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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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auf Leben und Tod des preußischen Staates. Die Einwohnerzahlen der beiden
feindlichen Parteien -- auf der einen Seite Preußen mit seinen wenigen Ge¬
treuen und Italien, auf der andern Seite Oestreich und die Staaten der Bundes¬
majorität vom 14. -- sind genau gleich groß; auf jeder Seite stehen etwa
40 Millionen gegen einander im Kriege. -- Aber die Macht der öst¬
reichischen Partei ist wohl concentrirt, durch sehr günstige territoriale Lage be¬
festigt, sie gleicht dem innern Cirkel eines Kreises, welcher aus zwei Seiten
Ausfall und Vertheidigung möglich macht; es ist außerdem die gesammte Be¬
völkerung dieses Territoriums, auch die außerdeutsche des Kaiserstaates, von
kriegerischer Art und militärisch wohl organisirt. Die preußisch-italienische Partei
ist räumlich durch großen Zwischenraum getrennt, gegenseitige unmittelbare
Unterstützung unmöglich, und Italien, welches fast genau die Hälfte der Ein¬
wohnerzahl repräsentirt, vermag in seiner Kriegsstärke wenig mehr als ein
Dritttheil der Streitkräfte aufzubringen. Außerdem machen die Befestigungen
der Oestreicher in Venetien und der defensive Kriegsplan dort eine Aufstellung
von höchstens 150,000 Mann nöthig, und Preußen hat mehr als drei Vier¬
theile der feindlichen Heeresmassen gegen sich, seine geographische Lage ist für
einen Angriffskrieg höchst ungünstig, die Hauptstadt leichter durch eine feindliche
Armee zu erreichen. Dadurch wird der Kampf für Preußen allerdings so schwer
und gewaltig, daß jeder dauernde Mißerfolg den Staat mit der größten mili¬
tärischen Gefahr bedroht.

Der Krieg hat, während dies geschrieben wird, wahrscheinlich auch im
Süden der Alpen begonnen. Die Kriegserklärung Italiens an Bayern sollte
nicht nur aus Rücksicht auf den Bundesgenossen Preußen die Aufhebung des
Bundes constatiren; sie geschah auch im höchsten Interesse des italienischen
Krieges. Denn der nördlichste Theil des Gardasees war bis zum 14. Juni
Bundesgebiet und dieser Umstand hat bei der Terrainbeschaffenheit im Kriege
von 1889 die Operationen der Italiener nach dieser Richtung völlig gelähmt.

Wir aber fürchten und hoffen!




auf Leben und Tod des preußischen Staates. Die Einwohnerzahlen der beiden
feindlichen Parteien — auf der einen Seite Preußen mit seinen wenigen Ge¬
treuen und Italien, auf der andern Seite Oestreich und die Staaten der Bundes¬
majorität vom 14. — sind genau gleich groß; auf jeder Seite stehen etwa
40 Millionen gegen einander im Kriege. — Aber die Macht der öst¬
reichischen Partei ist wohl concentrirt, durch sehr günstige territoriale Lage be¬
festigt, sie gleicht dem innern Cirkel eines Kreises, welcher aus zwei Seiten
Ausfall und Vertheidigung möglich macht; es ist außerdem die gesammte Be¬
völkerung dieses Territoriums, auch die außerdeutsche des Kaiserstaates, von
kriegerischer Art und militärisch wohl organisirt. Die preußisch-italienische Partei
ist räumlich durch großen Zwischenraum getrennt, gegenseitige unmittelbare
Unterstützung unmöglich, und Italien, welches fast genau die Hälfte der Ein¬
wohnerzahl repräsentirt, vermag in seiner Kriegsstärke wenig mehr als ein
Dritttheil der Streitkräfte aufzubringen. Außerdem machen die Befestigungen
der Oestreicher in Venetien und der defensive Kriegsplan dort eine Aufstellung
von höchstens 150,000 Mann nöthig, und Preußen hat mehr als drei Vier¬
theile der feindlichen Heeresmassen gegen sich, seine geographische Lage ist für
einen Angriffskrieg höchst ungünstig, die Hauptstadt leichter durch eine feindliche
Armee zu erreichen. Dadurch wird der Kampf für Preußen allerdings so schwer
und gewaltig, daß jeder dauernde Mißerfolg den Staat mit der größten mili¬
tärischen Gefahr bedroht.

Der Krieg hat, während dies geschrieben wird, wahrscheinlich auch im
Süden der Alpen begonnen. Die Kriegserklärung Italiens an Bayern sollte
nicht nur aus Rücksicht auf den Bundesgenossen Preußen die Aufhebung des
Bundes constatiren; sie geschah auch im höchsten Interesse des italienischen
Krieges. Denn der nördlichste Theil des Gardasees war bis zum 14. Juni
Bundesgebiet und dieser Umstand hat bei der Terrainbeschaffenheit im Kriege
von 1889 die Operationen der Italiener nach dieser Richtung völlig gelähmt.

Wir aber fürchten und hoffen!




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[0530] auf Leben und Tod des preußischen Staates. Die Einwohnerzahlen der beiden feindlichen Parteien — auf der einen Seite Preußen mit seinen wenigen Ge¬ treuen und Italien, auf der andern Seite Oestreich und die Staaten der Bundes¬ majorität vom 14. — sind genau gleich groß; auf jeder Seite stehen etwa 40 Millionen gegen einander im Kriege. — Aber die Macht der öst¬ reichischen Partei ist wohl concentrirt, durch sehr günstige territoriale Lage be¬ festigt, sie gleicht dem innern Cirkel eines Kreises, welcher aus zwei Seiten Ausfall und Vertheidigung möglich macht; es ist außerdem die gesammte Be¬ völkerung dieses Territoriums, auch die außerdeutsche des Kaiserstaates, von kriegerischer Art und militärisch wohl organisirt. Die preußisch-italienische Partei ist räumlich durch großen Zwischenraum getrennt, gegenseitige unmittelbare Unterstützung unmöglich, und Italien, welches fast genau die Hälfte der Ein¬ wohnerzahl repräsentirt, vermag in seiner Kriegsstärke wenig mehr als ein Dritttheil der Streitkräfte aufzubringen. Außerdem machen die Befestigungen der Oestreicher in Venetien und der defensive Kriegsplan dort eine Aufstellung von höchstens 150,000 Mann nöthig, und Preußen hat mehr als drei Vier¬ theile der feindlichen Heeresmassen gegen sich, seine geographische Lage ist für einen Angriffskrieg höchst ungünstig, die Hauptstadt leichter durch eine feindliche Armee zu erreichen. Dadurch wird der Kampf für Preußen allerdings so schwer und gewaltig, daß jeder dauernde Mißerfolg den Staat mit der größten mili¬ tärischen Gefahr bedroht. Der Krieg hat, während dies geschrieben wird, wahrscheinlich auch im Süden der Alpen begonnen. Die Kriegserklärung Italiens an Bayern sollte nicht nur aus Rücksicht auf den Bundesgenossen Preußen die Aufhebung des Bundes constatiren; sie geschah auch im höchsten Interesse des italienischen Krieges. Denn der nördlichste Theil des Gardasees war bis zum 14. Juni Bundesgebiet und dieser Umstand hat bei der Terrainbeschaffenheit im Kriege von 1889 die Operationen der Italiener nach dieser Richtung völlig gelähmt. Wir aber fürchten und hoffen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/530>, abgerufen am 15.05.2024.