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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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1. Das Recht, alle Streitigkeiten unter einander vor den eigenen Gerichten
nach nationalem Rechte abzumachen,
2. Das Recht, bei jeder Verhandlung vor einem türkischen Gerichte die Ge¬
genwart eines Delegirten der Gesandschaft oder des Konsulats verlangen
zu dürfen,
3. Das Recht nur durch die eigenen Behörden exequirt zu werden; (mag das
Erkenntniß von dieser Behörde oder von einem türkischen Gericht gefällt
sein, die Execution kann nur durch das Konsulat vollstreckt werden),
4. Das Recht der Unverletzlichkeit des Hauses, d. h. kein türkischer Beamter
darf ohne Erlaubniß des Konsulats in ein von einem Fremden bewohn¬
tes Haus eintreten.
5. Das Recht, keine directen Steuern und Abgaben, namentlich nicht die
Kopfsteuer zu zahlen.

Diese Bestimmungen, die anfangs dazu dienten, die Fremden vor Eigen¬
mächtigkeiten der türkischen Behörden zu schützen, sind allmählig, bedeutende
Vorrechte geworden. Die Privilegien sind theilweise sogar, namentlich was die
Abgabensreiheit betrifft, für das türkische Reich drückend, und deswegen wird
man bald nicht ablehnen können, in dieser oder jener Hinsicht Modifikationen
der Kapitulationen eintreten zu lassen.

Wie der Grundsatz der Persönlichkeit des Rechts in der Türkei bei der
Menge der vorhandenen Nationen sich hat durchführen lassen, wird in Europa
schwer zu begreifen sein. Darauf näher einzugehen, würde aber hier zu weit
führen und deswegen bemerke ich nur, daß die dem Orient eigenthümliche und
auch in dem Quartiergesetz sich äußerlich darstellende Ra^entrennung die Be¬
rührungspunkte der einzelnen nationalen auf wenige Gebiete beschränkt.

Daß nun die Mobilien als zur Sphäre des Besitzers gehörig nach dessen
Recht beurtheilt werden, ist einleuchtend. Die Anwendung dieses Princips aber
auf Immobilien ist eine Unmöglichkeit.

Solange die Unterthanen des Sultans allein Grundbesitzer waren, machte
die Sache keine Schwierigkeit. Da jede Angelegenheit, die vor türkische Ge¬
richte kam. nach türkischem Recht beurtheilt wurde, und da die Einmischung
dieser Gerichte gesetzlich fast bei jeder Veränderung in Betreff der Immobilien
stattfand, so kam das Scheriat in dieser Beziehung beinahe ausschließlich in
Anwendung. Anders würde die Sache sich aber gestalten, wenn den Fremden der
Besitz der Immobilien mit dem Recht zugestanden würde, auf düselben die Privile¬
gien der Kapitulationen anzuwenden. In diesem Falle würde eine Beseitigung der
fremden Gesetze und namentlich der darauf sich gründenden Rechte dritter Personen
unmöglich sein. Selbst wenn die türkischen Gerichte in diesem oder jenem Specialfalle
bei einem Processe, in dem ein Türke betheiligt wäre, nach dem Scheriat er-


1. Das Recht, alle Streitigkeiten unter einander vor den eigenen Gerichten
nach nationalem Rechte abzumachen,
2. Das Recht, bei jeder Verhandlung vor einem türkischen Gerichte die Ge¬
genwart eines Delegirten der Gesandschaft oder des Konsulats verlangen
zu dürfen,
3. Das Recht nur durch die eigenen Behörden exequirt zu werden; (mag das
Erkenntniß von dieser Behörde oder von einem türkischen Gericht gefällt
sein, die Execution kann nur durch das Konsulat vollstreckt werden),
4. Das Recht der Unverletzlichkeit des Hauses, d. h. kein türkischer Beamter
darf ohne Erlaubniß des Konsulats in ein von einem Fremden bewohn¬
tes Haus eintreten.
5. Das Recht, keine directen Steuern und Abgaben, namentlich nicht die
Kopfsteuer zu zahlen.

Diese Bestimmungen, die anfangs dazu dienten, die Fremden vor Eigen¬
mächtigkeiten der türkischen Behörden zu schützen, sind allmählig, bedeutende
Vorrechte geworden. Die Privilegien sind theilweise sogar, namentlich was die
Abgabensreiheit betrifft, für das türkische Reich drückend, und deswegen wird
man bald nicht ablehnen können, in dieser oder jener Hinsicht Modifikationen
der Kapitulationen eintreten zu lassen.

Wie der Grundsatz der Persönlichkeit des Rechts in der Türkei bei der
Menge der vorhandenen Nationen sich hat durchführen lassen, wird in Europa
schwer zu begreifen sein. Darauf näher einzugehen, würde aber hier zu weit
führen und deswegen bemerke ich nur, daß die dem Orient eigenthümliche und
auch in dem Quartiergesetz sich äußerlich darstellende Ra^entrennung die Be¬
rührungspunkte der einzelnen nationalen auf wenige Gebiete beschränkt.

Daß nun die Mobilien als zur Sphäre des Besitzers gehörig nach dessen
Recht beurtheilt werden, ist einleuchtend. Die Anwendung dieses Princips aber
auf Immobilien ist eine Unmöglichkeit.

Solange die Unterthanen des Sultans allein Grundbesitzer waren, machte
die Sache keine Schwierigkeit. Da jede Angelegenheit, die vor türkische Ge¬
richte kam. nach türkischem Recht beurtheilt wurde, und da die Einmischung
dieser Gerichte gesetzlich fast bei jeder Veränderung in Betreff der Immobilien
stattfand, so kam das Scheriat in dieser Beziehung beinahe ausschließlich in
Anwendung. Anders würde die Sache sich aber gestalten, wenn den Fremden der
Besitz der Immobilien mit dem Recht zugestanden würde, auf düselben die Privile¬
gien der Kapitulationen anzuwenden. In diesem Falle würde eine Beseitigung der
fremden Gesetze und namentlich der darauf sich gründenden Rechte dritter Personen
unmöglich sein. Selbst wenn die türkischen Gerichte in diesem oder jenem Specialfalle
bei einem Processe, in dem ein Türke betheiligt wäre, nach dem Scheriat er-


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[0137] 1. Das Recht, alle Streitigkeiten unter einander vor den eigenen Gerichten nach nationalem Rechte abzumachen, 2. Das Recht, bei jeder Verhandlung vor einem türkischen Gerichte die Ge¬ genwart eines Delegirten der Gesandschaft oder des Konsulats verlangen zu dürfen, 3. Das Recht nur durch die eigenen Behörden exequirt zu werden; (mag das Erkenntniß von dieser Behörde oder von einem türkischen Gericht gefällt sein, die Execution kann nur durch das Konsulat vollstreckt werden), 4. Das Recht der Unverletzlichkeit des Hauses, d. h. kein türkischer Beamter darf ohne Erlaubniß des Konsulats in ein von einem Fremden bewohn¬ tes Haus eintreten. 5. Das Recht, keine directen Steuern und Abgaben, namentlich nicht die Kopfsteuer zu zahlen. Diese Bestimmungen, die anfangs dazu dienten, die Fremden vor Eigen¬ mächtigkeiten der türkischen Behörden zu schützen, sind allmählig, bedeutende Vorrechte geworden. Die Privilegien sind theilweise sogar, namentlich was die Abgabensreiheit betrifft, für das türkische Reich drückend, und deswegen wird man bald nicht ablehnen können, in dieser oder jener Hinsicht Modifikationen der Kapitulationen eintreten zu lassen. Wie der Grundsatz der Persönlichkeit des Rechts in der Türkei bei der Menge der vorhandenen Nationen sich hat durchführen lassen, wird in Europa schwer zu begreifen sein. Darauf näher einzugehen, würde aber hier zu weit führen und deswegen bemerke ich nur, daß die dem Orient eigenthümliche und auch in dem Quartiergesetz sich äußerlich darstellende Ra^entrennung die Be¬ rührungspunkte der einzelnen nationalen auf wenige Gebiete beschränkt. Daß nun die Mobilien als zur Sphäre des Besitzers gehörig nach dessen Recht beurtheilt werden, ist einleuchtend. Die Anwendung dieses Princips aber auf Immobilien ist eine Unmöglichkeit. Solange die Unterthanen des Sultans allein Grundbesitzer waren, machte die Sache keine Schwierigkeit. Da jede Angelegenheit, die vor türkische Ge¬ richte kam. nach türkischem Recht beurtheilt wurde, und da die Einmischung dieser Gerichte gesetzlich fast bei jeder Veränderung in Betreff der Immobilien stattfand, so kam das Scheriat in dieser Beziehung beinahe ausschließlich in Anwendung. Anders würde die Sache sich aber gestalten, wenn den Fremden der Besitz der Immobilien mit dem Recht zugestanden würde, auf düselben die Privile¬ gien der Kapitulationen anzuwenden. In diesem Falle würde eine Beseitigung der fremden Gesetze und namentlich der darauf sich gründenden Rechte dritter Personen unmöglich sein. Selbst wenn die türkischen Gerichte in diesem oder jenem Specialfalle bei einem Processe, in dem ein Türke betheiligt wäre, nach dem Scheriat er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/137>, abgerufen am 20.05.2024.