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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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und 19 Vom Jahre 1790--1791 nicht nur selbst beständig einhalten, sondern
auch durch andere einhalten lassen." Gerade so schlössen in früheren Zeiten die
Reichstage, auf welchen die Stände den Sieg über den Hof davon trugen.
Die alte Verfassung wurde garantirt, aber nicht reformirt.
Die Reform, von deren Nothwendigkeit die Patrioten überzeugt waren, blieb
besseren Zeiten vorbehalten. Vorläufig wurde eine Deputation eingesetzt, welche
die bereits 1792 entworfenen Reformpläne zu prüfen und neu zu bearbeiten hatte.
Sie trat in der That i" Wirksamkeit, prüfte, arbeitete, beschäftigte die politischen
Geister, unterhielt im Lande die Währung und Aufregung, unmittelbare Resul¬
tate lieferte sie aber nicht. Während die Deputation an eine Reform inner¬
halb des Nahmens der Verfassung dachte, machte sich allmälig die Meinung
geltend, daß dieser Rahmen gesprengt werden müsse, um eine wirkliche Reform
durchzuführen. Bis in die zwanziger Jahre sind die Liberalen die eifrigen Ver¬
theidiger der Konstitution; seit den dreißiger Jahren flehen die Conservativen
für dieselbe ein, denken die Liberalen an ihre gründliche Verwandlung. Dieser
Prozeß ist bei Horvs-es eingehend und richtig geschildert. Er giebt uns ein
deutliches Bild der literarischen Bewegung, welche, wie bei allen anderen kleineren
Völkern, mit der politischen Thätigkeit in enger Beziehung steht, sie theilweise
ersetzt und einleitet. Je eifriger das Studium der Volkssprache betrieben, diese
gebessert und geregelt, in den Kreis der Wissenschaften und der Poesie einge¬
führt wurde, desto mehr sank die Bedeutung der alten diplomatischen Sprache,
des Lateinischen, in welcher die konservativen politischen Gedanken allein richtig
ausgedrückt wurden. So lange man im öffentlichen Leben lateinisch sprach, fand
man von Verböczy keinen Anstoß, war die Geschäftsordnung, die Verhandlungs¬
formen, der ganze politische Apparat vollständig und praktisch. Mit dem Schwinden
der Staatssprache erschien auch alles Uebrige lästig, schwerfällig und veraltet.
Die Pflege der Literatur durchbrach ferner die starren Standesunterschiede, ver¬
lieh den gebildeten Männern, auch wenn sie unadeligen Ursprungs waren, das
Recht, in öffentlichen Angelegenheiten mitzuwirken, während der Anspruch roher
Adeliger auf politische Wirksamkeit zweifelhafter wurde. Der simple Landedel¬
mann, in den alten politischen Traditionen allein heimisch, mit den Chicanen
der Constitution wohl vertraut, aber der occioentalen Cultur bar, früher eine
achtenswerthe Persönlichkeit, erscheint jetzt lächerlich. Auch der Gedankenkreis
der Nation erweiterte sich und nahm, da kein Schriftsteller sich auf die magya¬
rische Ureigenthümlichkeit beschränken konnte, immer mehr das im übrigen Europa
herrschende Gepräge an. Dem literarischen Anschluß an den Westen folgte der
wirthschaftliche.

Man möchte der Schilderung Stephan Szochenyis bei Horväth
wärmere Farben wünschen. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß einem Ungarn,
der auch noch an der unmittelbaren Tagespolitik regen Antheil nimmt, sich für die


und 19 Vom Jahre 1790—1791 nicht nur selbst beständig einhalten, sondern
auch durch andere einhalten lassen." Gerade so schlössen in früheren Zeiten die
Reichstage, auf welchen die Stände den Sieg über den Hof davon trugen.
Die alte Verfassung wurde garantirt, aber nicht reformirt.
Die Reform, von deren Nothwendigkeit die Patrioten überzeugt waren, blieb
besseren Zeiten vorbehalten. Vorläufig wurde eine Deputation eingesetzt, welche
die bereits 1792 entworfenen Reformpläne zu prüfen und neu zu bearbeiten hatte.
Sie trat in der That i» Wirksamkeit, prüfte, arbeitete, beschäftigte die politischen
Geister, unterhielt im Lande die Währung und Aufregung, unmittelbare Resul¬
tate lieferte sie aber nicht. Während die Deputation an eine Reform inner¬
halb des Nahmens der Verfassung dachte, machte sich allmälig die Meinung
geltend, daß dieser Rahmen gesprengt werden müsse, um eine wirkliche Reform
durchzuführen. Bis in die zwanziger Jahre sind die Liberalen die eifrigen Ver¬
theidiger der Konstitution; seit den dreißiger Jahren flehen die Conservativen
für dieselbe ein, denken die Liberalen an ihre gründliche Verwandlung. Dieser
Prozeß ist bei Horvs-es eingehend und richtig geschildert. Er giebt uns ein
deutliches Bild der literarischen Bewegung, welche, wie bei allen anderen kleineren
Völkern, mit der politischen Thätigkeit in enger Beziehung steht, sie theilweise
ersetzt und einleitet. Je eifriger das Studium der Volkssprache betrieben, diese
gebessert und geregelt, in den Kreis der Wissenschaften und der Poesie einge¬
führt wurde, desto mehr sank die Bedeutung der alten diplomatischen Sprache,
des Lateinischen, in welcher die konservativen politischen Gedanken allein richtig
ausgedrückt wurden. So lange man im öffentlichen Leben lateinisch sprach, fand
man von Verböczy keinen Anstoß, war die Geschäftsordnung, die Verhandlungs¬
formen, der ganze politische Apparat vollständig und praktisch. Mit dem Schwinden
der Staatssprache erschien auch alles Uebrige lästig, schwerfällig und veraltet.
Die Pflege der Literatur durchbrach ferner die starren Standesunterschiede, ver¬
lieh den gebildeten Männern, auch wenn sie unadeligen Ursprungs waren, das
Recht, in öffentlichen Angelegenheiten mitzuwirken, während der Anspruch roher
Adeliger auf politische Wirksamkeit zweifelhafter wurde. Der simple Landedel¬
mann, in den alten politischen Traditionen allein heimisch, mit den Chicanen
der Constitution wohl vertraut, aber der occioentalen Cultur bar, früher eine
achtenswerthe Persönlichkeit, erscheint jetzt lächerlich. Auch der Gedankenkreis
der Nation erweiterte sich und nahm, da kein Schriftsteller sich auf die magya¬
rische Ureigenthümlichkeit beschränken konnte, immer mehr das im übrigen Europa
herrschende Gepräge an. Dem literarischen Anschluß an den Westen folgte der
wirthschaftliche.

Man möchte der Schilderung Stephan Szochenyis bei Horväth
wärmere Farben wünschen. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß einem Ungarn,
der auch noch an der unmittelbaren Tagespolitik regen Antheil nimmt, sich für die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/10>, abgerufen am 03.05.2024.