Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

thunlich; in Preußen könnte man sagen, wurde er es zu sehr, d. h. dort be¬
nutzten ihn zu ausschließlich die zurückgedrängten, von oben her ohne Noth
verpöntem Demokraten als eine Staffel ihres Wiederemporkommens. Dies
hatte sein Gutes hinsichtlich der Verdeutschung der Massen des preußischen
Volkes, seiner Abstreifung falscher und gefährlicher Selbstgenügsamkeit, allein es
erweiterte die aus den beiderseitigen Programmen nicht folgende Kluft zwischen
dem Nativnalverein und den preußischen Altliberalen, seinen natürlichen Brü¬
dern, zu Regierung und Hof in Berlin.

Damit war das Schicksal des Nationalvereins im Grunde schon entschie¬
den. Er wurde in den ausbrechenden preußischen Verfassungsconflict unlöslich
verflochten, -- getrieben auf einen Umsturz in demselben Staate hinzuarbeiten,
von welchem er in Gegenwart und Zukunft das Heil der Nation erwartete.
Da er bald wahrnehmen mußte, daß alle seine Arbeit zur Bekehrung der Mas¬
sen, zumal in Norddeutschland, zum Glauben an Preußens nationalen Beruf
schlechterdings eitel sei, so lange in Berlin weder eine active und positive deut¬
sche Politik noch ein ehrlich konstitutionelles und liberal reformistisches Regi¬
ment aufkomme, so ließ er natürlich immer mehr ab, eine für den Moment ver¬
gebliche Predigt fortzusetzen, und gesellte seine Anstrengungen zu denen der
preußischen Opposition, um das hauptsächliche Hinderniß alles Fortschritts, das
herrschende System in Berlin zu stürzen. Seine Organe in der Presse, Wo¬
chenschrift und^Süddeutsche Zeitung, forderten seit Ende 1862 das preußische
Volk so deutlich zu einer rücksichtslos durchbrechenden Erhebung auf, wie,sich mitten
in Deutschland nur immer thun ließ. Wenn Graf Eulenburg beide daher im
März oder April 1863 verbot, so that er als einer der Träger des angegriffe¬
nen Systems nichts so ganz Ungereimtes; wenn es auch freilich von höchst un¬
gesunden Zuständen Zeugniß ablegte, daß ein preußischer Minister Blätter ver¬
folgen zu müssen glaubte, deren politische Tendenz vor allem aus Preußens
alleinige Führung in Deutschland hinauslief. Zu diesem Aeußersten waren die
Dinge gediehen, als Oesterreich seinerseits mit dem frankfurter Fürstentage die
Initiative zu einer Bundesreform ergriff, wie es sie allenfalls ertragen konnte,
und selbstverständlich zu dem Zwecke, eine wahrhaft befriedigende Umgestaltung
desto sicherer zu hintertreiben. Es wird den leitenden Köpfen des National¬
vereins zum Ruhme angerechnet werden müssen, daß sie selbst in ihrer tiefsten
Verzweiflung an Preußen auf diesen wiener Köder nicht aubissen. Ebensowe-
nig vermochten sie freilich in der damaligen theoretischen Appellation des Herrn
v. Bismarck an ein deutsches Parlament mehr als eine Phrase zu erblicken.

Da zerriß mit dem Tode Friedrich des Siebenten von Dänemark das
staatsrechtliche Band, welches allein nach deutscher AuffassungSchleswig-Holstein
an die dänische Krone knüpfte. Der Nationalverein, der die Schleswig-holstei-
nische Frage von jeher ernst genommen hatte und den holsteinischen Patrioten


Grenzboten IV- 1867. 14

thunlich; in Preußen könnte man sagen, wurde er es zu sehr, d. h. dort be¬
nutzten ihn zu ausschließlich die zurückgedrängten, von oben her ohne Noth
verpöntem Demokraten als eine Staffel ihres Wiederemporkommens. Dies
hatte sein Gutes hinsichtlich der Verdeutschung der Massen des preußischen
Volkes, seiner Abstreifung falscher und gefährlicher Selbstgenügsamkeit, allein es
erweiterte die aus den beiderseitigen Programmen nicht folgende Kluft zwischen
dem Nativnalverein und den preußischen Altliberalen, seinen natürlichen Brü¬
dern, zu Regierung und Hof in Berlin.

Damit war das Schicksal des Nationalvereins im Grunde schon entschie¬
den. Er wurde in den ausbrechenden preußischen Verfassungsconflict unlöslich
verflochten, — getrieben auf einen Umsturz in demselben Staate hinzuarbeiten,
von welchem er in Gegenwart und Zukunft das Heil der Nation erwartete.
Da er bald wahrnehmen mußte, daß alle seine Arbeit zur Bekehrung der Mas¬
sen, zumal in Norddeutschland, zum Glauben an Preußens nationalen Beruf
schlechterdings eitel sei, so lange in Berlin weder eine active und positive deut¬
sche Politik noch ein ehrlich konstitutionelles und liberal reformistisches Regi¬
ment aufkomme, so ließ er natürlich immer mehr ab, eine für den Moment ver¬
gebliche Predigt fortzusetzen, und gesellte seine Anstrengungen zu denen der
preußischen Opposition, um das hauptsächliche Hinderniß alles Fortschritts, das
herrschende System in Berlin zu stürzen. Seine Organe in der Presse, Wo¬
chenschrift und^Süddeutsche Zeitung, forderten seit Ende 1862 das preußische
Volk so deutlich zu einer rücksichtslos durchbrechenden Erhebung auf, wie,sich mitten
in Deutschland nur immer thun ließ. Wenn Graf Eulenburg beide daher im
März oder April 1863 verbot, so that er als einer der Träger des angegriffe¬
nen Systems nichts so ganz Ungereimtes; wenn es auch freilich von höchst un¬
gesunden Zuständen Zeugniß ablegte, daß ein preußischer Minister Blätter ver¬
folgen zu müssen glaubte, deren politische Tendenz vor allem aus Preußens
alleinige Führung in Deutschland hinauslief. Zu diesem Aeußersten waren die
Dinge gediehen, als Oesterreich seinerseits mit dem frankfurter Fürstentage die
Initiative zu einer Bundesreform ergriff, wie es sie allenfalls ertragen konnte,
und selbstverständlich zu dem Zwecke, eine wahrhaft befriedigende Umgestaltung
desto sicherer zu hintertreiben. Es wird den leitenden Köpfen des National¬
vereins zum Ruhme angerechnet werden müssen, daß sie selbst in ihrer tiefsten
Verzweiflung an Preußen auf diesen wiener Köder nicht aubissen. Ebensowe-
nig vermochten sie freilich in der damaligen theoretischen Appellation des Herrn
v. Bismarck an ein deutsches Parlament mehr als eine Phrase zu erblicken.

Da zerriß mit dem Tode Friedrich des Siebenten von Dänemark das
staatsrechtliche Band, welches allein nach deutscher AuffassungSchleswig-Holstein
an die dänische Krone knüpfte. Der Nationalverein, der die Schleswig-holstei-
nische Frage von jeher ernst genommen hatte und den holsteinischen Patrioten


Grenzboten IV- 1867. 14
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0109" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191870"/>
          <p xml:id="ID_256" prev="#ID_255"> thunlich; in Preußen könnte man sagen, wurde er es zu sehr, d. h. dort be¬<lb/>
nutzten ihn zu ausschließlich die zurückgedrängten, von oben her ohne Noth<lb/>
verpöntem Demokraten als eine Staffel ihres Wiederemporkommens. Dies<lb/>
hatte sein Gutes hinsichtlich der Verdeutschung der Massen des preußischen<lb/>
Volkes, seiner Abstreifung falscher und gefährlicher Selbstgenügsamkeit, allein es<lb/>
erweiterte die aus den beiderseitigen Programmen nicht folgende Kluft zwischen<lb/>
dem Nativnalverein und den preußischen Altliberalen, seinen natürlichen Brü¬<lb/>
dern, zu Regierung und Hof in Berlin.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_257"> Damit war das Schicksal des Nationalvereins im Grunde schon entschie¬<lb/>
den. Er wurde in den ausbrechenden preußischen Verfassungsconflict unlöslich<lb/>
verflochten, &#x2014; getrieben auf einen Umsturz in demselben Staate hinzuarbeiten,<lb/>
von welchem er in Gegenwart und Zukunft das Heil der Nation erwartete.<lb/>
Da er bald wahrnehmen mußte, daß alle seine Arbeit zur Bekehrung der Mas¬<lb/>
sen, zumal in Norddeutschland, zum Glauben an Preußens nationalen Beruf<lb/>
schlechterdings eitel sei, so lange in Berlin weder eine active und positive deut¬<lb/>
sche Politik noch ein ehrlich konstitutionelles und liberal reformistisches Regi¬<lb/>
ment aufkomme, so ließ er natürlich immer mehr ab, eine für den Moment ver¬<lb/>
gebliche Predigt fortzusetzen, und gesellte seine Anstrengungen zu denen der<lb/>
preußischen Opposition, um das hauptsächliche Hinderniß alles Fortschritts, das<lb/>
herrschende System in Berlin zu stürzen. Seine Organe in der Presse, Wo¬<lb/>
chenschrift und^Süddeutsche Zeitung, forderten seit Ende 1862 das preußische<lb/>
Volk so deutlich zu einer rücksichtslos durchbrechenden Erhebung auf, wie,sich mitten<lb/>
in Deutschland nur immer thun ließ. Wenn Graf Eulenburg beide daher im<lb/>
März oder April 1863 verbot, so that er als einer der Träger des angegriffe¬<lb/>
nen Systems nichts so ganz Ungereimtes; wenn es auch freilich von höchst un¬<lb/>
gesunden Zuständen Zeugniß ablegte, daß ein preußischer Minister Blätter ver¬<lb/>
folgen zu müssen glaubte, deren politische Tendenz vor allem aus Preußens<lb/>
alleinige Führung in Deutschland hinauslief. Zu diesem Aeußersten waren die<lb/>
Dinge gediehen, als Oesterreich seinerseits mit dem frankfurter Fürstentage die<lb/>
Initiative zu einer Bundesreform ergriff, wie es sie allenfalls ertragen konnte,<lb/>
und selbstverständlich zu dem Zwecke, eine wahrhaft befriedigende Umgestaltung<lb/>
desto sicherer zu hintertreiben. Es wird den leitenden Köpfen des National¬<lb/>
vereins zum Ruhme angerechnet werden müssen, daß sie selbst in ihrer tiefsten<lb/>
Verzweiflung an Preußen auf diesen wiener Köder nicht aubissen. Ebensowe-<lb/>
nig vermochten sie freilich in der damaligen theoretischen Appellation des Herrn<lb/>
v. Bismarck an ein deutsches Parlament mehr als eine Phrase zu erblicken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_258" next="#ID_259"> Da zerriß mit dem Tode Friedrich des Siebenten von Dänemark das<lb/>
staatsrechtliche Band, welches allein nach deutscher AuffassungSchleswig-Holstein<lb/>
an die dänische Krone knüpfte. Der Nationalverein, der die Schleswig-holstei-<lb/>
nische Frage von jeher ernst genommen hatte und den holsteinischen Patrioten</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV- 1867. 14</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0109] thunlich; in Preußen könnte man sagen, wurde er es zu sehr, d. h. dort be¬ nutzten ihn zu ausschließlich die zurückgedrängten, von oben her ohne Noth verpöntem Demokraten als eine Staffel ihres Wiederemporkommens. Dies hatte sein Gutes hinsichtlich der Verdeutschung der Massen des preußischen Volkes, seiner Abstreifung falscher und gefährlicher Selbstgenügsamkeit, allein es erweiterte die aus den beiderseitigen Programmen nicht folgende Kluft zwischen dem Nativnalverein und den preußischen Altliberalen, seinen natürlichen Brü¬ dern, zu Regierung und Hof in Berlin. Damit war das Schicksal des Nationalvereins im Grunde schon entschie¬ den. Er wurde in den ausbrechenden preußischen Verfassungsconflict unlöslich verflochten, — getrieben auf einen Umsturz in demselben Staate hinzuarbeiten, von welchem er in Gegenwart und Zukunft das Heil der Nation erwartete. Da er bald wahrnehmen mußte, daß alle seine Arbeit zur Bekehrung der Mas¬ sen, zumal in Norddeutschland, zum Glauben an Preußens nationalen Beruf schlechterdings eitel sei, so lange in Berlin weder eine active und positive deut¬ sche Politik noch ein ehrlich konstitutionelles und liberal reformistisches Regi¬ ment aufkomme, so ließ er natürlich immer mehr ab, eine für den Moment ver¬ gebliche Predigt fortzusetzen, und gesellte seine Anstrengungen zu denen der preußischen Opposition, um das hauptsächliche Hinderniß alles Fortschritts, das herrschende System in Berlin zu stürzen. Seine Organe in der Presse, Wo¬ chenschrift und^Süddeutsche Zeitung, forderten seit Ende 1862 das preußische Volk so deutlich zu einer rücksichtslos durchbrechenden Erhebung auf, wie,sich mitten in Deutschland nur immer thun ließ. Wenn Graf Eulenburg beide daher im März oder April 1863 verbot, so that er als einer der Träger des angegriffe¬ nen Systems nichts so ganz Ungereimtes; wenn es auch freilich von höchst un¬ gesunden Zuständen Zeugniß ablegte, daß ein preußischer Minister Blätter ver¬ folgen zu müssen glaubte, deren politische Tendenz vor allem aus Preußens alleinige Führung in Deutschland hinauslief. Zu diesem Aeußersten waren die Dinge gediehen, als Oesterreich seinerseits mit dem frankfurter Fürstentage die Initiative zu einer Bundesreform ergriff, wie es sie allenfalls ertragen konnte, und selbstverständlich zu dem Zwecke, eine wahrhaft befriedigende Umgestaltung desto sicherer zu hintertreiben. Es wird den leitenden Köpfen des National¬ vereins zum Ruhme angerechnet werden müssen, daß sie selbst in ihrer tiefsten Verzweiflung an Preußen auf diesen wiener Köder nicht aubissen. Ebensowe- nig vermochten sie freilich in der damaligen theoretischen Appellation des Herrn v. Bismarck an ein deutsches Parlament mehr als eine Phrase zu erblicken. Da zerriß mit dem Tode Friedrich des Siebenten von Dänemark das staatsrechtliche Band, welches allein nach deutscher AuffassungSchleswig-Holstein an die dänische Krone knüpfte. Der Nationalverein, der die Schleswig-holstei- nische Frage von jeher ernst genommen hatte und den holsteinischen Patrioten Grenzboten IV- 1867. 14

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/109
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/109>, abgerufen am 20.05.2024.