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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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geben wird, dah der Dichter viel, recht viel von seinem Eigenen in seinen Hamlet
hineingelegthat, so ist doch seine Annahme eines völlig losen Zusammenhangs in
diesem Drama, einer äußerlichen Zusammenlcimung der zwei völlig disparaten
Elemente des Sagen-Amleths und des Hamlet Shakespeares, einer in jedem
Sinn pathologischen Genesis des Stücks nur die Folge von einer Verschließung
gegen alle organische Anschauung des Drama und von einem Rückzug auf die
mechanische Auffassungsweise, wie solches mit dem einseitigen Pragmatismus,
die äußeren Lebensvorgänge des Dichters der Erklärung seiner Leistungen zu
Grund zu legen, zusammenhängt.

Das allzuschnclle Schließen, zu dem sich unser Kritiker durch seine Methode
mit ungünstigen Folgen für den Dichter verleiten läßt, besteht darin, daß die
Ergebnisse der äußerlich biographischen Untersuchung ohne weiteres für den
Endabschluß des Gesammturtheils und der Gesammtschätzung verwendet werden.
Es "wird neben dem Außenleben nicht die doch einzig nur aus den Weri'en
selber zu entnehmende innere Entwicklung des Dichters, neben dem Persönlichen
viel zu wenig das wirklich Sachliche in Rechnung gebracht. Wird z. B. durch
eine treffende historische Combination S. 41 gefunden, daß Shakespeare speciell
sür die männliche Jugend des englischen Adels seine Dramen dichtete, und
hieraus, sowie von dem andern Theil des Theaterpublikums, dem Volk.
44 ff. in ganz plausibler Weise die Einmischung der niedern Komik in die
l)"he Tragödie, die besondere Art des shakespeareschen Wortwitzes, das Reden
in kolossalen Hyperbeln und mitunter auch in Zweideutigkeiten abgeleitet, so
wird mit solchen Ableitungen gleich zu weit gegangen, wenn schon aus der
Rücksichtnahme auf das jugendliche, nach Action begierige Publikum eine Zurück-
stellung der träumerisch sentimentalen Sonettenstimmung in der Tragödie, was
doch an sich schon mit der rechtbegriffenen Ausgabe des tragischen Stils gegeben
war, oder ein Greifen nach den Grundthemcn Liebe und Ehrgeiz, als den zwei
gewaltigsten Triebkräften einer edlen männlichen Jugend, was doch gleichfalls
durch die wirkliche, nicht auf Seelenmalerei hinauslaufende Tragödie bedingt
war. oder gar schon aus der Befriedigung seiner jungen Umgebung die Be¬
stimmung des Dichters zu vorzugsweiser Befriedigung "gebildeter Männer von
jugendlichl'räftigcr Phantasie" erschlossen wird. Das letztbczeichnete Vomrlheil
wird soweit getrieben, daß Shakespeare ausdrücklich S. 239 der Beruf eines
eigentlichen Bildners und Lehrers der Menschheit abgesprochen wird, wobei nur
vergessen ist, daß es auch ein sittliches Erbauen für alle Altersclassen giebt, das
diesem Dichter in ganz specifischer Weise zugesprochen werden muß. sowie hier¬
orts auch bemerkt werden mag. daß die S. 220 ff. Schiller specifisch nach¬
gerühmte Mission, sein Volk zu bilden, eben auch ein bildungsfähigeres Volk,
als das englische ist. voraussetzt.

Ein anderes Unrecht läßt der Verfasser dem Gegenstand seiner Kritik bei


geben wird, dah der Dichter viel, recht viel von seinem Eigenen in seinen Hamlet
hineingelegthat, so ist doch seine Annahme eines völlig losen Zusammenhangs in
diesem Drama, einer äußerlichen Zusammenlcimung der zwei völlig disparaten
Elemente des Sagen-Amleths und des Hamlet Shakespeares, einer in jedem
Sinn pathologischen Genesis des Stücks nur die Folge von einer Verschließung
gegen alle organische Anschauung des Drama und von einem Rückzug auf die
mechanische Auffassungsweise, wie solches mit dem einseitigen Pragmatismus,
die äußeren Lebensvorgänge des Dichters der Erklärung seiner Leistungen zu
Grund zu legen, zusammenhängt.

Das allzuschnclle Schließen, zu dem sich unser Kritiker durch seine Methode
mit ungünstigen Folgen für den Dichter verleiten läßt, besteht darin, daß die
Ergebnisse der äußerlich biographischen Untersuchung ohne weiteres für den
Endabschluß des Gesammturtheils und der Gesammtschätzung verwendet werden.
Es "wird neben dem Außenleben nicht die doch einzig nur aus den Weri'en
selber zu entnehmende innere Entwicklung des Dichters, neben dem Persönlichen
viel zu wenig das wirklich Sachliche in Rechnung gebracht. Wird z. B. durch
eine treffende historische Combination S. 41 gefunden, daß Shakespeare speciell
sür die männliche Jugend des englischen Adels seine Dramen dichtete, und
hieraus, sowie von dem andern Theil des Theaterpublikums, dem Volk.
44 ff. in ganz plausibler Weise die Einmischung der niedern Komik in die
l)"he Tragödie, die besondere Art des shakespeareschen Wortwitzes, das Reden
in kolossalen Hyperbeln und mitunter auch in Zweideutigkeiten abgeleitet, so
wird mit solchen Ableitungen gleich zu weit gegangen, wenn schon aus der
Rücksichtnahme auf das jugendliche, nach Action begierige Publikum eine Zurück-
stellung der träumerisch sentimentalen Sonettenstimmung in der Tragödie, was
doch an sich schon mit der rechtbegriffenen Ausgabe des tragischen Stils gegeben
war, oder ein Greifen nach den Grundthemcn Liebe und Ehrgeiz, als den zwei
gewaltigsten Triebkräften einer edlen männlichen Jugend, was doch gleichfalls
durch die wirkliche, nicht auf Seelenmalerei hinauslaufende Tragödie bedingt
war. oder gar schon aus der Befriedigung seiner jungen Umgebung die Be¬
stimmung des Dichters zu vorzugsweiser Befriedigung „gebildeter Männer von
jugendlichl'räftigcr Phantasie" erschlossen wird. Das letztbczeichnete Vomrlheil
wird soweit getrieben, daß Shakespeare ausdrücklich S. 239 der Beruf eines
eigentlichen Bildners und Lehrers der Menschheit abgesprochen wird, wobei nur
vergessen ist, daß es auch ein sittliches Erbauen für alle Altersclassen giebt, das
diesem Dichter in ganz specifischer Weise zugesprochen werden muß. sowie hier¬
orts auch bemerkt werden mag. daß die S. 220 ff. Schiller specifisch nach¬
gerühmte Mission, sein Volk zu bilden, eben auch ein bildungsfähigeres Volk,
als das englische ist. voraussetzt.

Ein anderes Unrecht läßt der Verfasser dem Gegenstand seiner Kritik bei


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[0057] geben wird, dah der Dichter viel, recht viel von seinem Eigenen in seinen Hamlet hineingelegthat, so ist doch seine Annahme eines völlig losen Zusammenhangs in diesem Drama, einer äußerlichen Zusammenlcimung der zwei völlig disparaten Elemente des Sagen-Amleths und des Hamlet Shakespeares, einer in jedem Sinn pathologischen Genesis des Stücks nur die Folge von einer Verschließung gegen alle organische Anschauung des Drama und von einem Rückzug auf die mechanische Auffassungsweise, wie solches mit dem einseitigen Pragmatismus, die äußeren Lebensvorgänge des Dichters der Erklärung seiner Leistungen zu Grund zu legen, zusammenhängt. Das allzuschnclle Schließen, zu dem sich unser Kritiker durch seine Methode mit ungünstigen Folgen für den Dichter verleiten läßt, besteht darin, daß die Ergebnisse der äußerlich biographischen Untersuchung ohne weiteres für den Endabschluß des Gesammturtheils und der Gesammtschätzung verwendet werden. Es "wird neben dem Außenleben nicht die doch einzig nur aus den Weri'en selber zu entnehmende innere Entwicklung des Dichters, neben dem Persönlichen viel zu wenig das wirklich Sachliche in Rechnung gebracht. Wird z. B. durch eine treffende historische Combination S. 41 gefunden, daß Shakespeare speciell sür die männliche Jugend des englischen Adels seine Dramen dichtete, und hieraus, sowie von dem andern Theil des Theaterpublikums, dem Volk. 44 ff. in ganz plausibler Weise die Einmischung der niedern Komik in die l)"he Tragödie, die besondere Art des shakespeareschen Wortwitzes, das Reden in kolossalen Hyperbeln und mitunter auch in Zweideutigkeiten abgeleitet, so wird mit solchen Ableitungen gleich zu weit gegangen, wenn schon aus der Rücksichtnahme auf das jugendliche, nach Action begierige Publikum eine Zurück- stellung der träumerisch sentimentalen Sonettenstimmung in der Tragödie, was doch an sich schon mit der rechtbegriffenen Ausgabe des tragischen Stils gegeben war, oder ein Greifen nach den Grundthemcn Liebe und Ehrgeiz, als den zwei gewaltigsten Triebkräften einer edlen männlichen Jugend, was doch gleichfalls durch die wirkliche, nicht auf Seelenmalerei hinauslaufende Tragödie bedingt war. oder gar schon aus der Befriedigung seiner jungen Umgebung die Be¬ stimmung des Dichters zu vorzugsweiser Befriedigung „gebildeter Männer von jugendlichl'räftigcr Phantasie" erschlossen wird. Das letztbczeichnete Vomrlheil wird soweit getrieben, daß Shakespeare ausdrücklich S. 239 der Beruf eines eigentlichen Bildners und Lehrers der Menschheit abgesprochen wird, wobei nur vergessen ist, daß es auch ein sittliches Erbauen für alle Altersclassen giebt, das diesem Dichter in ganz specifischer Weise zugesprochen werden muß. sowie hier¬ orts auch bemerkt werden mag. daß die S. 220 ff. Schiller specifisch nach¬ gerühmte Mission, sein Volk zu bilden, eben auch ein bildungsfähigeres Volk, als das englische ist. voraussetzt. Ein anderes Unrecht läßt der Verfasser dem Gegenstand seiner Kritik bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/57>, abgerufen am 29.05.2024.