Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

das türkische Gericht zu bringen, da es nicht nur galt, dessen Trägheit zu
brechen, sondern auch den Einfluß zu überwinden, den der Vorstand der Nation
besaß. Daß der letztere gewöhnlich alles anwendete, um eine derartige Inter¬
vention zu hindern, lag auf der Hand.

Daß nun die complicirten Bestimmungen des Scheriats für die Fremden
unanwendbar sind, wird jeder begreifen, der sich mit jenen Vorschriften auch
nur ganz oberflächlich beschäftigt. Dies Erbrecht ist nicht nur überaus kontro¬
vers, sondern enthält auch eine Menge Vorschriften, die für die Gegenwart ab¬
solut nicht passen.

Zwei Auswege sind möglich. Entweder bestätigt die Türkei das bisher
geltende! Princip, daß jeder im Reiche verstorbene Erblasser nach dem Recht
seiner Nationalität beerbt wird, und bestimmt, daß die türkischen Gerichte, die
die Jurisdiction über die Grundstücke haben, diese Rechte berücksichtigen, oder
sie muß sich zu einer Revision des bisherigen Rechts entschließen und ein zeit¬
gemäßes Erbrecht einführen. Der letzte Weg wäre entschieden der bessere, da
er die Sache vereinfacht.

3. Das schwerste Bedenken betrifft die Justiz.

Die Justiz ist in der Türkei merkwürdiger Weise ein geistliches Institut.
Der oberste Chef ist der SelroieK ni Islam und die sämmtlichen Richter sind
Geistliche. Das einzige Gesetz, nach welchem gerichtet wird, ist der Koran mit
seinen Auslegungen. Neue Gesetze gelten nur insofern, als sie ihn ergänzen.
Eine Abänderung ist unmöglich. Der Proceß vor seinen Gerichten ist überaus
einfach und naturwüchsig. Das Verfahren ist streng mündlich und dies wird
bis dahin ausgedehnt, daß schriftliche Beweise nicht zugelassen werden. Selbst
eine Proceßvollmacht kann nicht durch Urkunden dargethan werden, es müssen
zwei Zeugen producirt werden, die die Ertheilung der Vollmacht bekunden und
beschwören. Ueberhaupt ist nur der Zeugenbeweis gültig und dabei wird noch
heute streng der Grundsatz festgehalten, daß das Zeugniß des Ungläubigen dem
Gläubigen gegenüber keine beweisende Kraft hat.

Wenn man bedenkt, daß die in jenen Gerichten sitzenden Richter zu den
strengsten Alttürken gehören, so wird man zugestehen, daß es für die Fremden
Äußerst bedenklich ist, diese Gerichtsverfassung unterworfen zu sein.

Jene geistlichen Gerichte waren übrigens stets ein Stein des Anstoßes.
Die fremden Mächte waren immer darauf bedacht, ihre Unterthanen von ihnen
frei zu machen. Dies ist durch die Einsetzung der weltlichen Gerichte, nämlich
der Handelsgerichte und der Polizeigerichte, bewirkt, vor denen gegenwärtig alle
Klagen verhandelt werden, bei denen Fremde betheiligt sind. Diese Gerichte
haben eine durchaus abweichende Gerichtsverfassung, sie entscheiden nach neuen,
dem eoäe Napoleon entlehnten Gesetzen und stehen unter der Controle der
weltlichen Behörden. Auch sie geben zu vielen Klagen Veranlassung, im all-


das türkische Gericht zu bringen, da es nicht nur galt, dessen Trägheit zu
brechen, sondern auch den Einfluß zu überwinden, den der Vorstand der Nation
besaß. Daß der letztere gewöhnlich alles anwendete, um eine derartige Inter¬
vention zu hindern, lag auf der Hand.

Daß nun die complicirten Bestimmungen des Scheriats für die Fremden
unanwendbar sind, wird jeder begreifen, der sich mit jenen Vorschriften auch
nur ganz oberflächlich beschäftigt. Dies Erbrecht ist nicht nur überaus kontro¬
vers, sondern enthält auch eine Menge Vorschriften, die für die Gegenwart ab¬
solut nicht passen.

Zwei Auswege sind möglich. Entweder bestätigt die Türkei das bisher
geltende! Princip, daß jeder im Reiche verstorbene Erblasser nach dem Recht
seiner Nationalität beerbt wird, und bestimmt, daß die türkischen Gerichte, die
die Jurisdiction über die Grundstücke haben, diese Rechte berücksichtigen, oder
sie muß sich zu einer Revision des bisherigen Rechts entschließen und ein zeit¬
gemäßes Erbrecht einführen. Der letzte Weg wäre entschieden der bessere, da
er die Sache vereinfacht.

3. Das schwerste Bedenken betrifft die Justiz.

Die Justiz ist in der Türkei merkwürdiger Weise ein geistliches Institut.
Der oberste Chef ist der SelroieK ni Islam und die sämmtlichen Richter sind
Geistliche. Das einzige Gesetz, nach welchem gerichtet wird, ist der Koran mit
seinen Auslegungen. Neue Gesetze gelten nur insofern, als sie ihn ergänzen.
Eine Abänderung ist unmöglich. Der Proceß vor seinen Gerichten ist überaus
einfach und naturwüchsig. Das Verfahren ist streng mündlich und dies wird
bis dahin ausgedehnt, daß schriftliche Beweise nicht zugelassen werden. Selbst
eine Proceßvollmacht kann nicht durch Urkunden dargethan werden, es müssen
zwei Zeugen producirt werden, die die Ertheilung der Vollmacht bekunden und
beschwören. Ueberhaupt ist nur der Zeugenbeweis gültig und dabei wird noch
heute streng der Grundsatz festgehalten, daß das Zeugniß des Ungläubigen dem
Gläubigen gegenüber keine beweisende Kraft hat.

Wenn man bedenkt, daß die in jenen Gerichten sitzenden Richter zu den
strengsten Alttürken gehören, so wird man zugestehen, daß es für die Fremden
Äußerst bedenklich ist, diese Gerichtsverfassung unterworfen zu sein.

Jene geistlichen Gerichte waren übrigens stets ein Stein des Anstoßes.
Die fremden Mächte waren immer darauf bedacht, ihre Unterthanen von ihnen
frei zu machen. Dies ist durch die Einsetzung der weltlichen Gerichte, nämlich
der Handelsgerichte und der Polizeigerichte, bewirkt, vor denen gegenwärtig alle
Klagen verhandelt werden, bei denen Fremde betheiligt sind. Diese Gerichte
haben eine durchaus abweichende Gerichtsverfassung, sie entscheiden nach neuen,
dem eoäe Napoleon entlehnten Gesetzen und stehen unter der Controle der
weltlichen Behörden. Auch sie geben zu vielen Klagen Veranlassung, im all-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <div n="4">
                <pb facs="#f0140" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191901"/>
                <p xml:id="ID_388" prev="#ID_387"> das türkische Gericht zu bringen, da es nicht nur galt, dessen Trägheit zu<lb/>
brechen, sondern auch den Einfluß zu überwinden, den der Vorstand der Nation<lb/>
besaß. Daß der letztere gewöhnlich alles anwendete, um eine derartige Inter¬<lb/>
vention zu hindern, lag auf der Hand.</p><lb/>
                <p xml:id="ID_389"> Daß nun die complicirten Bestimmungen des Scheriats für die Fremden<lb/>
unanwendbar sind, wird jeder begreifen, der sich mit jenen Vorschriften auch<lb/>
nur ganz oberflächlich beschäftigt. Dies Erbrecht ist nicht nur überaus kontro¬<lb/>
vers, sondern enthält auch eine Menge Vorschriften, die für die Gegenwart ab¬<lb/>
solut nicht passen.</p><lb/>
                <p xml:id="ID_390"> Zwei Auswege sind möglich. Entweder bestätigt die Türkei das bisher<lb/>
geltende! Princip, daß jeder im Reiche verstorbene Erblasser nach dem Recht<lb/>
seiner Nationalität beerbt wird, und bestimmt, daß die türkischen Gerichte, die<lb/>
die Jurisdiction über die Grundstücke haben, diese Rechte berücksichtigen, oder<lb/>
sie muß sich zu einer Revision des bisherigen Rechts entschließen und ein zeit¬<lb/>
gemäßes Erbrecht einführen. Der letzte Weg wäre entschieden der bessere, da<lb/>
er die Sache vereinfacht.</p><lb/>
                <p xml:id="ID_391"> 3. Das schwerste Bedenken betrifft die Justiz.</p><lb/>
                <p xml:id="ID_392"> Die Justiz ist in der Türkei merkwürdiger Weise ein geistliches Institut.<lb/>
Der oberste Chef ist der SelroieK ni Islam und die sämmtlichen Richter sind<lb/>
Geistliche. Das einzige Gesetz, nach welchem gerichtet wird, ist der Koran mit<lb/>
seinen Auslegungen. Neue Gesetze gelten nur insofern, als sie ihn ergänzen.<lb/>
Eine Abänderung ist unmöglich. Der Proceß vor seinen Gerichten ist überaus<lb/>
einfach und naturwüchsig. Das Verfahren ist streng mündlich und dies wird<lb/>
bis dahin ausgedehnt, daß schriftliche Beweise nicht zugelassen werden. Selbst<lb/>
eine Proceßvollmacht kann nicht durch Urkunden dargethan werden, es müssen<lb/>
zwei Zeugen producirt werden, die die Ertheilung der Vollmacht bekunden und<lb/>
beschwören. Ueberhaupt ist nur der Zeugenbeweis gültig und dabei wird noch<lb/>
heute streng der Grundsatz festgehalten, daß das Zeugniß des Ungläubigen dem<lb/>
Gläubigen gegenüber keine beweisende Kraft hat.</p><lb/>
                <p xml:id="ID_393"> Wenn man bedenkt, daß die in jenen Gerichten sitzenden Richter zu den<lb/>
strengsten Alttürken gehören, so wird man zugestehen, daß es für die Fremden<lb/>
Äußerst bedenklich ist, diese Gerichtsverfassung unterworfen zu sein.</p><lb/>
                <p xml:id="ID_394" next="#ID_395"> Jene geistlichen Gerichte waren übrigens stets ein Stein des Anstoßes.<lb/>
Die fremden Mächte waren immer darauf bedacht, ihre Unterthanen von ihnen<lb/>
frei zu machen. Dies ist durch die Einsetzung der weltlichen Gerichte, nämlich<lb/>
der Handelsgerichte und der Polizeigerichte, bewirkt, vor denen gegenwärtig alle<lb/>
Klagen verhandelt werden, bei denen Fremde betheiligt sind. Diese Gerichte<lb/>
haben eine durchaus abweichende Gerichtsverfassung, sie entscheiden nach neuen,<lb/>
dem eoäe Napoleon entlehnten Gesetzen und stehen unter der Controle der<lb/>
weltlichen Behörden.  Auch sie geben zu vielen Klagen Veranlassung, im all-</p><lb/>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0140] das türkische Gericht zu bringen, da es nicht nur galt, dessen Trägheit zu brechen, sondern auch den Einfluß zu überwinden, den der Vorstand der Nation besaß. Daß der letztere gewöhnlich alles anwendete, um eine derartige Inter¬ vention zu hindern, lag auf der Hand. Daß nun die complicirten Bestimmungen des Scheriats für die Fremden unanwendbar sind, wird jeder begreifen, der sich mit jenen Vorschriften auch nur ganz oberflächlich beschäftigt. Dies Erbrecht ist nicht nur überaus kontro¬ vers, sondern enthält auch eine Menge Vorschriften, die für die Gegenwart ab¬ solut nicht passen. Zwei Auswege sind möglich. Entweder bestätigt die Türkei das bisher geltende! Princip, daß jeder im Reiche verstorbene Erblasser nach dem Recht seiner Nationalität beerbt wird, und bestimmt, daß die türkischen Gerichte, die die Jurisdiction über die Grundstücke haben, diese Rechte berücksichtigen, oder sie muß sich zu einer Revision des bisherigen Rechts entschließen und ein zeit¬ gemäßes Erbrecht einführen. Der letzte Weg wäre entschieden der bessere, da er die Sache vereinfacht. 3. Das schwerste Bedenken betrifft die Justiz. Die Justiz ist in der Türkei merkwürdiger Weise ein geistliches Institut. Der oberste Chef ist der SelroieK ni Islam und die sämmtlichen Richter sind Geistliche. Das einzige Gesetz, nach welchem gerichtet wird, ist der Koran mit seinen Auslegungen. Neue Gesetze gelten nur insofern, als sie ihn ergänzen. Eine Abänderung ist unmöglich. Der Proceß vor seinen Gerichten ist überaus einfach und naturwüchsig. Das Verfahren ist streng mündlich und dies wird bis dahin ausgedehnt, daß schriftliche Beweise nicht zugelassen werden. Selbst eine Proceßvollmacht kann nicht durch Urkunden dargethan werden, es müssen zwei Zeugen producirt werden, die die Ertheilung der Vollmacht bekunden und beschwören. Ueberhaupt ist nur der Zeugenbeweis gültig und dabei wird noch heute streng der Grundsatz festgehalten, daß das Zeugniß des Ungläubigen dem Gläubigen gegenüber keine beweisende Kraft hat. Wenn man bedenkt, daß die in jenen Gerichten sitzenden Richter zu den strengsten Alttürken gehören, so wird man zugestehen, daß es für die Fremden Äußerst bedenklich ist, diese Gerichtsverfassung unterworfen zu sein. Jene geistlichen Gerichte waren übrigens stets ein Stein des Anstoßes. Die fremden Mächte waren immer darauf bedacht, ihre Unterthanen von ihnen frei zu machen. Dies ist durch die Einsetzung der weltlichen Gerichte, nämlich der Handelsgerichte und der Polizeigerichte, bewirkt, vor denen gegenwärtig alle Klagen verhandelt werden, bei denen Fremde betheiligt sind. Diese Gerichte haben eine durchaus abweichende Gerichtsverfassung, sie entscheiden nach neuen, dem eoäe Napoleon entlehnten Gesetzen und stehen unter der Controle der weltlichen Behörden. Auch sie geben zu vielen Klagen Veranlassung, im all-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/140
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/140>, abgerufen am 07.05.2024.