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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Nock auffälliger ist der zweite Theil der Circulardepesche. In demselben
Schreiben, in welchem die Mitglieder des Bundes auf Grund der Bundesacte
aufgefordert weiden, ihren Anschluß an Preußen zu erklären, wird ausführlich
deducirt. wie ungenügend, ja unerträglich die Verfassung des deutschen Bundes
geworden sei, und daß Preußen nicht nur in der Herzogthümersrage sich mit
Oestreich auseinanderzusetzen, sondern auch den deutschen Bund zu reformiren
genöthigt sei. Welche Wirkung erwartet man von solcher Mittheilung im gegen¬
wärtigen Augenblicke? Die Wirkung kann doch keine andere sein, als die
Schwachen und Unsicher", welche bei einer Aufhebung des Dualismus im Bunde
ihre eigene Stellung tödtlich bedroht sehen, -- und das ist fast bei allen
deutschen Bundesstaaten der Fall, -- in das Lager des Gegners hinüber¬
zutreiben. In der Stunde, wo man die Freundschaft eines Andern sucht, ihm
zu sagen: ich habe auch mit dir und deiner Existenz abzurechnen, -- ist doch
sicher nicht rathsam. Doch vielleicht verzichtete die Depesche bereits auf den
guten Willen der Regierungen und sie wollte über dieselben hinweg sich an die
Sympathien wenden, welche in der Nation für eine Bundesreform sind. Dann
ist dieser Passus leider nutzlos, denn das gegenwärtige Ministerium muß gänz¬
lich auf das verzichten, was man moralische Eroberungen nennt.

Charakteristisch aber ist die Depesche deshalb, weil sie die politische Persön¬
lichkeit des Mannes, welcher zur Zeit die Geschicke Preußens mehr als ein
Anderer bestimmt, sehr deutlich zeigt! Mit dem Rückhalt, welchen die gegen¬
wärtige Stellung, nicht gewöhnliche Begabung und eine edle Anlage auch dein
politischen Gegner auferlegen, weisen wir auf seine Art, die, seit den ersten
Wochen seines Ministeriums erkennbar, jetzt dem Deutschen und dem Auslande in
Sorgen verständlich wird. Es ist ein geistvoller Mann von unübertrefflicher Elasti¬
cität, um Auskunft nicht verlegen, bereit, sich persönlich einzusetzen, kurz entschlossen,
dem Vernehmen nach im persönlichen Verkehr wie in seinem Privatleben von
großer Liebenswürdigkeit. Aber diese Vorzüge werden überwogen durch einen
Mangel, der verhängnißvoll für ihn selbst und ein Unglück für Preußen zu
werden droht, ihm fehlt eine unbefangene Auffassung der Dinge; die Eindrücke,
welche die Welt in seine Seele sendet, werden ihm zu schnell verzogen, was
der gemeine gesunde Menschenverstand leicht findet, entzieht sich ihm. Auch
seinem Entschluß, wie energisch er erscheine, fehlt die nüchterne Stetigkeit. Wir
Liberale vermissen an ihm außerdem andere Eigenschaften, welche wir an einem
Staatsmanne nicht entbehren können. -- Bei solchem Mangel wird sogar
seine reiche Begabung ein Hinderniß für Erfolge; er wird in seiner politischen
Thätigkeit immer aufregen, ärgern, Einzelne an sich fesseln, aber er wirb ewig
in Gefahr sein, die unrichtigen Mittel auch für ein gutes Ziel zu verwenden,
sich über die Schwierigkeiten und über seine Hilfsquellen gröblich zu täuschen,
statt mit sicherem Entschluß einen Plan zu verfolgen, sich an der Production


Nock auffälliger ist der zweite Theil der Circulardepesche. In demselben
Schreiben, in welchem die Mitglieder des Bundes auf Grund der Bundesacte
aufgefordert weiden, ihren Anschluß an Preußen zu erklären, wird ausführlich
deducirt. wie ungenügend, ja unerträglich die Verfassung des deutschen Bundes
geworden sei, und daß Preußen nicht nur in der Herzogthümersrage sich mit
Oestreich auseinanderzusetzen, sondern auch den deutschen Bund zu reformiren
genöthigt sei. Welche Wirkung erwartet man von solcher Mittheilung im gegen¬
wärtigen Augenblicke? Die Wirkung kann doch keine andere sein, als die
Schwachen und Unsicher», welche bei einer Aufhebung des Dualismus im Bunde
ihre eigene Stellung tödtlich bedroht sehen, — und das ist fast bei allen
deutschen Bundesstaaten der Fall, — in das Lager des Gegners hinüber¬
zutreiben. In der Stunde, wo man die Freundschaft eines Andern sucht, ihm
zu sagen: ich habe auch mit dir und deiner Existenz abzurechnen, — ist doch
sicher nicht rathsam. Doch vielleicht verzichtete die Depesche bereits auf den
guten Willen der Regierungen und sie wollte über dieselben hinweg sich an die
Sympathien wenden, welche in der Nation für eine Bundesreform sind. Dann
ist dieser Passus leider nutzlos, denn das gegenwärtige Ministerium muß gänz¬
lich auf das verzichten, was man moralische Eroberungen nennt.

Charakteristisch aber ist die Depesche deshalb, weil sie die politische Persön¬
lichkeit des Mannes, welcher zur Zeit die Geschicke Preußens mehr als ein
Anderer bestimmt, sehr deutlich zeigt! Mit dem Rückhalt, welchen die gegen¬
wärtige Stellung, nicht gewöhnliche Begabung und eine edle Anlage auch dein
politischen Gegner auferlegen, weisen wir auf seine Art, die, seit den ersten
Wochen seines Ministeriums erkennbar, jetzt dem Deutschen und dem Auslande in
Sorgen verständlich wird. Es ist ein geistvoller Mann von unübertrefflicher Elasti¬
cität, um Auskunft nicht verlegen, bereit, sich persönlich einzusetzen, kurz entschlossen,
dem Vernehmen nach im persönlichen Verkehr wie in seinem Privatleben von
großer Liebenswürdigkeit. Aber diese Vorzüge werden überwogen durch einen
Mangel, der verhängnißvoll für ihn selbst und ein Unglück für Preußen zu
werden droht, ihm fehlt eine unbefangene Auffassung der Dinge; die Eindrücke,
welche die Welt in seine Seele sendet, werden ihm zu schnell verzogen, was
der gemeine gesunde Menschenverstand leicht findet, entzieht sich ihm. Auch
seinem Entschluß, wie energisch er erscheine, fehlt die nüchterne Stetigkeit. Wir
Liberale vermissen an ihm außerdem andere Eigenschaften, welche wir an einem
Staatsmanne nicht entbehren können. — Bei solchem Mangel wird sogar
seine reiche Begabung ein Hinderniß für Erfolge; er wird in seiner politischen
Thätigkeit immer aufregen, ärgern, Einzelne an sich fesseln, aber er wirb ewig
in Gefahr sein, die unrichtigen Mittel auch für ein gutes Ziel zu verwenden,
sich über die Schwierigkeiten und über seine Hilfsquellen gröblich zu täuschen,
statt mit sicherem Entschluß einen Plan zu verfolgen, sich an der Production


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/78>, abgerufen am 31.05.2024.