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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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hohen Herren der ernestinischen Linie sind Meiningen im 22., Gotha im 24.,
Altenburg und Weimar im 2S. Grade mit dem Könige von Sachsen ver¬
wandt.

Aber welchen Werth man auch sonst auf die eventuelle Erbberechtigung
legen möge, es giebt politische Gründe, welche auf die Entschlüsse Preußens
nicht ohne Einfluß sein dürften. Könnte das Haus Weimar in Sachsen etablirt
werden, so würde dadurch eine neue protestantische Dynastie mit fast zusammen¬
hängendem Grundbesitz, der von der Elbe bis über die Werra reicht, in Mittel¬
deutschland constituirt werden. Es ist sehr zweifelhaft, ob das im Interesse des
deutschen Bundesstaates liegt. Bei Meiningen wäre fast dasselbe Bedenken.
Auf eine Cession seines bisherigen Besitzes aber zu Gunsten der übrigen Ernestiner
würde zuverlässig keines der beiden hohen Häuser eingehen. In jedem dieser
beiden Fälle würde eine neue Familie in Sachsen geschaffen, deren Conservi-
rung dann eine Pflicht Preußens wäre. -- Nur bei einem lebenden Regenten
der ernestinischen Häuser würde Preußen ohne große Schwierigkeit über eine
weitere als lebenslängliche Einsetzung hinwegkommen.

Aus diesen Gründen ist eine solche Einführung verwandter Wettiner nicht
leicht, und der Sachse wird gut thun, wenn er die Andeutungen darüber, welche
von Berlin ausgegangen sind, nicht als einen fertigen Plan auffaßt, die Zu¬
kunft des Königreichs zu bestimmen.

Das nächste Interesse Preußens bei den Verhandlungen mit den sächsischen
Bevollmächtigten ist voraussichtlich, an seinen Forderungen festzuhalten, seine
factische Herrschaft in Sachsen unterdeß zu behaupten und in keinem wesent¬
lichen Punkte nachzugeben. Denn allmälig wird den Sachsen selbst der fürchter¬
liche Ernst ihrer Lage klarer, und wie warm das Herz zu Gunsten der allen
Zustände spricht, der ruhig abwägende Verstand des gescheidten Volkes hat
seinen Widerspruch dagegen begonnen. Es ist ein harter und ein schwerer
Kampf in Seelen, Familien, Parteien, aber die Erkenntniß, daß man nur die
Wahl habe, sich einem neuen, nach jeder Richtung ungenügenden Jnterimisticum
zu fügen, oder sich kurz entschlossen für Preußen zu erklären, wird in vielen
lebendig.

Wer aber, die Rückkehr alter Zeiten von der Hilfe Frankreichs erwartet,
der möge sich nicht täuschen. Kaiser Napoleon wird einen Krieg gegen Preußen
für die größte Gefahr seines Lebens und seiner Dynastie halten, denn er weiß,
daß die allgemeine Wehrpflicht dem kleineren Preußen länger weit besseres
Material zu neuen Heeren schafft, als sein großes Frankreich aufzubringen ver¬
mag. Außerdem zieht sich in dem fernen Südosten über der Türkei ein
Wetter zusammen, das schwerlich noch durch diplomatische Kunst zu beschwören
ist. und die große orientalische Frage wird, wenn sie jetzt zum Austrage


hohen Herren der ernestinischen Linie sind Meiningen im 22., Gotha im 24.,
Altenburg und Weimar im 2S. Grade mit dem Könige von Sachsen ver¬
wandt.

Aber welchen Werth man auch sonst auf die eventuelle Erbberechtigung
legen möge, es giebt politische Gründe, welche auf die Entschlüsse Preußens
nicht ohne Einfluß sein dürften. Könnte das Haus Weimar in Sachsen etablirt
werden, so würde dadurch eine neue protestantische Dynastie mit fast zusammen¬
hängendem Grundbesitz, der von der Elbe bis über die Werra reicht, in Mittel¬
deutschland constituirt werden. Es ist sehr zweifelhaft, ob das im Interesse des
deutschen Bundesstaates liegt. Bei Meiningen wäre fast dasselbe Bedenken.
Auf eine Cession seines bisherigen Besitzes aber zu Gunsten der übrigen Ernestiner
würde zuverlässig keines der beiden hohen Häuser eingehen. In jedem dieser
beiden Fälle würde eine neue Familie in Sachsen geschaffen, deren Conservi-
rung dann eine Pflicht Preußens wäre. — Nur bei einem lebenden Regenten
der ernestinischen Häuser würde Preußen ohne große Schwierigkeit über eine
weitere als lebenslängliche Einsetzung hinwegkommen.

Aus diesen Gründen ist eine solche Einführung verwandter Wettiner nicht
leicht, und der Sachse wird gut thun, wenn er die Andeutungen darüber, welche
von Berlin ausgegangen sind, nicht als einen fertigen Plan auffaßt, die Zu¬
kunft des Königreichs zu bestimmen.

Das nächste Interesse Preußens bei den Verhandlungen mit den sächsischen
Bevollmächtigten ist voraussichtlich, an seinen Forderungen festzuhalten, seine
factische Herrschaft in Sachsen unterdeß zu behaupten und in keinem wesent¬
lichen Punkte nachzugeben. Denn allmälig wird den Sachsen selbst der fürchter¬
liche Ernst ihrer Lage klarer, und wie warm das Herz zu Gunsten der allen
Zustände spricht, der ruhig abwägende Verstand des gescheidten Volkes hat
seinen Widerspruch dagegen begonnen. Es ist ein harter und ein schwerer
Kampf in Seelen, Familien, Parteien, aber die Erkenntniß, daß man nur die
Wahl habe, sich einem neuen, nach jeder Richtung ungenügenden Jnterimisticum
zu fügen, oder sich kurz entschlossen für Preußen zu erklären, wird in vielen
lebendig.

Wer aber, die Rückkehr alter Zeiten von der Hilfe Frankreichs erwartet,
der möge sich nicht täuschen. Kaiser Napoleon wird einen Krieg gegen Preußen
für die größte Gefahr seines Lebens und seiner Dynastie halten, denn er weiß,
daß die allgemeine Wehrpflicht dem kleineren Preußen länger weit besseres
Material zu neuen Heeren schafft, als sein großes Frankreich aufzubringen ver¬
mag. Außerdem zieht sich in dem fernen Südosten über der Türkei ein
Wetter zusammen, das schwerlich noch durch diplomatische Kunst zu beschwören
ist. und die große orientalische Frage wird, wenn sie jetzt zum Austrage


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[0426] hohen Herren der ernestinischen Linie sind Meiningen im 22., Gotha im 24., Altenburg und Weimar im 2S. Grade mit dem Könige von Sachsen ver¬ wandt. Aber welchen Werth man auch sonst auf die eventuelle Erbberechtigung legen möge, es giebt politische Gründe, welche auf die Entschlüsse Preußens nicht ohne Einfluß sein dürften. Könnte das Haus Weimar in Sachsen etablirt werden, so würde dadurch eine neue protestantische Dynastie mit fast zusammen¬ hängendem Grundbesitz, der von der Elbe bis über die Werra reicht, in Mittel¬ deutschland constituirt werden. Es ist sehr zweifelhaft, ob das im Interesse des deutschen Bundesstaates liegt. Bei Meiningen wäre fast dasselbe Bedenken. Auf eine Cession seines bisherigen Besitzes aber zu Gunsten der übrigen Ernestiner würde zuverlässig keines der beiden hohen Häuser eingehen. In jedem dieser beiden Fälle würde eine neue Familie in Sachsen geschaffen, deren Conservi- rung dann eine Pflicht Preußens wäre. — Nur bei einem lebenden Regenten der ernestinischen Häuser würde Preußen ohne große Schwierigkeit über eine weitere als lebenslängliche Einsetzung hinwegkommen. Aus diesen Gründen ist eine solche Einführung verwandter Wettiner nicht leicht, und der Sachse wird gut thun, wenn er die Andeutungen darüber, welche von Berlin ausgegangen sind, nicht als einen fertigen Plan auffaßt, die Zu¬ kunft des Königreichs zu bestimmen. Das nächste Interesse Preußens bei den Verhandlungen mit den sächsischen Bevollmächtigten ist voraussichtlich, an seinen Forderungen festzuhalten, seine factische Herrschaft in Sachsen unterdeß zu behaupten und in keinem wesent¬ lichen Punkte nachzugeben. Denn allmälig wird den Sachsen selbst der fürchter¬ liche Ernst ihrer Lage klarer, und wie warm das Herz zu Gunsten der allen Zustände spricht, der ruhig abwägende Verstand des gescheidten Volkes hat seinen Widerspruch dagegen begonnen. Es ist ein harter und ein schwerer Kampf in Seelen, Familien, Parteien, aber die Erkenntniß, daß man nur die Wahl habe, sich einem neuen, nach jeder Richtung ungenügenden Jnterimisticum zu fügen, oder sich kurz entschlossen für Preußen zu erklären, wird in vielen lebendig. Wer aber, die Rückkehr alter Zeiten von der Hilfe Frankreichs erwartet, der möge sich nicht täuschen. Kaiser Napoleon wird einen Krieg gegen Preußen für die größte Gefahr seines Lebens und seiner Dynastie halten, denn er weiß, daß die allgemeine Wehrpflicht dem kleineren Preußen länger weit besseres Material zu neuen Heeren schafft, als sein großes Frankreich aufzubringen ver¬ mag. Außerdem zieht sich in dem fernen Südosten über der Türkei ein Wetter zusammen, das schwerlich noch durch diplomatische Kunst zu beschwören ist. und die große orientalische Frage wird, wenn sie jetzt zum Austrage

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/426>, abgerufen am 22.05.2024.