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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Conscription nebst Stellvertretung zu beweisen. Dies war so selbstverständlich,
daß kein Kaufmann oder Fabrikbesitzer von ausgeprägterem liberalen und patrio¬
tischen Bewußtsein sich an der Agitation betheiligen wollte. Sie blieb auf die
weniger politischen Kreise beschränkt, und rief den lebhaften Verdacht hervor, sie
sei wohl gar nur angestiftet zum Behuf einer reaktionäre" Diversion in dem
damaligen geschlossenen Widerstände des Landes gegen die verfassungswidrig
aufrechterhaltene und durchgeführte Armecreform.

Im durchschlagenden Unterschiede von solchen einseitig-selbstsüchtigen Re¬
gungen eines ohnehin bevorzugten Standes verlangen die Handelskammern der
Seestädte jetzt so wenig wie früher, daß ihre junge" Leute der Pflicht im vater¬
ländischen Heere zu dienen überhoben werden. Zwar ist ihnen in den Hanse¬
städten dergleichen bisher nicht zugemuthet worden: sie müßten dort ihren ganzen
Erziehungsgang anders einrichten, um von dem Eintritt in die Armee nicht zur
unrechten Zeit aus ihrer Vorbcrcitungslaufbahn gerissen und um der ihrer
socialen Stellung gemäßen Vortheile des Frciwilligendienstcs theilhaftig zu
werden; und unter allen Umständen hindert sie die Dienstpflicht, so früh wie
sie es bisher guten Theils gewohut waren, übers Meer in fremde Welttheile
zu gehen und dort an den weitausgedehnter Fäden des heimischen Handels¬
verkehrs fortzuspinnen. Aber wenn darin Opfer liegen, so erkennt man diese
in den Hansestädten als nothwendig an, und als möglicherweise aufgewogen
nicht allein durch die großen allgemeine" Segnungen einer machtvollen Einheit,
sondern selbst durch eigenthümliche gute Wirkungen, welche die Thatsache der
allgemeinen Wehrpflicht ohne weiteres haben wird. Sie wird nämlich mit
Wahrscheinlichkeit, ja mit Gewißheit dazu sichren, daß die angehenden Kaufleute
länger auf der Schule bleiben und daß die Lehrzeit abgekürzt wird. Das Eine
ist so wünschenswerth wie das Andere. Jenes wird ihnen einen reicheren Fond
von Wisse" und geschulte" Geisteskräften ins Leben mitgeben, dessen Mangel
sie jetzt wenn nicht alle empfinden, so doch zu oft zu ihrem Schaden ver¬
rathen, gleichviel ob sie sich jenseits des Meeres inmitten fremder Umgebungen
und in einer bald traurig einsamen, bald gewaltig verführerischen Lage be¬
haupten, oder ob sie sich im Vaterlande ökonomisch, social und politisch bewähren
sollen. Die Abkürzung der Lehrzeit aber ist zu diesem positiven Gewinn die negative
Ergänzung. Wie sie jetzt verbracht wird, treibt sie meistens alles höhere Streben
und allen Sinn für geistige Genüsse gründlich aus. Den vorwiegend mechani¬
schen Fertigkeiten, in denen sie den Jüngling ausbildet, entspricht der Platte
Materialismus der Erholungen, zu denen er sich meistens hingezogen fühlt, für
die allein er Spannkraft genug aus dem Einerlei des Comptoirs nut nach Hause
bringt. Hier, wenn irgendwo, würde die Hälfte dem Werthe nach mehr als das
Ganze sein. Die Kaufmannschaft der Hansestädte wird an Bildung und all¬
gemeinem geistigen Schwunge nur gewinne", wenn die allgemeine Wehrpflicht


Conscription nebst Stellvertretung zu beweisen. Dies war so selbstverständlich,
daß kein Kaufmann oder Fabrikbesitzer von ausgeprägterem liberalen und patrio¬
tischen Bewußtsein sich an der Agitation betheiligen wollte. Sie blieb auf die
weniger politischen Kreise beschränkt, und rief den lebhaften Verdacht hervor, sie
sei wohl gar nur angestiftet zum Behuf einer reaktionäre» Diversion in dem
damaligen geschlossenen Widerstände des Landes gegen die verfassungswidrig
aufrechterhaltene und durchgeführte Armecreform.

Im durchschlagenden Unterschiede von solchen einseitig-selbstsüchtigen Re¬
gungen eines ohnehin bevorzugten Standes verlangen die Handelskammern der
Seestädte jetzt so wenig wie früher, daß ihre junge» Leute der Pflicht im vater¬
ländischen Heere zu dienen überhoben werden. Zwar ist ihnen in den Hanse¬
städten dergleichen bisher nicht zugemuthet worden: sie müßten dort ihren ganzen
Erziehungsgang anders einrichten, um von dem Eintritt in die Armee nicht zur
unrechten Zeit aus ihrer Vorbcrcitungslaufbahn gerissen und um der ihrer
socialen Stellung gemäßen Vortheile des Frciwilligendienstcs theilhaftig zu
werden; und unter allen Umständen hindert sie die Dienstpflicht, so früh wie
sie es bisher guten Theils gewohut waren, übers Meer in fremde Welttheile
zu gehen und dort an den weitausgedehnter Fäden des heimischen Handels¬
verkehrs fortzuspinnen. Aber wenn darin Opfer liegen, so erkennt man diese
in den Hansestädten als nothwendig an, und als möglicherweise aufgewogen
nicht allein durch die großen allgemeine» Segnungen einer machtvollen Einheit,
sondern selbst durch eigenthümliche gute Wirkungen, welche die Thatsache der
allgemeinen Wehrpflicht ohne weiteres haben wird. Sie wird nämlich mit
Wahrscheinlichkeit, ja mit Gewißheit dazu sichren, daß die angehenden Kaufleute
länger auf der Schule bleiben und daß die Lehrzeit abgekürzt wird. Das Eine
ist so wünschenswerth wie das Andere. Jenes wird ihnen einen reicheren Fond
von Wisse» und geschulte» Geisteskräften ins Leben mitgeben, dessen Mangel
sie jetzt wenn nicht alle empfinden, so doch zu oft zu ihrem Schaden ver¬
rathen, gleichviel ob sie sich jenseits des Meeres inmitten fremder Umgebungen
und in einer bald traurig einsamen, bald gewaltig verführerischen Lage be¬
haupten, oder ob sie sich im Vaterlande ökonomisch, social und politisch bewähren
sollen. Die Abkürzung der Lehrzeit aber ist zu diesem positiven Gewinn die negative
Ergänzung. Wie sie jetzt verbracht wird, treibt sie meistens alles höhere Streben
und allen Sinn für geistige Genüsse gründlich aus. Den vorwiegend mechani¬
schen Fertigkeiten, in denen sie den Jüngling ausbildet, entspricht der Platte
Materialismus der Erholungen, zu denen er sich meistens hingezogen fühlt, für
die allein er Spannkraft genug aus dem Einerlei des Comptoirs nut nach Hause
bringt. Hier, wenn irgendwo, würde die Hälfte dem Werthe nach mehr als das
Ganze sein. Die Kaufmannschaft der Hansestädte wird an Bildung und all¬
gemeinem geistigen Schwunge nur gewinne», wenn die allgemeine Wehrpflicht


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[0292] Conscription nebst Stellvertretung zu beweisen. Dies war so selbstverständlich, daß kein Kaufmann oder Fabrikbesitzer von ausgeprägterem liberalen und patrio¬ tischen Bewußtsein sich an der Agitation betheiligen wollte. Sie blieb auf die weniger politischen Kreise beschränkt, und rief den lebhaften Verdacht hervor, sie sei wohl gar nur angestiftet zum Behuf einer reaktionäre» Diversion in dem damaligen geschlossenen Widerstände des Landes gegen die verfassungswidrig aufrechterhaltene und durchgeführte Armecreform. Im durchschlagenden Unterschiede von solchen einseitig-selbstsüchtigen Re¬ gungen eines ohnehin bevorzugten Standes verlangen die Handelskammern der Seestädte jetzt so wenig wie früher, daß ihre junge» Leute der Pflicht im vater¬ ländischen Heere zu dienen überhoben werden. Zwar ist ihnen in den Hanse¬ städten dergleichen bisher nicht zugemuthet worden: sie müßten dort ihren ganzen Erziehungsgang anders einrichten, um von dem Eintritt in die Armee nicht zur unrechten Zeit aus ihrer Vorbcrcitungslaufbahn gerissen und um der ihrer socialen Stellung gemäßen Vortheile des Frciwilligendienstcs theilhaftig zu werden; und unter allen Umständen hindert sie die Dienstpflicht, so früh wie sie es bisher guten Theils gewohut waren, übers Meer in fremde Welttheile zu gehen und dort an den weitausgedehnter Fäden des heimischen Handels¬ verkehrs fortzuspinnen. Aber wenn darin Opfer liegen, so erkennt man diese in den Hansestädten als nothwendig an, und als möglicherweise aufgewogen nicht allein durch die großen allgemeine» Segnungen einer machtvollen Einheit, sondern selbst durch eigenthümliche gute Wirkungen, welche die Thatsache der allgemeinen Wehrpflicht ohne weiteres haben wird. Sie wird nämlich mit Wahrscheinlichkeit, ja mit Gewißheit dazu sichren, daß die angehenden Kaufleute länger auf der Schule bleiben und daß die Lehrzeit abgekürzt wird. Das Eine ist so wünschenswerth wie das Andere. Jenes wird ihnen einen reicheren Fond von Wisse» und geschulte» Geisteskräften ins Leben mitgeben, dessen Mangel sie jetzt wenn nicht alle empfinden, so doch zu oft zu ihrem Schaden ver¬ rathen, gleichviel ob sie sich jenseits des Meeres inmitten fremder Umgebungen und in einer bald traurig einsamen, bald gewaltig verführerischen Lage be¬ haupten, oder ob sie sich im Vaterlande ökonomisch, social und politisch bewähren sollen. Die Abkürzung der Lehrzeit aber ist zu diesem positiven Gewinn die negative Ergänzung. Wie sie jetzt verbracht wird, treibt sie meistens alles höhere Streben und allen Sinn für geistige Genüsse gründlich aus. Den vorwiegend mechani¬ schen Fertigkeiten, in denen sie den Jüngling ausbildet, entspricht der Platte Materialismus der Erholungen, zu denen er sich meistens hingezogen fühlt, für die allein er Spannkraft genug aus dem Einerlei des Comptoirs nut nach Hause bringt. Hier, wenn irgendwo, würde die Hälfte dem Werthe nach mehr als das Ganze sein. Die Kaufmannschaft der Hansestädte wird an Bildung und all¬ gemeinem geistigen Schwunge nur gewinne», wenn die allgemeine Wehrpflicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/292>, abgerufen am 16.06.2024.