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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Versuchs, unter Mißbrauch der so überaus wichtigen wiener Papiere dieser
Epoche, welche für deutsche Geschichtsschreiber unzugänglich sind, die Ehre
der östreichischen Politik auf Kosten der preußischen wiederherzustellen, gehört
zu den glänzendsten Leistungen, die wir Sybel in neuester Zeit auf diesem Felde
verdanken (s. histor. Zeitschr. 8. 1).

Was wir unsern Lesern im Nachfolgenden mittheilen, darf als eine kleine
Ergänzung zu dem geschichtlichen Material des Zeitpunktes willkommen sein,
in welchem der mit so hohem Aplomb begonnene Kreuzzug der Legitimität
gegen die Revolution ins Stocken kam. Es betrifft das Verhältniß des Ober¬
befehlshabers der östreichisch-preußischen Rheinarmee zu der Aufgabe, die durch
den Krieg gestellt war. Bei der infolge der diplomatischen Spannung der
Alliirten erlahmenden militärischen Energie im Jahre 1793 war es unvermeid¬
lich, daß den Oberfeldherrn, Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig,
der 13 Jahre nachher bei Auerstädt so unselig endete, mancher Verdacht und
Tadel traf. Der Herzog gehörte streng zur alten Schule der methodischen
Kriegführung, er war überdies von Complexion bedächtig und nicht ohne Pe¬
danterie; aber dabei ein ausgezeichneter General von Erfahrung und persönlich
von braver Tüchtigkeit. Indeß grade für ihn waren zwei Umstände, welche
jene Campagne mit sich brachte, doppelt gefahrvoll: die Beschaffenheit des
feindlichen Heeres, jene dissoluten Cohorten mit ihrer improvisirten Fechtart
und noch mehr die ihm aufgedrungene Verbindung mit dem General Wurmser,
dessen petulante und eigensinnige Manier theils in dem früh erwachten Mi߬
trauen ber alliirten Truppen gegen einander, theils in seiner überaus unklaren,
nicht vom Herzog verschuldeten Instruction fortwährend Nahrung fand. So
beträchtlich die Erfolge waren, welche das Jahr 1793 gebracht hatte -- es
mag nur an das Treffen von Pirmasens, die Erstürmung der weissenburger
Linien, das Treffen bei Kaiserslautern erinnert werden --, sie konnten über
die Aussichtslosigkeit der ganzen militärischen Unternehmung der Rheinarmee
nicht täuschen. Durch die diplomatischen Verwickelungen, die ihren Schwer¬
punkt nach entgegengesetzter Richtung hatten, war allen Anstrengungen das
Ziel, der Sieg in Frankreich, principiell illusorisch gemacht. Schon einmal
hatte der Herzog, "moralisch krank", wie er sich selbst nannte, seine Demission
gegeben. Sie war diesmal vom König von Preußen freundlich-schmeichelhaft
abgelehnt worden. Entweder als Beweis dafür, daß Karl Wilhelm Ferdi¬
nand Ende 1793 den Gedanken an die Fortsetzung des Kampfes ehrlich wieder
aufnahm, oder als eine Art Vermächtniß bei dem bald wirklich erfolgenden
Rücktritt vom Kommando, sind die folgenden Auszeichnungen zu betrachten. Er
entwarf diesen Operationsplan für 1794 unaufgefordert, und es ist ungewiß, ob
derselbe dem König wirklich übergeben worden ist. Das Schriftstück stammt
aus den Papieren des braunschweigischen Generallieutenants v. Riedesel, wei-


Versuchs, unter Mißbrauch der so überaus wichtigen wiener Papiere dieser
Epoche, welche für deutsche Geschichtsschreiber unzugänglich sind, die Ehre
der östreichischen Politik auf Kosten der preußischen wiederherzustellen, gehört
zu den glänzendsten Leistungen, die wir Sybel in neuester Zeit auf diesem Felde
verdanken (s. histor. Zeitschr. 8. 1).

Was wir unsern Lesern im Nachfolgenden mittheilen, darf als eine kleine
Ergänzung zu dem geschichtlichen Material des Zeitpunktes willkommen sein,
in welchem der mit so hohem Aplomb begonnene Kreuzzug der Legitimität
gegen die Revolution ins Stocken kam. Es betrifft das Verhältniß des Ober¬
befehlshabers der östreichisch-preußischen Rheinarmee zu der Aufgabe, die durch
den Krieg gestellt war. Bei der infolge der diplomatischen Spannung der
Alliirten erlahmenden militärischen Energie im Jahre 1793 war es unvermeid¬
lich, daß den Oberfeldherrn, Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig,
der 13 Jahre nachher bei Auerstädt so unselig endete, mancher Verdacht und
Tadel traf. Der Herzog gehörte streng zur alten Schule der methodischen
Kriegführung, er war überdies von Complexion bedächtig und nicht ohne Pe¬
danterie; aber dabei ein ausgezeichneter General von Erfahrung und persönlich
von braver Tüchtigkeit. Indeß grade für ihn waren zwei Umstände, welche
jene Campagne mit sich brachte, doppelt gefahrvoll: die Beschaffenheit des
feindlichen Heeres, jene dissoluten Cohorten mit ihrer improvisirten Fechtart
und noch mehr die ihm aufgedrungene Verbindung mit dem General Wurmser,
dessen petulante und eigensinnige Manier theils in dem früh erwachten Mi߬
trauen ber alliirten Truppen gegen einander, theils in seiner überaus unklaren,
nicht vom Herzog verschuldeten Instruction fortwährend Nahrung fand. So
beträchtlich die Erfolge waren, welche das Jahr 1793 gebracht hatte — es
mag nur an das Treffen von Pirmasens, die Erstürmung der weissenburger
Linien, das Treffen bei Kaiserslautern erinnert werden —, sie konnten über
die Aussichtslosigkeit der ganzen militärischen Unternehmung der Rheinarmee
nicht täuschen. Durch die diplomatischen Verwickelungen, die ihren Schwer¬
punkt nach entgegengesetzter Richtung hatten, war allen Anstrengungen das
Ziel, der Sieg in Frankreich, principiell illusorisch gemacht. Schon einmal
hatte der Herzog, „moralisch krank", wie er sich selbst nannte, seine Demission
gegeben. Sie war diesmal vom König von Preußen freundlich-schmeichelhaft
abgelehnt worden. Entweder als Beweis dafür, daß Karl Wilhelm Ferdi¬
nand Ende 1793 den Gedanken an die Fortsetzung des Kampfes ehrlich wieder
aufnahm, oder als eine Art Vermächtniß bei dem bald wirklich erfolgenden
Rücktritt vom Kommando, sind die folgenden Auszeichnungen zu betrachten. Er
entwarf diesen Operationsplan für 1794 unaufgefordert, und es ist ungewiß, ob
derselbe dem König wirklich übergeben worden ist. Das Schriftstück stammt
aus den Papieren des braunschweigischen Generallieutenants v. Riedesel, wei-


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[0532] Versuchs, unter Mißbrauch der so überaus wichtigen wiener Papiere dieser Epoche, welche für deutsche Geschichtsschreiber unzugänglich sind, die Ehre der östreichischen Politik auf Kosten der preußischen wiederherzustellen, gehört zu den glänzendsten Leistungen, die wir Sybel in neuester Zeit auf diesem Felde verdanken (s. histor. Zeitschr. 8. 1). Was wir unsern Lesern im Nachfolgenden mittheilen, darf als eine kleine Ergänzung zu dem geschichtlichen Material des Zeitpunktes willkommen sein, in welchem der mit so hohem Aplomb begonnene Kreuzzug der Legitimität gegen die Revolution ins Stocken kam. Es betrifft das Verhältniß des Ober¬ befehlshabers der östreichisch-preußischen Rheinarmee zu der Aufgabe, die durch den Krieg gestellt war. Bei der infolge der diplomatischen Spannung der Alliirten erlahmenden militärischen Energie im Jahre 1793 war es unvermeid¬ lich, daß den Oberfeldherrn, Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig, der 13 Jahre nachher bei Auerstädt so unselig endete, mancher Verdacht und Tadel traf. Der Herzog gehörte streng zur alten Schule der methodischen Kriegführung, er war überdies von Complexion bedächtig und nicht ohne Pe¬ danterie; aber dabei ein ausgezeichneter General von Erfahrung und persönlich von braver Tüchtigkeit. Indeß grade für ihn waren zwei Umstände, welche jene Campagne mit sich brachte, doppelt gefahrvoll: die Beschaffenheit des feindlichen Heeres, jene dissoluten Cohorten mit ihrer improvisirten Fechtart und noch mehr die ihm aufgedrungene Verbindung mit dem General Wurmser, dessen petulante und eigensinnige Manier theils in dem früh erwachten Mi߬ trauen ber alliirten Truppen gegen einander, theils in seiner überaus unklaren, nicht vom Herzog verschuldeten Instruction fortwährend Nahrung fand. So beträchtlich die Erfolge waren, welche das Jahr 1793 gebracht hatte — es mag nur an das Treffen von Pirmasens, die Erstürmung der weissenburger Linien, das Treffen bei Kaiserslautern erinnert werden —, sie konnten über die Aussichtslosigkeit der ganzen militärischen Unternehmung der Rheinarmee nicht täuschen. Durch die diplomatischen Verwickelungen, die ihren Schwer¬ punkt nach entgegengesetzter Richtung hatten, war allen Anstrengungen das Ziel, der Sieg in Frankreich, principiell illusorisch gemacht. Schon einmal hatte der Herzog, „moralisch krank", wie er sich selbst nannte, seine Demission gegeben. Sie war diesmal vom König von Preußen freundlich-schmeichelhaft abgelehnt worden. Entweder als Beweis dafür, daß Karl Wilhelm Ferdi¬ nand Ende 1793 den Gedanken an die Fortsetzung des Kampfes ehrlich wieder aufnahm, oder als eine Art Vermächtniß bei dem bald wirklich erfolgenden Rücktritt vom Kommando, sind die folgenden Auszeichnungen zu betrachten. Er entwarf diesen Operationsplan für 1794 unaufgefordert, und es ist ungewiß, ob derselbe dem König wirklich übergeben worden ist. Das Schriftstück stammt aus den Papieren des braunschweigischen Generallieutenants v. Riedesel, wei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/532>, abgerufen am 15.05.2024.