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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Daraus erklärt sich auch vielleicht die eigenthümliche Zurückhaltung am
Schluß der Apostelgeschichte, das Schweigen über das Ende des Apostels. Dem
Verfasser war ohne Zweifel das wirkliche Schicksal des Apostels bekannt, aber
in der Zeit, da er schrieb, mochte die Tradition bereits begonnen haben, die ge¬
schichtlichen Spuren zu verwischen und die letzten Erlebnisse desselben in dem
Sinne umzugestalten, daß er mit Petrus auf dem Boden der römischen Welt¬
hauptstadt zusammentreffen sollte. Dieser entstehenden Sagenbildung mochte er
bei der versöhnlichen Absicht, in der er schrieb, nicht entgegentreten, andrerseits
war er ein zu guter Pauliner, um sie zu begünstigen. Es schien ihm
am gerathensten, einen Punkt, der jetzt eben der Rivalität der Par¬
teien zu schaffen machte und ihre mythenbildende Phantasie in Bewegung
setzte, ganz zu ignoriren. Als ob er schon eine Ahnung hätte von dem, was
kommen wird, sucht er die Autorität des Paulus durch einen Kunstgriff sicher
zu stellen. Er erweckt den Schein, als habe eigentlich Paulus zuerst unter den
Juden und dann unter den Heiden in Rom das Evangelium gepredigt, als sei
er der Gründer der Gemeinde, die er doch schon vier Jahre zuvor in dem Briefe,
den er an sie richtete, eine hochberühmte genannt hatte. Damit schien dem Ver¬
fasser für das Ansehen des Paulus in Rom hinreichend gesorgt. Allein der Er¬
folg war anders, als dieser echte Vcrmittlungstheolog sich ihn dachte. Durch sein
Schweigen über des Apostels Ende hatte er gleichsam die Thür offen gelassen,
durch die ungehindert eine Fülle weitern Ueberlieferungsstoffes hereinbringen
konnte und wirklich hereindrang, -- eine Fluth, die in Kurzem auch die schwachen
künstlichen Dämme einriß, die er zum Schutze seines Apostels aufgerichtet hatte.

Unter demjenigen aber, was auf diese Weise die Tradition hinzufügte, um
das Leben des Paulus über das Jahr 64 hinaus weiterzuspinnen, nimmt grade
sein Zusammentreffen mit Petrus die erste Stelle ein. Sollte Petrus zugleich
mit Paulus in Rom gewesen sein, -- und wir werden sehen, welches Interesse
zu dieser Annahme trieb -- so konnte dies nur nach der in der Apostelge¬
schichte geschilderten Zeit, nur während einer zweiten Gefangenschaft des Paulus
gewesen sein. Fällt aber die historische Glaubwürdigkeit der letzteren hin, so
ist auch der Anwesenheit des Petrus in Rom jeder geschichtliche Boden entzogen.




So genügen schon die Angaben der neutestamentlichen Schriften, um den
Widerspruch zu constatiren, in welchem die ^römische Tradition über Petrus,
im Ganzen wie in den einzelnen Theilen, mit der bezeugten Geschichte steht.
Trägt die Annahme, daß Petrus der Stifter der römischen Gemeinde, und
überhaupt vor Paulus in Rom gewesen sei. den Stempel der Erdichtung an
der Stirn, so läßt sich auch diejenige Gestalt der Sage, welche erst nach den
in der Apostelgeschichte erzählten Ereignissen beide Apostel zusammen in Rom
austreten läßt, nur durch willkürliche Hypothesen und gezwungene Auslegungen


Daraus erklärt sich auch vielleicht die eigenthümliche Zurückhaltung am
Schluß der Apostelgeschichte, das Schweigen über das Ende des Apostels. Dem
Verfasser war ohne Zweifel das wirkliche Schicksal des Apostels bekannt, aber
in der Zeit, da er schrieb, mochte die Tradition bereits begonnen haben, die ge¬
schichtlichen Spuren zu verwischen und die letzten Erlebnisse desselben in dem
Sinne umzugestalten, daß er mit Petrus auf dem Boden der römischen Welt¬
hauptstadt zusammentreffen sollte. Dieser entstehenden Sagenbildung mochte er
bei der versöhnlichen Absicht, in der er schrieb, nicht entgegentreten, andrerseits
war er ein zu guter Pauliner, um sie zu begünstigen. Es schien ihm
am gerathensten, einen Punkt, der jetzt eben der Rivalität der Par¬
teien zu schaffen machte und ihre mythenbildende Phantasie in Bewegung
setzte, ganz zu ignoriren. Als ob er schon eine Ahnung hätte von dem, was
kommen wird, sucht er die Autorität des Paulus durch einen Kunstgriff sicher
zu stellen. Er erweckt den Schein, als habe eigentlich Paulus zuerst unter den
Juden und dann unter den Heiden in Rom das Evangelium gepredigt, als sei
er der Gründer der Gemeinde, die er doch schon vier Jahre zuvor in dem Briefe,
den er an sie richtete, eine hochberühmte genannt hatte. Damit schien dem Ver¬
fasser für das Ansehen des Paulus in Rom hinreichend gesorgt. Allein der Er¬
folg war anders, als dieser echte Vcrmittlungstheolog sich ihn dachte. Durch sein
Schweigen über des Apostels Ende hatte er gleichsam die Thür offen gelassen,
durch die ungehindert eine Fülle weitern Ueberlieferungsstoffes hereinbringen
konnte und wirklich hereindrang, — eine Fluth, die in Kurzem auch die schwachen
künstlichen Dämme einriß, die er zum Schutze seines Apostels aufgerichtet hatte.

Unter demjenigen aber, was auf diese Weise die Tradition hinzufügte, um
das Leben des Paulus über das Jahr 64 hinaus weiterzuspinnen, nimmt grade
sein Zusammentreffen mit Petrus die erste Stelle ein. Sollte Petrus zugleich
mit Paulus in Rom gewesen sein, — und wir werden sehen, welches Interesse
zu dieser Annahme trieb — so konnte dies nur nach der in der Apostelge¬
schichte geschilderten Zeit, nur während einer zweiten Gefangenschaft des Paulus
gewesen sein. Fällt aber die historische Glaubwürdigkeit der letzteren hin, so
ist auch der Anwesenheit des Petrus in Rom jeder geschichtliche Boden entzogen.




So genügen schon die Angaben der neutestamentlichen Schriften, um den
Widerspruch zu constatiren, in welchem die ^römische Tradition über Petrus,
im Ganzen wie in den einzelnen Theilen, mit der bezeugten Geschichte steht.
Trägt die Annahme, daß Petrus der Stifter der römischen Gemeinde, und
überhaupt vor Paulus in Rom gewesen sei. den Stempel der Erdichtung an
der Stirn, so läßt sich auch diejenige Gestalt der Sage, welche erst nach den
in der Apostelgeschichte erzählten Ereignissen beide Apostel zusammen in Rom
austreten läßt, nur durch willkürliche Hypothesen und gezwungene Auslegungen


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[0097] Daraus erklärt sich auch vielleicht die eigenthümliche Zurückhaltung am Schluß der Apostelgeschichte, das Schweigen über das Ende des Apostels. Dem Verfasser war ohne Zweifel das wirkliche Schicksal des Apostels bekannt, aber in der Zeit, da er schrieb, mochte die Tradition bereits begonnen haben, die ge¬ schichtlichen Spuren zu verwischen und die letzten Erlebnisse desselben in dem Sinne umzugestalten, daß er mit Petrus auf dem Boden der römischen Welt¬ hauptstadt zusammentreffen sollte. Dieser entstehenden Sagenbildung mochte er bei der versöhnlichen Absicht, in der er schrieb, nicht entgegentreten, andrerseits war er ein zu guter Pauliner, um sie zu begünstigen. Es schien ihm am gerathensten, einen Punkt, der jetzt eben der Rivalität der Par¬ teien zu schaffen machte und ihre mythenbildende Phantasie in Bewegung setzte, ganz zu ignoriren. Als ob er schon eine Ahnung hätte von dem, was kommen wird, sucht er die Autorität des Paulus durch einen Kunstgriff sicher zu stellen. Er erweckt den Schein, als habe eigentlich Paulus zuerst unter den Juden und dann unter den Heiden in Rom das Evangelium gepredigt, als sei er der Gründer der Gemeinde, die er doch schon vier Jahre zuvor in dem Briefe, den er an sie richtete, eine hochberühmte genannt hatte. Damit schien dem Ver¬ fasser für das Ansehen des Paulus in Rom hinreichend gesorgt. Allein der Er¬ folg war anders, als dieser echte Vcrmittlungstheolog sich ihn dachte. Durch sein Schweigen über des Apostels Ende hatte er gleichsam die Thür offen gelassen, durch die ungehindert eine Fülle weitern Ueberlieferungsstoffes hereinbringen konnte und wirklich hereindrang, — eine Fluth, die in Kurzem auch die schwachen künstlichen Dämme einriß, die er zum Schutze seines Apostels aufgerichtet hatte. Unter demjenigen aber, was auf diese Weise die Tradition hinzufügte, um das Leben des Paulus über das Jahr 64 hinaus weiterzuspinnen, nimmt grade sein Zusammentreffen mit Petrus die erste Stelle ein. Sollte Petrus zugleich mit Paulus in Rom gewesen sein, — und wir werden sehen, welches Interesse zu dieser Annahme trieb — so konnte dies nur nach der in der Apostelge¬ schichte geschilderten Zeit, nur während einer zweiten Gefangenschaft des Paulus gewesen sein. Fällt aber die historische Glaubwürdigkeit der letzteren hin, so ist auch der Anwesenheit des Petrus in Rom jeder geschichtliche Boden entzogen. So genügen schon die Angaben der neutestamentlichen Schriften, um den Widerspruch zu constatiren, in welchem die ^römische Tradition über Petrus, im Ganzen wie in den einzelnen Theilen, mit der bezeugten Geschichte steht. Trägt die Annahme, daß Petrus der Stifter der römischen Gemeinde, und überhaupt vor Paulus in Rom gewesen sei. den Stempel der Erdichtung an der Stirn, so läßt sich auch diejenige Gestalt der Sage, welche erst nach den in der Apostelgeschichte erzählten Ereignissen beide Apostel zusammen in Rom austreten läßt, nur durch willkürliche Hypothesen und gezwungene Auslegungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/97>, abgerufen am 19.05.2024.