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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Münze bezahlt; hie Saldi wurden erst vielleicht in nächster Oster- oder Michaelis¬
messe bei erneutem Tausch ausgeglichen. Die reinen Sortimenter*) waren aller¬
dings zum Kaufen genöthigt und bezogen ihren Bedarf von den sogenannten
Commissionären in Leipzig, die große feste Lager hatten, oder von den größeren
Sortimentshandlungen andrer bedeutender Städte. Die Frachtwagen vermit¬
telten den Verkehr; langsamem Fortschritt huldigend knarrten sie daher, und
wer ein Buch zu Weihnachten haben mochte, durfte sich schon zur Weinlese
darnach umthun.

Nun soll damit durchaus nicht gesagt sein, daß nicht noch heutzutage die
Geduld eines Bücherliebhabers auf bedenkliche Proben gestellt würde. Aber dies
sind doch nur Ausnahmen. Der Buchhandel von heute zeigt ein wesentlich
Verändertes Antlitz. Die Zeit der Eisenbahnen und Telegraphen hat auch ihm
regeres Leben eingehaucht. Frischeres Blut rollt ihm durch die Adern und nur
Pessimisten sagen, das Roth auf seinen Wangen sei fein natürliches und nur
ein Zeichen der Schwindsucht.

Oster- und Michaelismesse sind heutzutage nur noch Zahlterminc. Nament¬
lich die Ostermesse hat für geordnete Sortimentshandlungen und die Verleger
einen angenehmen Klang. Aber der unsolide Sorlimenter fürchtet sie. Denn
sie ist der gefährliche Fels, an dem schon mancher Unglückliche hängen blieb,
um mit all seinen Hoffnungen und Entwürfen unterzugehen.

So haben diese beiden Messen die ursprüngliche Bedeutung verloren. An
die Stelle der zwei Hauplflulhzeiten in liierarischer Hinsicht ist jetzt ein sanfter
buchtMdlcrischer Landregen getreten, der am schwächste" sich in den Sommer"
Monaten ergieß!, am starrsten rinnt, wenn mit den länger werdenden Abenden
die heilige Weihnacht herannaht. Betrachtet man eine bldliopolische Karte von
heute, so staunt man über die Fülle von Handlungen, die sich in dem Herzen
von Deutschland Wahrhaft aneinauderdrängen, in Leipzig "der am stärksten
vertreten sind.

Wenn man uns Deutschen vielleicht mit Recht den Vorwurf macht, daß
wir Gefühlspolitikcr und unpraktisch sind, so darf man uns doch nicht nachsagen,
daß wir in literarisch-buchhändlerischer Hinsicht keinen praktischen Verstand ge¬
zeigt hätten. Schon ein Menschenalter, ehe man an die Möglichkeit einer Main-
Unie dachte, konnten wir sagen, daß wenigstens des deutschen Buchhändlers
Vaterland das ganze Deutschland war und Leipzig war Haupt- und Residenz¬
stadt, Herz und Kopf zusammen.

Genau nach dem Gesetz der Arbeitstheilung hat unser geschäftlicher Mittel¬
punkt sich aus seiner alten Gestalt in seine heutige umgewandelt Aus den



') Der Buchhandel unterscheidet bekanntlich Sortiments- und Verlagsgeschäste, die Sorti¬
menter sind die Verkäufer, die Verleger aber die Fabrikanten.

Münze bezahlt; hie Saldi wurden erst vielleicht in nächster Oster- oder Michaelis¬
messe bei erneutem Tausch ausgeglichen. Die reinen Sortimenter*) waren aller¬
dings zum Kaufen genöthigt und bezogen ihren Bedarf von den sogenannten
Commissionären in Leipzig, die große feste Lager hatten, oder von den größeren
Sortimentshandlungen andrer bedeutender Städte. Die Frachtwagen vermit¬
telten den Verkehr; langsamem Fortschritt huldigend knarrten sie daher, und
wer ein Buch zu Weihnachten haben mochte, durfte sich schon zur Weinlese
darnach umthun.

Nun soll damit durchaus nicht gesagt sein, daß nicht noch heutzutage die
Geduld eines Bücherliebhabers auf bedenkliche Proben gestellt würde. Aber dies
sind doch nur Ausnahmen. Der Buchhandel von heute zeigt ein wesentlich
Verändertes Antlitz. Die Zeit der Eisenbahnen und Telegraphen hat auch ihm
regeres Leben eingehaucht. Frischeres Blut rollt ihm durch die Adern und nur
Pessimisten sagen, das Roth auf seinen Wangen sei fein natürliches und nur
ein Zeichen der Schwindsucht.

Oster- und Michaelismesse sind heutzutage nur noch Zahlterminc. Nament¬
lich die Ostermesse hat für geordnete Sortimentshandlungen und die Verleger
einen angenehmen Klang. Aber der unsolide Sorlimenter fürchtet sie. Denn
sie ist der gefährliche Fels, an dem schon mancher Unglückliche hängen blieb,
um mit all seinen Hoffnungen und Entwürfen unterzugehen.

So haben diese beiden Messen die ursprüngliche Bedeutung verloren. An
die Stelle der zwei Hauplflulhzeiten in liierarischer Hinsicht ist jetzt ein sanfter
buchtMdlcrischer Landregen getreten, der am schwächste» sich in den Sommer«
Monaten ergieß!, am starrsten rinnt, wenn mit den länger werdenden Abenden
die heilige Weihnacht herannaht. Betrachtet man eine bldliopolische Karte von
heute, so staunt man über die Fülle von Handlungen, die sich in dem Herzen
von Deutschland Wahrhaft aneinauderdrängen, in Leipzig «der am stärksten
vertreten sind.

Wenn man uns Deutschen vielleicht mit Recht den Vorwurf macht, daß
wir Gefühlspolitikcr und unpraktisch sind, so darf man uns doch nicht nachsagen,
daß wir in literarisch-buchhändlerischer Hinsicht keinen praktischen Verstand ge¬
zeigt hätten. Schon ein Menschenalter, ehe man an die Möglichkeit einer Main-
Unie dachte, konnten wir sagen, daß wenigstens des deutschen Buchhändlers
Vaterland das ganze Deutschland war und Leipzig war Haupt- und Residenz¬
stadt, Herz und Kopf zusammen.

Genau nach dem Gesetz der Arbeitstheilung hat unser geschäftlicher Mittel¬
punkt sich aus seiner alten Gestalt in seine heutige umgewandelt Aus den



') Der Buchhandel unterscheidet bekanntlich Sortiments- und Verlagsgeschäste, die Sorti¬
menter sind die Verkäufer, die Verleger aber die Fabrikanten.
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[0461] Münze bezahlt; hie Saldi wurden erst vielleicht in nächster Oster- oder Michaelis¬ messe bei erneutem Tausch ausgeglichen. Die reinen Sortimenter*) waren aller¬ dings zum Kaufen genöthigt und bezogen ihren Bedarf von den sogenannten Commissionären in Leipzig, die große feste Lager hatten, oder von den größeren Sortimentshandlungen andrer bedeutender Städte. Die Frachtwagen vermit¬ telten den Verkehr; langsamem Fortschritt huldigend knarrten sie daher, und wer ein Buch zu Weihnachten haben mochte, durfte sich schon zur Weinlese darnach umthun. Nun soll damit durchaus nicht gesagt sein, daß nicht noch heutzutage die Geduld eines Bücherliebhabers auf bedenkliche Proben gestellt würde. Aber dies sind doch nur Ausnahmen. Der Buchhandel von heute zeigt ein wesentlich Verändertes Antlitz. Die Zeit der Eisenbahnen und Telegraphen hat auch ihm regeres Leben eingehaucht. Frischeres Blut rollt ihm durch die Adern und nur Pessimisten sagen, das Roth auf seinen Wangen sei fein natürliches und nur ein Zeichen der Schwindsucht. Oster- und Michaelismesse sind heutzutage nur noch Zahlterminc. Nament¬ lich die Ostermesse hat für geordnete Sortimentshandlungen und die Verleger einen angenehmen Klang. Aber der unsolide Sorlimenter fürchtet sie. Denn sie ist der gefährliche Fels, an dem schon mancher Unglückliche hängen blieb, um mit all seinen Hoffnungen und Entwürfen unterzugehen. So haben diese beiden Messen die ursprüngliche Bedeutung verloren. An die Stelle der zwei Hauplflulhzeiten in liierarischer Hinsicht ist jetzt ein sanfter buchtMdlcrischer Landregen getreten, der am schwächste» sich in den Sommer« Monaten ergieß!, am starrsten rinnt, wenn mit den länger werdenden Abenden die heilige Weihnacht herannaht. Betrachtet man eine bldliopolische Karte von heute, so staunt man über die Fülle von Handlungen, die sich in dem Herzen von Deutschland Wahrhaft aneinauderdrängen, in Leipzig «der am stärksten vertreten sind. Wenn man uns Deutschen vielleicht mit Recht den Vorwurf macht, daß wir Gefühlspolitikcr und unpraktisch sind, so darf man uns doch nicht nachsagen, daß wir in literarisch-buchhändlerischer Hinsicht keinen praktischen Verstand ge¬ zeigt hätten. Schon ein Menschenalter, ehe man an die Möglichkeit einer Main- Unie dachte, konnten wir sagen, daß wenigstens des deutschen Buchhändlers Vaterland das ganze Deutschland war und Leipzig war Haupt- und Residenz¬ stadt, Herz und Kopf zusammen. Genau nach dem Gesetz der Arbeitstheilung hat unser geschäftlicher Mittel¬ punkt sich aus seiner alten Gestalt in seine heutige umgewandelt Aus den ') Der Buchhandel unterscheidet bekanntlich Sortiments- und Verlagsgeschäste, die Sorti¬ menter sind die Verkäufer, die Verleger aber die Fabrikanten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/461>, abgerufen am 22.05.2024.