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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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als möglich Dienstleistungen einer anderen Hand in Anspruch nahm, als auch
der Vorsicht, mit der er über die Hunderte von unscheinbaren, zwischen und in
die Bücher gelegten Zettel wachte, worauf er seine wichtigsten Notizen zu
machen Pflegte. Aber jedenfalls war immer noch ein Theil des Nachmittags
sür die Ärbcii reservirt, auch wenn ihn besonders reizendes Wetter oder irgend¬
eine andere Veranlassung einmal etwas länger und weiter weg von seinem
Hause entführt hatte, als sonst gewöhnlich. Ebenso gehörten ihr die späteren
Abendstunden fast ausnahmslos. Nur in den seltensten Fällen konnte ihn die
rasch vorübergehende Erscheinung eines besonders werthen Gastes auch seiner
Abcndarbeit vergessen machen, aber andere Abhaltungsgründe ließ er nicht gelten.
Da er schon in Berlin allen abendlichen geselligen Verkehr außer dem Hause
aufgegeben hatte, so kam es ihm natürlich nicht in den Sinn, einen solchen
in Rausch wieder anzuknüpfen, wofür dort. d. h. in der nahegelegenen Stadt
Koburg zwar allerlei geeignete Elemente, aber doch keine so dringenden Veran¬
lassungen wie einst in Berlin, oder früher in Erlangen gegeben waren. Erst
in den spätesten ueusesser Jahren verzichtete er auch auf diese der einsamen
Arbeit gewidmeten Abendstunden, ungefähr gleichzeitig mit der Beschränkung
des Frühaufstehens und aus derselben Ursache. Er brachte sie von nun an im Fa-
""lienzimmer zu, wo in der günstigen Jahreszeit und häusig auch in der nun-
^ günstigen fast immer ein und der andere Gast zu finden war. Annal.g
gewöhnte er sich "und an einsamen Abenden sich vorlesen zu lassen, was er in
früheren Jahren durchaus nicht geliebt hatte. Er fühlte sich genirt durch tue
unwillkürliche Nöthigung. sich der mechanischen Gleichförmigkeit dieser Procedur
^ fügen, ohne den Geist je nach Bedürfniß rasch von einem ihm gleichgültigen
Gegenstand zu einem interessanteren gleiten lassen zu können, ebenso rasch dre
Fäden wieder abzubrechen, die das Denken oder die Empfindung eben um eine
sie besonders anregende Stelle zu schlingen im Begriff war.'Später aber überwand er
diese Abneigung, die er einst offen zu bekennen und zu motiviren pflegte, mehr
und nrchr. und sehnte sich wenigstens in diesen Stunde,,, die ohnehin die mei¬
sten gleicher Beschäftigung zugethaner Menschen als natürliche Freistunden zu
betrachten gewöhnt sind, nicht mehr nach seinem einsamen Studirzimmer.

Wer sich also in diese feste Ordnung fügen und es sich gefallen lassen
Wollte, sein Verlangen nach einem engen Verkehr mit dem Hausherrn auf die
Stunden zu vertagen, die er selbst für gewöhnlich nur seinen nächsten Angehö-
rigen zu widmen pflegte, war willkommen. Eben diese sorgten schon auf irgend-
eine Weise dafür, daß nicht zudringliche Neugierde die hergebrachte Abgeschlos-
senheit des Arbeitszimmers gefährdete; denn kam ja einmal eine solche Störung
vor, so ließ sie sich der. dem die angeblich damit verbundene Huldigung zugedacht
war. in seiner unbeschränkten Gutmüthigkeit freilich auch gefallen. ' aber den
Verlust an Zeit konnte er doch nicht recht verschmerzen. So ist es nur wenigen


als möglich Dienstleistungen einer anderen Hand in Anspruch nahm, als auch
der Vorsicht, mit der er über die Hunderte von unscheinbaren, zwischen und in
die Bücher gelegten Zettel wachte, worauf er seine wichtigsten Notizen zu
machen Pflegte. Aber jedenfalls war immer noch ein Theil des Nachmittags
sür die Ärbcii reservirt, auch wenn ihn besonders reizendes Wetter oder irgend¬
eine andere Veranlassung einmal etwas länger und weiter weg von seinem
Hause entführt hatte, als sonst gewöhnlich. Ebenso gehörten ihr die späteren
Abendstunden fast ausnahmslos. Nur in den seltensten Fällen konnte ihn die
rasch vorübergehende Erscheinung eines besonders werthen Gastes auch seiner
Abcndarbeit vergessen machen, aber andere Abhaltungsgründe ließ er nicht gelten.
Da er schon in Berlin allen abendlichen geselligen Verkehr außer dem Hause
aufgegeben hatte, so kam es ihm natürlich nicht in den Sinn, einen solchen
in Rausch wieder anzuknüpfen, wofür dort. d. h. in der nahegelegenen Stadt
Koburg zwar allerlei geeignete Elemente, aber doch keine so dringenden Veran¬
lassungen wie einst in Berlin, oder früher in Erlangen gegeben waren. Erst
in den spätesten ueusesser Jahren verzichtete er auch auf diese der einsamen
Arbeit gewidmeten Abendstunden, ungefähr gleichzeitig mit der Beschränkung
des Frühaufstehens und aus derselben Ursache. Er brachte sie von nun an im Fa-
""lienzimmer zu, wo in der günstigen Jahreszeit und häusig auch in der nun-
^ günstigen fast immer ein und der andere Gast zu finden war. Annal.g
gewöhnte er sich «und an einsamen Abenden sich vorlesen zu lassen, was er in
früheren Jahren durchaus nicht geliebt hatte. Er fühlte sich genirt durch tue
unwillkürliche Nöthigung. sich der mechanischen Gleichförmigkeit dieser Procedur
^ fügen, ohne den Geist je nach Bedürfniß rasch von einem ihm gleichgültigen
Gegenstand zu einem interessanteren gleiten lassen zu können, ebenso rasch dre
Fäden wieder abzubrechen, die das Denken oder die Empfindung eben um eine
sie besonders anregende Stelle zu schlingen im Begriff war.'Später aber überwand er
diese Abneigung, die er einst offen zu bekennen und zu motiviren pflegte, mehr
und nrchr. und sehnte sich wenigstens in diesen Stunde,,, die ohnehin die mei¬
sten gleicher Beschäftigung zugethaner Menschen als natürliche Freistunden zu
betrachten gewöhnt sind, nicht mehr nach seinem einsamen Studirzimmer.

Wer sich also in diese feste Ordnung fügen und es sich gefallen lassen
Wollte, sein Verlangen nach einem engen Verkehr mit dem Hausherrn auf die
Stunden zu vertagen, die er selbst für gewöhnlich nur seinen nächsten Angehö-
rigen zu widmen pflegte, war willkommen. Eben diese sorgten schon auf irgend-
eine Weise dafür, daß nicht zudringliche Neugierde die hergebrachte Abgeschlos-
senheit des Arbeitszimmers gefährdete; denn kam ja einmal eine solche Störung
vor, so ließ sie sich der. dem die angeblich damit verbundene Huldigung zugedacht
war. in seiner unbeschränkten Gutmüthigkeit freilich auch gefallen. ' aber den
Verlust an Zeit konnte er doch nicht recht verschmerzen. So ist es nur wenigen


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[0081] als möglich Dienstleistungen einer anderen Hand in Anspruch nahm, als auch der Vorsicht, mit der er über die Hunderte von unscheinbaren, zwischen und in die Bücher gelegten Zettel wachte, worauf er seine wichtigsten Notizen zu machen Pflegte. Aber jedenfalls war immer noch ein Theil des Nachmittags sür die Ärbcii reservirt, auch wenn ihn besonders reizendes Wetter oder irgend¬ eine andere Veranlassung einmal etwas länger und weiter weg von seinem Hause entführt hatte, als sonst gewöhnlich. Ebenso gehörten ihr die späteren Abendstunden fast ausnahmslos. Nur in den seltensten Fällen konnte ihn die rasch vorübergehende Erscheinung eines besonders werthen Gastes auch seiner Abcndarbeit vergessen machen, aber andere Abhaltungsgründe ließ er nicht gelten. Da er schon in Berlin allen abendlichen geselligen Verkehr außer dem Hause aufgegeben hatte, so kam es ihm natürlich nicht in den Sinn, einen solchen in Rausch wieder anzuknüpfen, wofür dort. d. h. in der nahegelegenen Stadt Koburg zwar allerlei geeignete Elemente, aber doch keine so dringenden Veran¬ lassungen wie einst in Berlin, oder früher in Erlangen gegeben waren. Erst in den spätesten ueusesser Jahren verzichtete er auch auf diese der einsamen Arbeit gewidmeten Abendstunden, ungefähr gleichzeitig mit der Beschränkung des Frühaufstehens und aus derselben Ursache. Er brachte sie von nun an im Fa- ""lienzimmer zu, wo in der günstigen Jahreszeit und häusig auch in der nun- ^ günstigen fast immer ein und der andere Gast zu finden war. Annal.g gewöhnte er sich «und an einsamen Abenden sich vorlesen zu lassen, was er in früheren Jahren durchaus nicht geliebt hatte. Er fühlte sich genirt durch tue unwillkürliche Nöthigung. sich der mechanischen Gleichförmigkeit dieser Procedur ^ fügen, ohne den Geist je nach Bedürfniß rasch von einem ihm gleichgültigen Gegenstand zu einem interessanteren gleiten lassen zu können, ebenso rasch dre Fäden wieder abzubrechen, die das Denken oder die Empfindung eben um eine sie besonders anregende Stelle zu schlingen im Begriff war.'Später aber überwand er diese Abneigung, die er einst offen zu bekennen und zu motiviren pflegte, mehr und nrchr. und sehnte sich wenigstens in diesen Stunde,,, die ohnehin die mei¬ sten gleicher Beschäftigung zugethaner Menschen als natürliche Freistunden zu betrachten gewöhnt sind, nicht mehr nach seinem einsamen Studirzimmer. Wer sich also in diese feste Ordnung fügen und es sich gefallen lassen Wollte, sein Verlangen nach einem engen Verkehr mit dem Hausherrn auf die Stunden zu vertagen, die er selbst für gewöhnlich nur seinen nächsten Angehö- rigen zu widmen pflegte, war willkommen. Eben diese sorgten schon auf irgend- eine Weise dafür, daß nicht zudringliche Neugierde die hergebrachte Abgeschlos- senheit des Arbeitszimmers gefährdete; denn kam ja einmal eine solche Störung vor, so ließ sie sich der. dem die angeblich damit verbundene Huldigung zugedacht war. in seiner unbeschränkten Gutmüthigkeit freilich auch gefallen. ' aber den Verlust an Zeit konnte er doch nicht recht verschmerzen. So ist es nur wenigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/81>, abgerufen am 19.05.2024.