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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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directen Wahlrecht die ungeheure Mehrheit der Stimmen dem leicht bestimm¬
baren und immer abhängigen ländlichen Proletariat zu, welche sie ohne Be¬
denken im konservativen, ja feudalen Sinne abgeben würde. Es müßte noch
viel Wasser die preußischen Flüsse herunter fließen, bis die Stimmen der städti¬
schen Arbeiter, selbst wenn sie alle unter Lassalles Fahnen ständen, den Ausschlag
geben. Nehmen wir aber einmal an, es hätte sich ein Abgeordnetenhaus ge¬
bildet, dessen Vertreter in großer Majorität von Lasalleschen Principien durch¬
drungen wären und als ihre Hauptaufgabe anerkennten, durch Productivasso-
ciationen der Arbeiter den Unternehmergewinn des Capitals zu beseitigen, so
würde noch immer die Frage sein, ob die Abstimmungen und Entscheidungen die¬
ses Abgeordnetenhauses auch eine auf die Executive wirkende Gewalt aus¬
übten, oder ob die Staatsmacht sich nicht vielmehr start genug und verpflichtet
fühlen würde, diesen Beschlüssen die Wirkung zu versagen. Die Abgeordneten
würden zuerst und ausschließlich für die Geltung ihres verfassungsmäßigen
Rechtes zu kämpfen haben und in dieselben Bahnen gedrängt werden, auf
denen sich die Fortschrittspartei bewegte. Die durch directes Wahlrecht herauf¬
beschworene etwaige "Sta atshilfe" wäre also nichts weniger als ein beque¬
mes oder nur sicheres Mittel zur Reorganisation der Arbeiterverhältnisse.
Sie setzt einen Staat voraus, der geneigt ist, die in Anspruch genommene
Hilfe zu gewähren; ein solcher aber wird durch das allgemeine directe Wahl¬
recht an sich noch keineswegs geschaffen.

Was nun die "Staatshilfe" selbst betrifft, so hatte Herr Lasalle voll¬
kommen Recht, wenn er den Staat die größte Genossenschaft nennt. Der
Staat ist die Association aller seiner Angehörigen und alle haben Rechte und
Pflichten in demselben. Die Pflichten müssen sich nothwendig nach den Rech¬
ten bemessen, welche den Staatsangehörigen zu Theil werden; je größer die
Rechte, desto größer natürlich auch die Pflichten, so will es die Gerechtigkeit.

Weshalb ist nun aber diese große Association da? Soll von Staats¬
wegen jedem Staatsbürger sein Mittagsbrod gekocht und jeder von Staats¬
wegen gefüttert werden, ohne eine Hand oder einen Fuß regen zu müssen?
Ein solcher Gedanke wäre ausführbar, wenn eine gehölige Anzahl Staatsköche
angestellt würde und die nöthige Zahl der Staatsfütterer jeder mit einem
Staatsteller und einem Staatslöffel. In Staatsküchen würde gekocht, das
Feuermatenal würde durch Staatsleute herbeigeschafft werden. Staatsmaurer,
Staatszimmerleute und Staatsdachdecker hätten die nöthigen Gebäude gebaut,
Staatslandwirthe, Staatsgärtner, Staatsfleischer, Staatsbäcker ze. die nöthigen
Fütterungsbedürfnisse besorgt. Bei der Unvermeidlichkeit durststillender Mittel
sind auch Staatsbierbrauer. Staatswinzer nöthig; es dürfen überhaupt in kei-
nem Fache die Staatsbeamten fehlen, also auch keine Staatsschneider noch
Staatsschuhmachcr. keine StaMpntzmacherinnen noch Staatsnäherinnen:c. :c.


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directen Wahlrecht die ungeheure Mehrheit der Stimmen dem leicht bestimm¬
baren und immer abhängigen ländlichen Proletariat zu, welche sie ohne Be¬
denken im konservativen, ja feudalen Sinne abgeben würde. Es müßte noch
viel Wasser die preußischen Flüsse herunter fließen, bis die Stimmen der städti¬
schen Arbeiter, selbst wenn sie alle unter Lassalles Fahnen ständen, den Ausschlag
geben. Nehmen wir aber einmal an, es hätte sich ein Abgeordnetenhaus ge¬
bildet, dessen Vertreter in großer Majorität von Lasalleschen Principien durch¬
drungen wären und als ihre Hauptaufgabe anerkennten, durch Productivasso-
ciationen der Arbeiter den Unternehmergewinn des Capitals zu beseitigen, so
würde noch immer die Frage sein, ob die Abstimmungen und Entscheidungen die¬
ses Abgeordnetenhauses auch eine auf die Executive wirkende Gewalt aus¬
übten, oder ob die Staatsmacht sich nicht vielmehr start genug und verpflichtet
fühlen würde, diesen Beschlüssen die Wirkung zu versagen. Die Abgeordneten
würden zuerst und ausschließlich für die Geltung ihres verfassungsmäßigen
Rechtes zu kämpfen haben und in dieselben Bahnen gedrängt werden, auf
denen sich die Fortschrittspartei bewegte. Die durch directes Wahlrecht herauf¬
beschworene etwaige „Sta atshilfe" wäre also nichts weniger als ein beque¬
mes oder nur sicheres Mittel zur Reorganisation der Arbeiterverhältnisse.
Sie setzt einen Staat voraus, der geneigt ist, die in Anspruch genommene
Hilfe zu gewähren; ein solcher aber wird durch das allgemeine directe Wahl¬
recht an sich noch keineswegs geschaffen.

Was nun die „Staatshilfe" selbst betrifft, so hatte Herr Lasalle voll¬
kommen Recht, wenn er den Staat die größte Genossenschaft nennt. Der
Staat ist die Association aller seiner Angehörigen und alle haben Rechte und
Pflichten in demselben. Die Pflichten müssen sich nothwendig nach den Rech¬
ten bemessen, welche den Staatsangehörigen zu Theil werden; je größer die
Rechte, desto größer natürlich auch die Pflichten, so will es die Gerechtigkeit.

Weshalb ist nun aber diese große Association da? Soll von Staats¬
wegen jedem Staatsbürger sein Mittagsbrod gekocht und jeder von Staats¬
wegen gefüttert werden, ohne eine Hand oder einen Fuß regen zu müssen?
Ein solcher Gedanke wäre ausführbar, wenn eine gehölige Anzahl Staatsköche
angestellt würde und die nöthige Zahl der Staatsfütterer jeder mit einem
Staatsteller und einem Staatslöffel. In Staatsküchen würde gekocht, das
Feuermatenal würde durch Staatsleute herbeigeschafft werden. Staatsmaurer,
Staatszimmerleute und Staatsdachdecker hätten die nöthigen Gebäude gebaut,
Staatslandwirthe, Staatsgärtner, Staatsfleischer, Staatsbäcker ze. die nöthigen
Fütterungsbedürfnisse besorgt. Bei der Unvermeidlichkeit durststillender Mittel
sind auch Staatsbierbrauer. Staatswinzer nöthig; es dürfen überhaupt in kei-
nem Fache die Staatsbeamten fehlen, also auch keine Staatsschneider noch
Staatsschuhmachcr. keine StaMpntzmacherinnen noch Staatsnäherinnen:c. :c.


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[0143] directen Wahlrecht die ungeheure Mehrheit der Stimmen dem leicht bestimm¬ baren und immer abhängigen ländlichen Proletariat zu, welche sie ohne Be¬ denken im konservativen, ja feudalen Sinne abgeben würde. Es müßte noch viel Wasser die preußischen Flüsse herunter fließen, bis die Stimmen der städti¬ schen Arbeiter, selbst wenn sie alle unter Lassalles Fahnen ständen, den Ausschlag geben. Nehmen wir aber einmal an, es hätte sich ein Abgeordnetenhaus ge¬ bildet, dessen Vertreter in großer Majorität von Lasalleschen Principien durch¬ drungen wären und als ihre Hauptaufgabe anerkennten, durch Productivasso- ciationen der Arbeiter den Unternehmergewinn des Capitals zu beseitigen, so würde noch immer die Frage sein, ob die Abstimmungen und Entscheidungen die¬ ses Abgeordnetenhauses auch eine auf die Executive wirkende Gewalt aus¬ übten, oder ob die Staatsmacht sich nicht vielmehr start genug und verpflichtet fühlen würde, diesen Beschlüssen die Wirkung zu versagen. Die Abgeordneten würden zuerst und ausschließlich für die Geltung ihres verfassungsmäßigen Rechtes zu kämpfen haben und in dieselben Bahnen gedrängt werden, auf denen sich die Fortschrittspartei bewegte. Die durch directes Wahlrecht herauf¬ beschworene etwaige „Sta atshilfe" wäre also nichts weniger als ein beque¬ mes oder nur sicheres Mittel zur Reorganisation der Arbeiterverhältnisse. Sie setzt einen Staat voraus, der geneigt ist, die in Anspruch genommene Hilfe zu gewähren; ein solcher aber wird durch das allgemeine directe Wahl¬ recht an sich noch keineswegs geschaffen. Was nun die „Staatshilfe" selbst betrifft, so hatte Herr Lasalle voll¬ kommen Recht, wenn er den Staat die größte Genossenschaft nennt. Der Staat ist die Association aller seiner Angehörigen und alle haben Rechte und Pflichten in demselben. Die Pflichten müssen sich nothwendig nach den Rech¬ ten bemessen, welche den Staatsangehörigen zu Theil werden; je größer die Rechte, desto größer natürlich auch die Pflichten, so will es die Gerechtigkeit. Weshalb ist nun aber diese große Association da? Soll von Staats¬ wegen jedem Staatsbürger sein Mittagsbrod gekocht und jeder von Staats¬ wegen gefüttert werden, ohne eine Hand oder einen Fuß regen zu müssen? Ein solcher Gedanke wäre ausführbar, wenn eine gehölige Anzahl Staatsköche angestellt würde und die nöthige Zahl der Staatsfütterer jeder mit einem Staatsteller und einem Staatslöffel. In Staatsküchen würde gekocht, das Feuermatenal würde durch Staatsleute herbeigeschafft werden. Staatsmaurer, Staatszimmerleute und Staatsdachdecker hätten die nöthigen Gebäude gebaut, Staatslandwirthe, Staatsgärtner, Staatsfleischer, Staatsbäcker ze. die nöthigen Fütterungsbedürfnisse besorgt. Bei der Unvermeidlichkeit durststillender Mittel sind auch Staatsbierbrauer. Staatswinzer nöthig; es dürfen überhaupt in kei- nem Fache die Staatsbeamten fehlen, also auch keine Staatsschneider noch Staatsschuhmachcr. keine StaMpntzmacherinnen noch Staatsnäherinnen:c. :c. 18*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/143>, abgerufen am 21.05.2024.