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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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gegensätze, sei es durch das gebieterische Auftreten einer großen politischen Frage,
empfahl sich am besten das neutrale Ministerium, das ungehindert war, in¬
zwischen durch Mitglieder verschiedener Nuancen sich zu verstärken. Bei der
ersten größeren politischen Debatte, welche sich der Kammer darbot, über die
provisorische Forterhcbung des Budgets für die Monate März und April,
handelte es sich darum, ob die Kammer diese Nothwendigkeit der Erhaltung
des Ministeriums Lamarmvra anerkannte oder nicht.

Diese Nothwendigkeit war noch durch einen andern Umstand unausweichlich
geworden. Dem neuen Parlament trat die Lebensfrage Italiens gleich in
einer sehr concreten Gestalt entgegen, in Gestalt der Finanzen. Minister Sella
hatte dem Parlament einen offenen Bericht über die Finanzlage des Königreichs
erstattet, aber die Offenheit seiner Mittheilungen war erfreulicher als deren
Inhalt. Was die wenigen Jahre der Unifikation gekostet hatten, stand nicht
im Verhältniß mit dem Anwachsen des öffentlichen Reichthums in dieser kurzen
Frist. Millionen hatten verausgabt werden müssen, als ein Capital, dessen
Zinsen erst langsam im Lauf der Zeit eingehen können. Die improvisirte
Annexion des volkswirtschaftlich gänzlich unentwickelten Südens war politisch
ein großer Triumph, erwies sich aber als eine schwere Bürde des Staatsschatzes.
Man stand vor einem Deficit von 200 Millionen, dessen Deckung nicht von
der Zukunft, sondern Hom der Gegenwart verlangt wurde. Die Vorschläge,
welche Sella selbst zur Deckung machte, stießen auf heftigen Widerspruch in
der öffentlichen Meinung und machten seinen Rücktritt unvermeidlich. Es
kostete nicht wenig Mühe, bis man in Scialoja einen anderen Finanzmann
fand, der sich die Vorlegung eines neuen Plans getraute. Die Debatte über
seine Vorschläge ist zurückgelegt worden und steht erst noch bevor. Aber die
zwölftägige Debatte, welche der Votirung des provisorischen Budgets voranging,
gab Gelegenheit über alles und jedes zu sprechen, sie verschaffte die Möglichkeit,
die Stärke der Parteien, die Fähigkeiten der IroininW novi, die Universalmittel
der Ministercandidaten, die Wünsche fast jedes Einzelnen kennen zu lernen. Und
so viel Reden, so viele Programme. Leider wurde die Hauptfrage dadurch
kaum gefördert. Daß man Ersparnisse zu machen habe, darüber war so ziem¬
lich alles einig, weniger darüber, worin sie zu bestehen hätten; denn dies stand
andrerseits wieder für alle fest, daß der Staat für kommende Ereignisse gerüstet
sein müsse. Ob die Einen erklärten, Rom müsse vor Venedig, die Andern, Ve¬
nedig müsse vor Rom gewonnen werden, ob die Einen behaupteten, die Finanz¬
frage müsse vor diesen auswärtigen Unternehmungen gelöst sein, die Andern,
ohne die Vollendung der Einheit sei sie überhaupt nicht zu lösen, war im
Ganzen wenig erheblich. Die Hauptsache war, daß von keiner Seite ein aus¬
geführter finanzieller Gegenplan vorgelegt oder auch nur in Aussicht gestellt
wurde. Insbesondere zeigte sich die Linke zwar stark im Negiren, aber unfähig,


gegensätze, sei es durch das gebieterische Auftreten einer großen politischen Frage,
empfahl sich am besten das neutrale Ministerium, das ungehindert war, in¬
zwischen durch Mitglieder verschiedener Nuancen sich zu verstärken. Bei der
ersten größeren politischen Debatte, welche sich der Kammer darbot, über die
provisorische Forterhcbung des Budgets für die Monate März und April,
handelte es sich darum, ob die Kammer diese Nothwendigkeit der Erhaltung
des Ministeriums Lamarmvra anerkannte oder nicht.

Diese Nothwendigkeit war noch durch einen andern Umstand unausweichlich
geworden. Dem neuen Parlament trat die Lebensfrage Italiens gleich in
einer sehr concreten Gestalt entgegen, in Gestalt der Finanzen. Minister Sella
hatte dem Parlament einen offenen Bericht über die Finanzlage des Königreichs
erstattet, aber die Offenheit seiner Mittheilungen war erfreulicher als deren
Inhalt. Was die wenigen Jahre der Unifikation gekostet hatten, stand nicht
im Verhältniß mit dem Anwachsen des öffentlichen Reichthums in dieser kurzen
Frist. Millionen hatten verausgabt werden müssen, als ein Capital, dessen
Zinsen erst langsam im Lauf der Zeit eingehen können. Die improvisirte
Annexion des volkswirtschaftlich gänzlich unentwickelten Südens war politisch
ein großer Triumph, erwies sich aber als eine schwere Bürde des Staatsschatzes.
Man stand vor einem Deficit von 200 Millionen, dessen Deckung nicht von
der Zukunft, sondern Hom der Gegenwart verlangt wurde. Die Vorschläge,
welche Sella selbst zur Deckung machte, stießen auf heftigen Widerspruch in
der öffentlichen Meinung und machten seinen Rücktritt unvermeidlich. Es
kostete nicht wenig Mühe, bis man in Scialoja einen anderen Finanzmann
fand, der sich die Vorlegung eines neuen Plans getraute. Die Debatte über
seine Vorschläge ist zurückgelegt worden und steht erst noch bevor. Aber die
zwölftägige Debatte, welche der Votirung des provisorischen Budgets voranging,
gab Gelegenheit über alles und jedes zu sprechen, sie verschaffte die Möglichkeit,
die Stärke der Parteien, die Fähigkeiten der IroininW novi, die Universalmittel
der Ministercandidaten, die Wünsche fast jedes Einzelnen kennen zu lernen. Und
so viel Reden, so viele Programme. Leider wurde die Hauptfrage dadurch
kaum gefördert. Daß man Ersparnisse zu machen habe, darüber war so ziem¬
lich alles einig, weniger darüber, worin sie zu bestehen hätten; denn dies stand
andrerseits wieder für alle fest, daß der Staat für kommende Ereignisse gerüstet
sein müsse. Ob die Einen erklärten, Rom müsse vor Venedig, die Andern, Ve¬
nedig müsse vor Rom gewonnen werden, ob die Einen behaupteten, die Finanz¬
frage müsse vor diesen auswärtigen Unternehmungen gelöst sein, die Andern,
ohne die Vollendung der Einheit sei sie überhaupt nicht zu lösen, war im
Ganzen wenig erheblich. Die Hauptsache war, daß von keiner Seite ein aus¬
geführter finanzieller Gegenplan vorgelegt oder auch nur in Aussicht gestellt
wurde. Insbesondere zeigte sich die Linke zwar stark im Negiren, aber unfähig,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/98>, abgerufen am 31.05.2024.