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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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die Bevölkerung ist fleißig und sparsam, intelligent und ehrlich. Man hat es
künstlich arm gemacht, indem man die Entwickelung der productiven Kräfte
nicht nur nicht förderte, sondern auf das Eigenwilligste hemmte, indem man es
zwang, Millionen lahm zu legen und sich den Bissen vom darbenden Munde
weg zu sparen, nur um Kassen zu füllen, welche das Capital der Arbeit und
der Production entzogen. Infolge dieses Verfahrens hat die Bevölkerung keine
Steuerkraft. Gleichwohl hat man die preußische Steuergesetzgebung sofort ein¬
geführt. Hiernach muß das Land in Zukunft an directen Steuern jährlich nach
mäßigem Anschlag -- etwa 90,000 Thaler mehr aufbringen als bisher. Wollte
man nun zu den langjährigen Erdnldungen und Entbehrungen der Vergangen¬
heit und zu den Steuererhöhungen der Gegenwart noch Entziehung des Staats¬
schatzes und des Laudemialfonds hinzufügen, so wäre das nicht nur unbillig,
sondern auch unpolitisch, namentlich in einem Lande, das Preußen mit so
warmen -- mit allzu warmen, sagen die Particularisten -- Sympathien ent¬
gegengekommen ist."---

In der That kann man etwas Richtiges in diesen Ausführungen nicht
verkennen. Jene aufgehäuften Capitalien involviren ein an dem Lande be¬
gangenes Unrecht. Entweder hätte man dieselben zum Vortheil des Landes
verwenden, oder man hätte um so viel weniger Steuern erheben müssen, als sie
ertrugen. Der Staat und sein Oberhaupt haben kein Recht, mehr Steuern zu
heben, als nöthig sind. Es handelt sich hier im Grunde genommen um dem
Volke rechtswidrig entzogene Steuern, welche entweder, wie Professor Endemann
vorschlug, ihm an den in Zukunft zu hebenden directen Abgaben gutgeschrieben,
oder ihm als provinzielles Sondervermögen zu einer wirtschaftlich wohl geregelten
Verwendung für gemeinnützige Zwecke und productive Anlagen ganz oder aller¬
mindestens theilweise zurückzugeben sind, auch wenn man es "par principe"
für nöthig halten sollte, sie vorerst einmal dem preußischen Gesammtsiscus
einzuverleiben.

Der zweite Punkt, dessen Alterirung in dem Lande und namentlich in dem
in der öffentlichen Meinung vorwiegenden Stande der Rechtsgelehrten, nicht ge¬
ringere Mißstimmung erzeugt, ist der kürzlich erfolgte Eingriff in die Ncchts-
und Gerichtsverfassung, die man mit Grund hochhielt. Der oberste Gerichtshof
genoß seit den alten "vveisionos I^Wo-Oasselaiilre" bis zur Gegenwart eine
hohe juristische Autorität. Die aus der neuern Zeit herstammenden Reformen
in dem Prozeßverfahren zeichneten sich. Hannover ausgenommen, vor allen
andern deutschen Ländern durch Zweckmäßigkeit, Klarheit und Einfachheit aus.
Dafür hatten die Stände, den wackeren Friedrich Vetter an der Spitze, gesorgt;
und der Kurfürst hatte keinen Widerspruch dagegen erhoben, weil er das Alles
für gleichgiltigen kleinen juristischen? Kram hielt, der Höchstseine und seiner
Familie Interessen nicht berühre. Selbst in den Zeiten schlimmster Bedrängniß


die Bevölkerung ist fleißig und sparsam, intelligent und ehrlich. Man hat es
künstlich arm gemacht, indem man die Entwickelung der productiven Kräfte
nicht nur nicht förderte, sondern auf das Eigenwilligste hemmte, indem man es
zwang, Millionen lahm zu legen und sich den Bissen vom darbenden Munde
weg zu sparen, nur um Kassen zu füllen, welche das Capital der Arbeit und
der Production entzogen. Infolge dieses Verfahrens hat die Bevölkerung keine
Steuerkraft. Gleichwohl hat man die preußische Steuergesetzgebung sofort ein¬
geführt. Hiernach muß das Land in Zukunft an directen Steuern jährlich nach
mäßigem Anschlag — etwa 90,000 Thaler mehr aufbringen als bisher. Wollte
man nun zu den langjährigen Erdnldungen und Entbehrungen der Vergangen¬
heit und zu den Steuererhöhungen der Gegenwart noch Entziehung des Staats¬
schatzes und des Laudemialfonds hinzufügen, so wäre das nicht nur unbillig,
sondern auch unpolitisch, namentlich in einem Lande, das Preußen mit so
warmen — mit allzu warmen, sagen die Particularisten — Sympathien ent¬
gegengekommen ist."---

In der That kann man etwas Richtiges in diesen Ausführungen nicht
verkennen. Jene aufgehäuften Capitalien involviren ein an dem Lande be¬
gangenes Unrecht. Entweder hätte man dieselben zum Vortheil des Landes
verwenden, oder man hätte um so viel weniger Steuern erheben müssen, als sie
ertrugen. Der Staat und sein Oberhaupt haben kein Recht, mehr Steuern zu
heben, als nöthig sind. Es handelt sich hier im Grunde genommen um dem
Volke rechtswidrig entzogene Steuern, welche entweder, wie Professor Endemann
vorschlug, ihm an den in Zukunft zu hebenden directen Abgaben gutgeschrieben,
oder ihm als provinzielles Sondervermögen zu einer wirtschaftlich wohl geregelten
Verwendung für gemeinnützige Zwecke und productive Anlagen ganz oder aller¬
mindestens theilweise zurückzugeben sind, auch wenn man es „par principe"
für nöthig halten sollte, sie vorerst einmal dem preußischen Gesammtsiscus
einzuverleiben.

Der zweite Punkt, dessen Alterirung in dem Lande und namentlich in dem
in der öffentlichen Meinung vorwiegenden Stande der Rechtsgelehrten, nicht ge¬
ringere Mißstimmung erzeugt, ist der kürzlich erfolgte Eingriff in die Ncchts-
und Gerichtsverfassung, die man mit Grund hochhielt. Der oberste Gerichtshof
genoß seit den alten „vveisionos I^Wo-Oasselaiilre" bis zur Gegenwart eine
hohe juristische Autorität. Die aus der neuern Zeit herstammenden Reformen
in dem Prozeßverfahren zeichneten sich. Hannover ausgenommen, vor allen
andern deutschen Ländern durch Zweckmäßigkeit, Klarheit und Einfachheit aus.
Dafür hatten die Stände, den wackeren Friedrich Vetter an der Spitze, gesorgt;
und der Kurfürst hatte keinen Widerspruch dagegen erhoben, weil er das Alles
für gleichgiltigen kleinen juristischen? Kram hielt, der Höchstseine und seiner
Familie Interessen nicht berühre. Selbst in den Zeiten schlimmster Bedrängniß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/177>, abgerufen am 11.06.2024.