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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Großherzogthums ist bereits dem preußischen Bunde einverleibt. Und so giebt
es unter den 800,000 Hessen dreierlei Sorten: Halb-Hessen, Viertels-Hessen und
Ganz-Hessen; Hessen mit der Aussicht auf den norddeutschen Bund, Hessen mit
der Aussicht auf die preußische Citadelle und Hessen mit der Aussicht in eine
Sackgasse, welche letztere man auch Blinddarmhessen nennen könnte, denn der
Blinddarm ist ein Eingeweide, das in einem Sack endet.

Schreit ein solcher Wirrwarr nicht zum Himmel auf, und soll Rheinhessen
die traurige Rolle übernehmen, vor der Welt zu documentiren, daß ihm das
Elend und der Plunder des alten deutschen Reichs-Krähwinkels lieber ist. als
die Einheit der Nation?

So klein das hessische Völkchen ist. so hat es vielleicht jetzt die Geschicke
Deutschlands in seiner Hand. Darum bedenke jeder, was er thut. Hessen
steht auf der Grenze zwischen Nord und Süd wie ein geborener Vermittler,
Versöhner, Friedens- und Einheitsstifter. Mit einem Fuß nördlich vom Main^
mit dem andern südlich, mit seiner Confession, seiner Industrie, seiner Sinnes-
weise ebenso sehr nach der einen Seite gehörig wie nach der andern, hat es als
Centrum jetzt den Ausschlag zu geben. Schon ist Baden bereit einzutreten.
Bekenne sich Hessen zur selben Wahl, so folgt Bayern nach, und dann muß sich
Schwaben, der talentvolle Trotzkopf, in das Unvermeidliche finden. Vernunft
anzunehmen. So stehen die Sachen. Hebt Ihr die Hand auf und stimmet für
Männer, welche einen süddeutschen Sonderbund wollen, so habt Ihr die Ver¬
antwortlichkeit auf Euch genommen, in der entscheidenden Stunde das Werk des
Friedens, der Eintracht und der Gestaltung der Nation für lange, vielleicht für
immer zu vernichten. Kommen schwere Verhängnisse über Europa und finden
Deutschland unfertig, zerklüftet, den Süden kopflos wie eben noch und im Haber
mit dem Norden, so könnt Ihr an Eure Brust klopfen und Euch sagen: "wir
haben es so gewollt, wir haben es so verdient. Wir haben darauf bestanden,
den Fluch des Wiener Congresses aufrecht und den Segen der Einheit von
Deutschland fern zu halten. Vergebens sind die Zwingherren von Hannover,
von Kassel, von Nassau dem Geist der Zeit und dem bessern Loos der Nation
gewichen. Wir klammern uns an jeden Perückenstock, den man uns läßt. Das
Blut, das geflossen, ist nicht für uns geflossen. Die Lehren der Geschichte, die
ergangen sind, sind nicht für uns ergangen. Alle Opfer waren vergebens, wir
bleiben stehen, wo wir gestanden; denn wir wollen nichts wissen von Preußen
und seinem Regiment und wenn wieder einmal das Schicksal über uns herein¬
bricht, so werden wir wieder an die Bcnedeks, Alexander und Karl glauben und
wieder an die hilflosen Programme, die wir drucken lassen."

Denkt Ihr aber anders, sehet Ihr, daß es mit diesen Opfern und mit die
sen Lehren genug war, und daß es Zeit ist. für die Einheit Deutschlands zu
stimmen, gleichviel unter welcher Fahne; fällt Eure Wahl aus solche Männer^


Großherzogthums ist bereits dem preußischen Bunde einverleibt. Und so giebt
es unter den 800,000 Hessen dreierlei Sorten: Halb-Hessen, Viertels-Hessen und
Ganz-Hessen; Hessen mit der Aussicht auf den norddeutschen Bund, Hessen mit
der Aussicht auf die preußische Citadelle und Hessen mit der Aussicht in eine
Sackgasse, welche letztere man auch Blinddarmhessen nennen könnte, denn der
Blinddarm ist ein Eingeweide, das in einem Sack endet.

Schreit ein solcher Wirrwarr nicht zum Himmel auf, und soll Rheinhessen
die traurige Rolle übernehmen, vor der Welt zu documentiren, daß ihm das
Elend und der Plunder des alten deutschen Reichs-Krähwinkels lieber ist. als
die Einheit der Nation?

So klein das hessische Völkchen ist. so hat es vielleicht jetzt die Geschicke
Deutschlands in seiner Hand. Darum bedenke jeder, was er thut. Hessen
steht auf der Grenze zwischen Nord und Süd wie ein geborener Vermittler,
Versöhner, Friedens- und Einheitsstifter. Mit einem Fuß nördlich vom Main^
mit dem andern südlich, mit seiner Confession, seiner Industrie, seiner Sinnes-
weise ebenso sehr nach der einen Seite gehörig wie nach der andern, hat es als
Centrum jetzt den Ausschlag zu geben. Schon ist Baden bereit einzutreten.
Bekenne sich Hessen zur selben Wahl, so folgt Bayern nach, und dann muß sich
Schwaben, der talentvolle Trotzkopf, in das Unvermeidliche finden. Vernunft
anzunehmen. So stehen die Sachen. Hebt Ihr die Hand auf und stimmet für
Männer, welche einen süddeutschen Sonderbund wollen, so habt Ihr die Ver¬
antwortlichkeit auf Euch genommen, in der entscheidenden Stunde das Werk des
Friedens, der Eintracht und der Gestaltung der Nation für lange, vielleicht für
immer zu vernichten. Kommen schwere Verhängnisse über Europa und finden
Deutschland unfertig, zerklüftet, den Süden kopflos wie eben noch und im Haber
mit dem Norden, so könnt Ihr an Eure Brust klopfen und Euch sagen: „wir
haben es so gewollt, wir haben es so verdient. Wir haben darauf bestanden,
den Fluch des Wiener Congresses aufrecht und den Segen der Einheit von
Deutschland fern zu halten. Vergebens sind die Zwingherren von Hannover,
von Kassel, von Nassau dem Geist der Zeit und dem bessern Loos der Nation
gewichen. Wir klammern uns an jeden Perückenstock, den man uns läßt. Das
Blut, das geflossen, ist nicht für uns geflossen. Die Lehren der Geschichte, die
ergangen sind, sind nicht für uns ergangen. Alle Opfer waren vergebens, wir
bleiben stehen, wo wir gestanden; denn wir wollen nichts wissen von Preußen
und seinem Regiment und wenn wieder einmal das Schicksal über uns herein¬
bricht, so werden wir wieder an die Bcnedeks, Alexander und Karl glauben und
wieder an die hilflosen Programme, die wir drucken lassen."

Denkt Ihr aber anders, sehet Ihr, daß es mit diesen Opfern und mit die
sen Lehren genug war, und daß es Zeit ist. für die Einheit Deutschlands zu
stimmen, gleichviel unter welcher Fahne; fällt Eure Wahl aus solche Männer^


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[0469] Großherzogthums ist bereits dem preußischen Bunde einverleibt. Und so giebt es unter den 800,000 Hessen dreierlei Sorten: Halb-Hessen, Viertels-Hessen und Ganz-Hessen; Hessen mit der Aussicht auf den norddeutschen Bund, Hessen mit der Aussicht auf die preußische Citadelle und Hessen mit der Aussicht in eine Sackgasse, welche letztere man auch Blinddarmhessen nennen könnte, denn der Blinddarm ist ein Eingeweide, das in einem Sack endet. Schreit ein solcher Wirrwarr nicht zum Himmel auf, und soll Rheinhessen die traurige Rolle übernehmen, vor der Welt zu documentiren, daß ihm das Elend und der Plunder des alten deutschen Reichs-Krähwinkels lieber ist. als die Einheit der Nation? So klein das hessische Völkchen ist. so hat es vielleicht jetzt die Geschicke Deutschlands in seiner Hand. Darum bedenke jeder, was er thut. Hessen steht auf der Grenze zwischen Nord und Süd wie ein geborener Vermittler, Versöhner, Friedens- und Einheitsstifter. Mit einem Fuß nördlich vom Main^ mit dem andern südlich, mit seiner Confession, seiner Industrie, seiner Sinnes- weise ebenso sehr nach der einen Seite gehörig wie nach der andern, hat es als Centrum jetzt den Ausschlag zu geben. Schon ist Baden bereit einzutreten. Bekenne sich Hessen zur selben Wahl, so folgt Bayern nach, und dann muß sich Schwaben, der talentvolle Trotzkopf, in das Unvermeidliche finden. Vernunft anzunehmen. So stehen die Sachen. Hebt Ihr die Hand auf und stimmet für Männer, welche einen süddeutschen Sonderbund wollen, so habt Ihr die Ver¬ antwortlichkeit auf Euch genommen, in der entscheidenden Stunde das Werk des Friedens, der Eintracht und der Gestaltung der Nation für lange, vielleicht für immer zu vernichten. Kommen schwere Verhängnisse über Europa und finden Deutschland unfertig, zerklüftet, den Süden kopflos wie eben noch und im Haber mit dem Norden, so könnt Ihr an Eure Brust klopfen und Euch sagen: „wir haben es so gewollt, wir haben es so verdient. Wir haben darauf bestanden, den Fluch des Wiener Congresses aufrecht und den Segen der Einheit von Deutschland fern zu halten. Vergebens sind die Zwingherren von Hannover, von Kassel, von Nassau dem Geist der Zeit und dem bessern Loos der Nation gewichen. Wir klammern uns an jeden Perückenstock, den man uns läßt. Das Blut, das geflossen, ist nicht für uns geflossen. Die Lehren der Geschichte, die ergangen sind, sind nicht für uns ergangen. Alle Opfer waren vergebens, wir bleiben stehen, wo wir gestanden; denn wir wollen nichts wissen von Preußen und seinem Regiment und wenn wieder einmal das Schicksal über uns herein¬ bricht, so werden wir wieder an die Bcnedeks, Alexander und Karl glauben und wieder an die hilflosen Programme, die wir drucken lassen." Denkt Ihr aber anders, sehet Ihr, daß es mit diesen Opfern und mit die sen Lehren genug war, und daß es Zeit ist. für die Einheit Deutschlands zu stimmen, gleichviel unter welcher Fahne; fällt Eure Wahl aus solche Männer^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/469>, abgerufen am 18.05.2024.