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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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welches eine böse Fee in ihre Wiege gelegt hat. Wie friedlich und lachend sie
im Lande liegt, sie gilt den Gewaltigen des Kriegs für einen angenehmen Ort.
um ihre greulichen Zwiste dabei auszukämpfen. Jeder deutsche Krieg faßt sie
mit eiserner Hand. Im dreißigjährigen zwei große Schlachten und fünf Be¬
lagerungen, im siebenjährigen harte Behandlung und unerschwingliche Contri-
bution. im Freiheitskriege vollends die größte Völkerschlacht der neuen Zeit.
Noch ragen überall die Erinnerungen an die Größe und das Entsetzen jener
Tage. Kein wahrheitliebender Mann wird die Behauptung wagen, daß den
Bürgern unserer Stadt an diesem Ruhme irgend etwas gelegen ist, selbst wenn
er den Namen der Stadt für alle Zeit unvergänglich machte. Man hätte zu
keiner Zeit etwas dagegen gehabt, wenn die finstern Dämonen des Krieges andere
Tummelplätze für zweckmäßiger erklären wollten.

Da kam, es sind jetzt einige Wochen her, allmälig die Sorge von einem
gewaltsamen Ende der politischen Verwickelung in die Herzen der Einwohner.
Handel und Verkehr stockten, das Geld war bereits, theuer, es wurde alltäglich
schwerer zu haben, die Zahl der Lastwagen, welche durch die Straßen fuhren,
minderte sich, es wurde nicht leicht, die Arbeiter der Fabriken zu beschäftigen;
wer die Gesichter der Menschen betrachtete auf der Straße und im Stadtwald,
der sah in viele bekümmerte Mienen; wo die Männer zusammensaßen in be¬
dächtiger Unterhaltung, da war der Eifer groß, und Staatsmänner in der Nähe
und Ferne wurden aufgeregt begutachtet. Das war überall in Deutschland so,
denn es ist immer noch das Schicksal der Deutschen, daß 36 Millionen -- so¬
weit diese gesprächsfähig sind -- sich bei der Kanne unpolitisch über das unter¬
halten, was einige Wenige thun.

Man erwog Krieg und Frieden, auch den Krieg noch mit unbefangener
Ruhe, wie eine Möglichkeit, die im Grunde doch gar nicht anzunehmen war,
und wenn ja Einer mit Entschiedenheit diese Möglichkeit vertrat, wußte auch er
schwerlich aus eigner Erfahrung, wie der Krieg weh thue. Da kam in den
letzten Tagen Schlag auf Schlag, Ahnung, Wahrscheinlichkeit, Sicherheit eines
Kampfes der Landsleute auf deutschem Boden gegen einander, eines Krieges, den
die eigene Regierung gegen die des Nachbarstaates führen sollte. Die Stadt
selbst hatte noch in den letzten Wochen ihren König treugehorsamst gebeten,
eine angebotene Neutralität zu beobachten, und ihrem Lande den Bruder¬
kampf zu ersparen. Aber man vernahm in der Residenz diese Mahnung ungern
und wählte nach kurzem Schwanken den Krieg.

Und diese Wahl machte den Bürgern wie ein blendender Blitz sichtbar,
was ein innerer Krieg zu unserer Zeit im Tagesleben der Menschen umwandelt,
selbst bevor sie von seinen ärgsten Schrecken betroffen werden.

Auch der Krieg, das Ungeheuer, verhüllt, wenn er zuerst in die Länder
tritt, die Schrecken seines furchtbaren Angesichts, er müht sich, mild auszusehen,


welches eine böse Fee in ihre Wiege gelegt hat. Wie friedlich und lachend sie
im Lande liegt, sie gilt den Gewaltigen des Kriegs für einen angenehmen Ort.
um ihre greulichen Zwiste dabei auszukämpfen. Jeder deutsche Krieg faßt sie
mit eiserner Hand. Im dreißigjährigen zwei große Schlachten und fünf Be¬
lagerungen, im siebenjährigen harte Behandlung und unerschwingliche Contri-
bution. im Freiheitskriege vollends die größte Völkerschlacht der neuen Zeit.
Noch ragen überall die Erinnerungen an die Größe und das Entsetzen jener
Tage. Kein wahrheitliebender Mann wird die Behauptung wagen, daß den
Bürgern unserer Stadt an diesem Ruhme irgend etwas gelegen ist, selbst wenn
er den Namen der Stadt für alle Zeit unvergänglich machte. Man hätte zu
keiner Zeit etwas dagegen gehabt, wenn die finstern Dämonen des Krieges andere
Tummelplätze für zweckmäßiger erklären wollten.

Da kam, es sind jetzt einige Wochen her, allmälig die Sorge von einem
gewaltsamen Ende der politischen Verwickelung in die Herzen der Einwohner.
Handel und Verkehr stockten, das Geld war bereits, theuer, es wurde alltäglich
schwerer zu haben, die Zahl der Lastwagen, welche durch die Straßen fuhren,
minderte sich, es wurde nicht leicht, die Arbeiter der Fabriken zu beschäftigen;
wer die Gesichter der Menschen betrachtete auf der Straße und im Stadtwald,
der sah in viele bekümmerte Mienen; wo die Männer zusammensaßen in be¬
dächtiger Unterhaltung, da war der Eifer groß, und Staatsmänner in der Nähe
und Ferne wurden aufgeregt begutachtet. Das war überall in Deutschland so,
denn es ist immer noch das Schicksal der Deutschen, daß 36 Millionen — so¬
weit diese gesprächsfähig sind — sich bei der Kanne unpolitisch über das unter¬
halten, was einige Wenige thun.

Man erwog Krieg und Frieden, auch den Krieg noch mit unbefangener
Ruhe, wie eine Möglichkeit, die im Grunde doch gar nicht anzunehmen war,
und wenn ja Einer mit Entschiedenheit diese Möglichkeit vertrat, wußte auch er
schwerlich aus eigner Erfahrung, wie der Krieg weh thue. Da kam in den
letzten Tagen Schlag auf Schlag, Ahnung, Wahrscheinlichkeit, Sicherheit eines
Kampfes der Landsleute auf deutschem Boden gegen einander, eines Krieges, den
die eigene Regierung gegen die des Nachbarstaates führen sollte. Die Stadt
selbst hatte noch in den letzten Wochen ihren König treugehorsamst gebeten,
eine angebotene Neutralität zu beobachten, und ihrem Lande den Bruder¬
kampf zu ersparen. Aber man vernahm in der Residenz diese Mahnung ungern
und wählte nach kurzem Schwanken den Krieg.

Und diese Wahl machte den Bürgern wie ein blendender Blitz sichtbar,
was ein innerer Krieg zu unserer Zeit im Tagesleben der Menschen umwandelt,
selbst bevor sie von seinen ärgsten Schrecken betroffen werden.

Auch der Krieg, das Ungeheuer, verhüllt, wenn er zuerst in die Länder
tritt, die Schrecken seines furchtbaren Angesichts, er müht sich, mild auszusehen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/520>, abgerufen am 16.05.2024.