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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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ist dazu die Aenderung der eben erst geschaffenen Verfassung erforderlich? Die
angeführten Gründe sind sehr schwach und wenn der Verfasser z. B. meint, sein
Programm werde zur Heranziehung des Südens nützlich sein, so meinen wir.
es würde weil eher das Gegentheil bewirken. Preußische Minister über den
Ministern und -- Königen in Würtemberg und Bayern! Bis dahin ist noch
ein weiter Weg und wenn bis vor Kurzem, trotz seiner höchst wichtigen Ergeb¬
nisse, das preußische Verfassungs leben die durch die Reactionszeit geschaffene
Kluft zwischen Thron und Volk nicht hat schließen tonnen, so beweist das nicht,
daß dazu das Aufgeben der preußischen Verfassung und gesonderten Volksver¬
tretung nothwendig ist. Der ganze Verlauf der Ereignisse seit der letzten Krise
zeigt vielmehr, daß, wenn die Arbeit an der Einigung Deutschlands, welche
Regierung und Volksvertretung zu gegenseitiger Annäherung nöthigt, auch
weiterhin erforderlich sein wird, dem preußischen Vevfassungslebeu die dem In¬
teresse beider gemäße Nlchiung zu geben, sie ebenso auch genügen wild, das
Bewußtsein von der Nothwendigkeit der Verständigung und des gemeinsamen
Handelns bei beiden wach zu erhalten. Der Verfasser jedoch, obwohl er sich
anscheinend mit der üblen Lage der Liberalen in Peeußcn beschäftigt, bat offen¬
bar die Beseitigung der Kleinstaaterei für das Wichtigste in der deutschen Frage
gehalten und deutet das hin und wieder verständlich genug an. Da wäre es
allerdings der größte Vortheil, wenn den Preußen nachgewiesen werden könnte,
daß ihr Staat eigentlich zu einem gesunden Versassungsleben so unfähig ist als
Mecklenburg oder Lippe-Detmold, daß er so wenig zu einem wirklichen Ver¬
fassungsstaat umgeschaffen werden kann, als etwa eine hundertjährige Eiche noch
nach einer andern Richtung zu biegen ist. Wenn wir von der Einheit Deutsch¬
lands sprechen, ist aber doch wahrlich nicht das Aufgehn des preußischen Staats¬
und Velsassungslebens in einem nur im Nahmen einer neuerlafsenen Verfassung
und auch so erst zur Hälfte vorhandenen Deutschland, sondern das Ausgehn der
Kleinstaaten in Preußen das von der Geschichte angezeigte. Zu unserm Glück.
Denn das Wichtigste für Preußen und für Deutschland ist recht, daß die feudale
Partei hier, die Kleinstaaterei dort beseitigt werde, sondern daß die feste Orga¬
nisation des preußischen Staates, auf welcher die Sicherheit Deutschlands beruht,
nicht Schaden leide.

Wenn wir so genau -wie heute vor 18 Jahren gewußt hätten, daß die
Wiederaufnahme der deutschen Frage erforderlich sein werde / dem preußischen
Verfassungsieben seine Gesundheit zurückzuverschaffen, würde die Erkenntniß doch
unnütz sür uns gewesen sein, denn die Erweckung eines kräftigen Verfassungs-
dewußtseins in Preußen war die Voraussetzung sür eine gedeihliche Wirksamkeit
des Staats in Deutschland. So können wir auch heute einsehen, daß die Lö¬
sung der deutschen Frage durch die neue Verfassung nur angebahnt, nicht voll¬
endet ist. Aber wie durch die Verfassung in Preußen sind wir auch durch die


ist dazu die Aenderung der eben erst geschaffenen Verfassung erforderlich? Die
angeführten Gründe sind sehr schwach und wenn der Verfasser z. B. meint, sein
Programm werde zur Heranziehung des Südens nützlich sein, so meinen wir.
es würde weil eher das Gegentheil bewirken. Preußische Minister über den
Ministern und — Königen in Würtemberg und Bayern! Bis dahin ist noch
ein weiter Weg und wenn bis vor Kurzem, trotz seiner höchst wichtigen Ergeb¬
nisse, das preußische Verfassungs leben die durch die Reactionszeit geschaffene
Kluft zwischen Thron und Volk nicht hat schließen tonnen, so beweist das nicht,
daß dazu das Aufgeben der preußischen Verfassung und gesonderten Volksver¬
tretung nothwendig ist. Der ganze Verlauf der Ereignisse seit der letzten Krise
zeigt vielmehr, daß, wenn die Arbeit an der Einigung Deutschlands, welche
Regierung und Volksvertretung zu gegenseitiger Annäherung nöthigt, auch
weiterhin erforderlich sein wird, dem preußischen Vevfassungslebeu die dem In¬
teresse beider gemäße Nlchiung zu geben, sie ebenso auch genügen wild, das
Bewußtsein von der Nothwendigkeit der Verständigung und des gemeinsamen
Handelns bei beiden wach zu erhalten. Der Verfasser jedoch, obwohl er sich
anscheinend mit der üblen Lage der Liberalen in Peeußcn beschäftigt, bat offen¬
bar die Beseitigung der Kleinstaaterei für das Wichtigste in der deutschen Frage
gehalten und deutet das hin und wieder verständlich genug an. Da wäre es
allerdings der größte Vortheil, wenn den Preußen nachgewiesen werden könnte,
daß ihr Staat eigentlich zu einem gesunden Versassungsleben so unfähig ist als
Mecklenburg oder Lippe-Detmold, daß er so wenig zu einem wirklichen Ver¬
fassungsstaat umgeschaffen werden kann, als etwa eine hundertjährige Eiche noch
nach einer andern Richtung zu biegen ist. Wenn wir von der Einheit Deutsch¬
lands sprechen, ist aber doch wahrlich nicht das Aufgehn des preußischen Staats¬
und Velsassungslebens in einem nur im Nahmen einer neuerlafsenen Verfassung
und auch so erst zur Hälfte vorhandenen Deutschland, sondern das Ausgehn der
Kleinstaaten in Preußen das von der Geschichte angezeigte. Zu unserm Glück.
Denn das Wichtigste für Preußen und für Deutschland ist recht, daß die feudale
Partei hier, die Kleinstaaterei dort beseitigt werde, sondern daß die feste Orga¬
nisation des preußischen Staates, auf welcher die Sicherheit Deutschlands beruht,
nicht Schaden leide.

Wenn wir so genau -wie heute vor 18 Jahren gewußt hätten, daß die
Wiederaufnahme der deutschen Frage erforderlich sein werde / dem preußischen
Verfassungsieben seine Gesundheit zurückzuverschaffen, würde die Erkenntniß doch
unnütz sür uns gewesen sein, denn die Erweckung eines kräftigen Verfassungs-
dewußtseins in Preußen war die Voraussetzung sür eine gedeihliche Wirksamkeit
des Staats in Deutschland. So können wir auch heute einsehen, daß die Lö¬
sung der deutschen Frage durch die neue Verfassung nur angebahnt, nicht voll¬
endet ist. Aber wie durch die Verfassung in Preußen sind wir auch durch die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/30>, abgerufen am 30.05.2024.