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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Einverleibung zwei Vorbehalte, den einen in Betreff der Justiz, den andern in
Betreff der Finanzen. Im ersteren Betreff fordert er, daß an der Rechtsgesetz¬
gebung und der Rechtspflege auch nicht ein Deut geändert werde, bis allenfalls
auf die Stellung des Oberappellationsgerichts. Was den zweiten Punkt an¬
langt, so sagt er:

"Die finanzielle und wirthschaftliche Lage Kurhesseus ist eine total andere,
als die Preußens. Kurhessen, das bis jetzt wenig Wohlhabenheit und geringe
Steucrkraft mitbringt, besitzt auf der andern Seite ein sehr bedeutendes Staats-
vcrmögen. dessen Revenüen, auf das Land verwendet, directe Steuern fast un¬
nöthig machen könnten. Da ist es denn nicht mehr als billig, und das zu
übersehen, wird man die preußische Regierung nicht für sähig halten dürfen,
den Kurhessen die preußische Steuerlast so lange zu ersparen, bis sie zu gleicher
Steuersähigkcit gelangt sind. Liegt es im eignen Interesse Preußens, die ma¬
teriellen Kräfte Kurhesseus in volle Thätigkeit zu bringen, den allgemeinen
Wohlstand zu hindern, so darf man sich gewiß darauf verlassen, daß diesem
Verhältnisse die gebührende Rücksicht und dem Lande zunächst eher Erleichterung
als Bedrückung zu Theil werden wird."

Also auch der Mann, der zuerst den Ruf nach Einverleibung erhob, der
an der Spitze des Unitarismus marschirte, verlangte: Schonung der Rechts-
verfassung, Schonung der Steuerverfassung, Belassung des Staatsvermögens
oder wenigstens eines Theils desselben als Sondcrgut für die Provinz. Und
in der That ergeben sich diese.beiden Forderungen aus der Vergangenheit des
Kurstaates, namentlich unter dem letzten Kurfürsten.

Der Kurfürst Friedrich Wilhelm, von Natur ein unglücklich geartetes Ge¬
müth, ein mißtrauischer und zugleich menschenscheuer Autokrat, empfand die
Beschränkungen, welche ihm die Verfassung auferlegte, doppelt unangenehm,
weil die Uncbenbürtiglcit seiner Ehe seine Nachkommen von der Succession
ausschloß, und er verhindert war, für seine ehelichen Kinder auch nur einen
Theil von dem zu erreichen, was seine Vorfahren ihren Maitressen und deren
Descendenz aus öffentlichen Mitteln mit verschwcndenschen Händen zugewandt
hatten. Da er das Land seinen eigenen Kindern nicht hinterlassen konnte und
er gegen seinen präsumtiven Thronfolger eine Art Idiosynkrasie empfand, welche
ihm noch jetzt, in seinem Ruhestand, zum Troste gereicht -- (denn man hat
ihn in Hanau sagen hören: "Ich -- den Thron verloren, Der -- aber auch"),
-- hatte er nicht jenes Interesse an dem Lande, wie es natürlich ist für einen
Herrscher, der an die unlösbare Verbindung seines Hauses und seines Reiches
glaubt und dem ersteren gerne das letztere groß, wohlhabend, blühend und ge¬
ordnet hinterläßt. Er hatte eine Empfindung wie "-M-of nous I<z Ävluge"
und suchte für seine Kinder, trotz vielfacher Differenzen, die er mit ihnen hatte,
zu retten, was zu retten war. Politisch nicht zu entschuldigen, menschlich sehr


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Einverleibung zwei Vorbehalte, den einen in Betreff der Justiz, den andern in
Betreff der Finanzen. Im ersteren Betreff fordert er, daß an der Rechtsgesetz¬
gebung und der Rechtspflege auch nicht ein Deut geändert werde, bis allenfalls
auf die Stellung des Oberappellationsgerichts. Was den zweiten Punkt an¬
langt, so sagt er:

„Die finanzielle und wirthschaftliche Lage Kurhesseus ist eine total andere,
als die Preußens. Kurhessen, das bis jetzt wenig Wohlhabenheit und geringe
Steucrkraft mitbringt, besitzt auf der andern Seite ein sehr bedeutendes Staats-
vcrmögen. dessen Revenüen, auf das Land verwendet, directe Steuern fast un¬
nöthig machen könnten. Da ist es denn nicht mehr als billig, und das zu
übersehen, wird man die preußische Regierung nicht für sähig halten dürfen,
den Kurhessen die preußische Steuerlast so lange zu ersparen, bis sie zu gleicher
Steuersähigkcit gelangt sind. Liegt es im eignen Interesse Preußens, die ma¬
teriellen Kräfte Kurhesseus in volle Thätigkeit zu bringen, den allgemeinen
Wohlstand zu hindern, so darf man sich gewiß darauf verlassen, daß diesem
Verhältnisse die gebührende Rücksicht und dem Lande zunächst eher Erleichterung
als Bedrückung zu Theil werden wird."

Also auch der Mann, der zuerst den Ruf nach Einverleibung erhob, der
an der Spitze des Unitarismus marschirte, verlangte: Schonung der Rechts-
verfassung, Schonung der Steuerverfassung, Belassung des Staatsvermögens
oder wenigstens eines Theils desselben als Sondcrgut für die Provinz. Und
in der That ergeben sich diese.beiden Forderungen aus der Vergangenheit des
Kurstaates, namentlich unter dem letzten Kurfürsten.

Der Kurfürst Friedrich Wilhelm, von Natur ein unglücklich geartetes Ge¬
müth, ein mißtrauischer und zugleich menschenscheuer Autokrat, empfand die
Beschränkungen, welche ihm die Verfassung auferlegte, doppelt unangenehm,
weil die Uncbenbürtiglcit seiner Ehe seine Nachkommen von der Succession
ausschloß, und er verhindert war, für seine ehelichen Kinder auch nur einen
Theil von dem zu erreichen, was seine Vorfahren ihren Maitressen und deren
Descendenz aus öffentlichen Mitteln mit verschwcndenschen Händen zugewandt
hatten. Da er das Land seinen eigenen Kindern nicht hinterlassen konnte und
er gegen seinen präsumtiven Thronfolger eine Art Idiosynkrasie empfand, welche
ihm noch jetzt, in seinem Ruhestand, zum Troste gereicht — (denn man hat
ihn in Hanau sagen hören: „Ich — den Thron verloren, Der — aber auch"),
— hatte er nicht jenes Interesse an dem Lande, wie es natürlich ist für einen
Herrscher, der an die unlösbare Verbindung seines Hauses und seines Reiches
glaubt und dem ersteren gerne das letztere groß, wohlhabend, blühend und ge¬
ordnet hinterläßt. Er hatte eine Empfindung wie „-M-of nous I<z Ävluge"
und suchte für seine Kinder, trotz vielfacher Differenzen, die er mit ihnen hatte,
zu retten, was zu retten war. Politisch nicht zu entschuldigen, menschlich sehr


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[0173] Einverleibung zwei Vorbehalte, den einen in Betreff der Justiz, den andern in Betreff der Finanzen. Im ersteren Betreff fordert er, daß an der Rechtsgesetz¬ gebung und der Rechtspflege auch nicht ein Deut geändert werde, bis allenfalls auf die Stellung des Oberappellationsgerichts. Was den zweiten Punkt an¬ langt, so sagt er: „Die finanzielle und wirthschaftliche Lage Kurhesseus ist eine total andere, als die Preußens. Kurhessen, das bis jetzt wenig Wohlhabenheit und geringe Steucrkraft mitbringt, besitzt auf der andern Seite ein sehr bedeutendes Staats- vcrmögen. dessen Revenüen, auf das Land verwendet, directe Steuern fast un¬ nöthig machen könnten. Da ist es denn nicht mehr als billig, und das zu übersehen, wird man die preußische Regierung nicht für sähig halten dürfen, den Kurhessen die preußische Steuerlast so lange zu ersparen, bis sie zu gleicher Steuersähigkcit gelangt sind. Liegt es im eignen Interesse Preußens, die ma¬ teriellen Kräfte Kurhesseus in volle Thätigkeit zu bringen, den allgemeinen Wohlstand zu hindern, so darf man sich gewiß darauf verlassen, daß diesem Verhältnisse die gebührende Rücksicht und dem Lande zunächst eher Erleichterung als Bedrückung zu Theil werden wird." Also auch der Mann, der zuerst den Ruf nach Einverleibung erhob, der an der Spitze des Unitarismus marschirte, verlangte: Schonung der Rechts- verfassung, Schonung der Steuerverfassung, Belassung des Staatsvermögens oder wenigstens eines Theils desselben als Sondcrgut für die Provinz. Und in der That ergeben sich diese.beiden Forderungen aus der Vergangenheit des Kurstaates, namentlich unter dem letzten Kurfürsten. Der Kurfürst Friedrich Wilhelm, von Natur ein unglücklich geartetes Ge¬ müth, ein mißtrauischer und zugleich menschenscheuer Autokrat, empfand die Beschränkungen, welche ihm die Verfassung auferlegte, doppelt unangenehm, weil die Uncbenbürtiglcit seiner Ehe seine Nachkommen von der Succession ausschloß, und er verhindert war, für seine ehelichen Kinder auch nur einen Theil von dem zu erreichen, was seine Vorfahren ihren Maitressen und deren Descendenz aus öffentlichen Mitteln mit verschwcndenschen Händen zugewandt hatten. Da er das Land seinen eigenen Kindern nicht hinterlassen konnte und er gegen seinen präsumtiven Thronfolger eine Art Idiosynkrasie empfand, welche ihm noch jetzt, in seinem Ruhestand, zum Troste gereicht — (denn man hat ihn in Hanau sagen hören: „Ich — den Thron verloren, Der — aber auch"), — hatte er nicht jenes Interesse an dem Lande, wie es natürlich ist für einen Herrscher, der an die unlösbare Verbindung seines Hauses und seines Reiches glaubt und dem ersteren gerne das letztere groß, wohlhabend, blühend und ge¬ ordnet hinterläßt. Er hatte eine Empfindung wie „-M-of nous I<z Ävluge" und suchte für seine Kinder, trotz vielfacher Differenzen, die er mit ihnen hatte, zu retten, was zu retten war. Politisch nicht zu entschuldigen, menschlich sehr 21*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/173>, abgerufen am 12.06.2024.