlung, die für Aenderungen erforderlichen Majoritäten waren so
unerschwinglich hoch normirt, und die Delegirtenwahl endlich war eine so trost¬
lose Verdünnung des Princips freier und selbständiger Wahlen, daß an einem er¬
sprießlichen Vorwärtskommen unter allen Umstänven verzweifelt werden mußte.
Der preußische Entwurf dagegen bietet ein frei und direct gewähltes Parlament,
daS auf seinem begrenzten Gebiet eine wirkliche Macht sein und von diesem
Punkt des Archimedes aus sich weiter entwickeln wird. Zumal da die lästigste
Schranke, die bisher jede Verbesserung hinderte, die erforderliche Stimmeneinheit,
einfacher Majorität in beiden Versammlungen weichen muß.

In solchen Dingen ist immer zu fragen, einmal, ob das Neue besser als
das Alte, und dann, ob es entwicklungsfähig sei. Beide Fragen glauben wir
bejahen zu müssen. Der Entwurf befriedigt nicht völlig die berechtigten Be¬
dürfnisse der Nation, aber er schiebt den Riegel zurück, der dieser Befrie¬
digung im Wege stand; waS uns geboten wird, schafft vorerst wenigstens Raum,
in ehrlicher Arbeit weiterzustreben. DaS wäre kein glänzendes Loos, doch auch
kein unbefriedigendes, mannhafte Gesinnung eher ermuthigend als niederdrückend.
Hoffentlich aber wird der Sturmwind dieser Tage noch manche der Rücksichten
hinwegfegen, die froheren Wünschen Schranken setzten, und die preußische Re¬
gierung wird dann, wie ihr neuliches Memorial verkündete, „ihr enges Pro¬
gramm erweitern und auf neuen Wegen den Anforderungen der Nation in
vollem Umfang gerecht zu werden versuchen."

Wie das Geschick eS auch füge, volle Freud« empfinden wir, daß Preußen
den verhängnißvollen Entscheidungen der nächsten Wochen mit einem positiven
Programm entgegengeht, und daß man zu Berlin verstanden hat, dem Kampf,
der schon über Schleswig-Holstein zu entbrennen drohte, jetzt einen edleren In¬
halt zu geben.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/518>, abgerufen am 16.05.2024.