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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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hat der Bauer des Gebirgs mit seinen Bergwiesen, Wäldern und Herden ge¬
drungenen Rindviehs. Höher hinauf kommen wir dann in die arme Region.
Der Bewohner fühlt sich in der ärmlichen Einsamkeit wohl, aber es kommt
einer Verbannung nach Sibirien gleich und wird für Strafe gehalten, aus dem
warmen Luftkreis der Residenz auf jene Höhen versetzt zu werden, wo d,er
Weinstock zur Mythe wird und der Fruchtbranntwein neben dem Biere herrscht.

Auch politisch bildet unser Staat ein Conglomerat vieler einzelner Souve-
ränetäten, die zum Theil aus halben und Biertclsdörfern bestanden hatten. Als
man sie in und nach den napoleonischen Kriegen zusammenschmiedete, da flammte
der Miniaturparticularismus in den Bezirken einzelner Mediatisirten auf und
der damalige Landesherr ließ seine Truppen marschiren zum Schuh der neuen
Grenzpfähle, die von rebellischen Bauern waren umgerissen worden. Aber die
ehemaligen souveränen Grasen und Fürsten, die heutigen Standesherren, be¬
wahrten, namentlich in den südlichen Landestheilen, aus jener Zeit des eigenen
Glanzes noch lange eine Anhänglichkeit an das östreichische Kaiserhaus. Die
jüngeren Glieder jener Familien dienen meist im kaiserlichen Heer und der
Geburtstag des Kaisers Franz Joseph ist dort feierlich begangen worden. In dem
Staat von Napoleons Gnaden waren schon von Alters her eine Masse von Land-
und Stadtrechten im Gebrauch. Dazu kam noch das französische Recht, das den
neu hinzugekommenen Landestheilen der Hauptsache nach gewährleistet ward.
Der Staat ist somit kein natürliches Ganze, sondern nach dem alten System der
Theilungen und des Länderschachers zusammengebaut; er hat im Lauf der Jahr¬
hunderte seine Gestalt mannigfach verändert, abgetreten, wo er.mußte, und
annectirt, wo er durfte. Schwach ist das Band, welches die einzelnen Theile
enger verbindet, man müßte denn grade die überall in den Landesfarben glän¬
zenden Wegweiser und Grenzpfähle als Bindemittel betrachten, außerdem auch
die officiellen Festtage oder die allerdings mit anderen Staaten gleichmäßig ge¬
führte Nationalhymne, welche die Möglichkeit bietet, den Namen des regierenden
Fürsten oder seinen Rang darin unterzubringen.

Die Bewohner des Landes dürfen sich im Ganzen einer guten Regierung
rühmen. Das Herrscherhaus weist manchen bedeutenden Namen auf und manche
herzgewinnende Erzählung aus den gemüthlichen Zeiten des Patrimonialstaates
lebt noch im Munde des Volks. Früher noch als die meisten anderen Fürsten
ertheilte einer der Regenten dem Lande eine Verfassung und der Zollverein
fand hier fast zuerst eine gute Statt. Es war im Ganzen ein mildes, Patri¬
archales Regiment, in deutscher Weise zuweilen emsig, wo der Fleiß nicht grade
nöthig war, und groß im Kleinen.

Das Jahr 1848 hatte entschieden ungünstig gewirkt. Mit der Verwilde¬
rung der Ansichten über Regierungsgewalt und Volksrecht war auch eine bedenk¬
liche Veränderung des äußeren Menschen vor sich gegangen. Wer erinnert sich


hat der Bauer des Gebirgs mit seinen Bergwiesen, Wäldern und Herden ge¬
drungenen Rindviehs. Höher hinauf kommen wir dann in die arme Region.
Der Bewohner fühlt sich in der ärmlichen Einsamkeit wohl, aber es kommt
einer Verbannung nach Sibirien gleich und wird für Strafe gehalten, aus dem
warmen Luftkreis der Residenz auf jene Höhen versetzt zu werden, wo d,er
Weinstock zur Mythe wird und der Fruchtbranntwein neben dem Biere herrscht.

Auch politisch bildet unser Staat ein Conglomerat vieler einzelner Souve-
ränetäten, die zum Theil aus halben und Biertclsdörfern bestanden hatten. Als
man sie in und nach den napoleonischen Kriegen zusammenschmiedete, da flammte
der Miniaturparticularismus in den Bezirken einzelner Mediatisirten auf und
der damalige Landesherr ließ seine Truppen marschiren zum Schuh der neuen
Grenzpfähle, die von rebellischen Bauern waren umgerissen worden. Aber die
ehemaligen souveränen Grasen und Fürsten, die heutigen Standesherren, be¬
wahrten, namentlich in den südlichen Landestheilen, aus jener Zeit des eigenen
Glanzes noch lange eine Anhänglichkeit an das östreichische Kaiserhaus. Die
jüngeren Glieder jener Familien dienen meist im kaiserlichen Heer und der
Geburtstag des Kaisers Franz Joseph ist dort feierlich begangen worden. In dem
Staat von Napoleons Gnaden waren schon von Alters her eine Masse von Land-
und Stadtrechten im Gebrauch. Dazu kam noch das französische Recht, das den
neu hinzugekommenen Landestheilen der Hauptsache nach gewährleistet ward.
Der Staat ist somit kein natürliches Ganze, sondern nach dem alten System der
Theilungen und des Länderschachers zusammengebaut; er hat im Lauf der Jahr¬
hunderte seine Gestalt mannigfach verändert, abgetreten, wo er.mußte, und
annectirt, wo er durfte. Schwach ist das Band, welches die einzelnen Theile
enger verbindet, man müßte denn grade die überall in den Landesfarben glän¬
zenden Wegweiser und Grenzpfähle als Bindemittel betrachten, außerdem auch
die officiellen Festtage oder die allerdings mit anderen Staaten gleichmäßig ge¬
führte Nationalhymne, welche die Möglichkeit bietet, den Namen des regierenden
Fürsten oder seinen Rang darin unterzubringen.

Die Bewohner des Landes dürfen sich im Ganzen einer guten Regierung
rühmen. Das Herrscherhaus weist manchen bedeutenden Namen auf und manche
herzgewinnende Erzählung aus den gemüthlichen Zeiten des Patrimonialstaates
lebt noch im Munde des Volks. Früher noch als die meisten anderen Fürsten
ertheilte einer der Regenten dem Lande eine Verfassung und der Zollverein
fand hier fast zuerst eine gute Statt. Es war im Ganzen ein mildes, Patri¬
archales Regiment, in deutscher Weise zuweilen emsig, wo der Fleiß nicht grade
nöthig war, und groß im Kleinen.

Das Jahr 1848 hatte entschieden ungünstig gewirkt. Mit der Verwilde¬
rung der Ansichten über Regierungsgewalt und Volksrecht war auch eine bedenk¬
liche Veränderung des äußeren Menschen vor sich gegangen. Wer erinnert sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/46>, abgerufen am 22.05.2024.