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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Wandelungen herbeiführen, bessere Elemente innerhalb des gegenwärtigen Sy¬
stems zur Geltung bringen. die Bedrängniß des Vaterlandes kann die ge¬
sunden Kräfte die gegenwärtig schlummern, durch sein Drohen wachrufen -- wäh¬
rend die Fortdauer des augenblicklichen Zustandes bietet keinerlei Aussicht auf
Impulse, die zum Umschwung des französischen Lebens führen können.
Eine klare Vorstellung von den Vortheilen, welche ein Krieg der Volksgesundung
bringen soll, findet sich freilich auch in diesen Schichten seiner Anhängerschaft
nicht. Das Hauptargument ist die Ueberzeugung, daß der Frieden noch weniger
zu diesem Ziele führen kann. Wäre die liberale Opposition des Volks und
seiner Fähigkeit zu richtigem Gebrauch der Freiheit und zur Selbstregierung
einigermaßen sicher, sie wollte gewiß von einem Kriege nichts wissen, -- die¬
jenigen Glieder, welche einen solchen dennoch Wünschen, -- und es sind ihrer
wenige -- werden zu diesem Wunsche von der Ueberzeugung gedrängt, daß
unter den gegebenen Verhältnissen mit dem Volk nichts anzufangen sei, auch
wenn ihm ein größeres Maß von Freiheit geboten werde.

Es wird übrig bleiben, nach Stimmung und Willen der zahlreichen Classe
von Leuten zu fragen, welche außerhalb der Parteien und außerhalb aller Be¬
theiligung an den Angelegenheiten des französischen Staats stehend die Dinge
ausschließlich nach ihrer Einwirkung aus ihre persönlichen Interessen beurtheilt.
Hier liegt die Sache ziemlich einfach. Direct gewünscht wird der Krieg von
dem rohen, urtheilslosen Haufen, von den Leuten, die nichts oder wenig zu
verlieren und -- wie sie meinen -- viel zu gewinnen haben, von den zahl¬
reichen Berufssoldaten der Armee und dem jugendlichen Proletariat und Halb¬
proletariat, an welchem die großen französischen Städte so reich sind. Diese bei
gutem Muth und günstiger Stimmung für das Empire zu erhalten, ist das
Hauptbestreben der Regierung, und fängt diese Krieg an, so geschieht es haupt¬
sächlich diesen Leuten zu Liebe. Die Classe der besitzenden und producirenden
Bürger ist an und für sich friedlich; wenn sie für den Krieg stimmt, so geschieht
es nur, weil sie glaubt, es stehe ihr bloß die Wahl zwischen diesem und einem
gewaltsamen, anarchischen Umsturz aller bestehenden Verhältnisse offen. Die
bessere Hälfte dieses Theiles der Gesellschaft wird mehr oder weniger mit der
Opposition sympathistrcn und die friedliche Schattirung derselben unterstützen.

Noch hat die Opposition, noch hat der bessere Theil des französischen
Volks sein letztes Wort nicht gesprochen. Faßt dieser zu sich selbst Vertrauen,
nimmt sein Einfluß aus die Massen zu, gewinnen die Versuche zu einer innern
Regeneration der Nation an Intensität und Nachdruck, läßt sich hoffen, daß der
Mittelstand die Macht wieder gewinnt, welche ihm die letzten Jahrzehnte aus
den Händen genommen haben, wissen die Führer Frankreichs wieder, "was sie
mit diesem Volk anfangen sollen", daS zu viel tüchtige Elemente enthält, um
in dem Jammer seines gegenwärtigen Zustandes zu verharren und dessen sitt-


Wandelungen herbeiführen, bessere Elemente innerhalb des gegenwärtigen Sy¬
stems zur Geltung bringen. die Bedrängniß des Vaterlandes kann die ge¬
sunden Kräfte die gegenwärtig schlummern, durch sein Drohen wachrufen — wäh¬
rend die Fortdauer des augenblicklichen Zustandes bietet keinerlei Aussicht auf
Impulse, die zum Umschwung des französischen Lebens führen können.
Eine klare Vorstellung von den Vortheilen, welche ein Krieg der Volksgesundung
bringen soll, findet sich freilich auch in diesen Schichten seiner Anhängerschaft
nicht. Das Hauptargument ist die Ueberzeugung, daß der Frieden noch weniger
zu diesem Ziele führen kann. Wäre die liberale Opposition des Volks und
seiner Fähigkeit zu richtigem Gebrauch der Freiheit und zur Selbstregierung
einigermaßen sicher, sie wollte gewiß von einem Kriege nichts wissen, — die¬
jenigen Glieder, welche einen solchen dennoch Wünschen, — und es sind ihrer
wenige — werden zu diesem Wunsche von der Ueberzeugung gedrängt, daß
unter den gegebenen Verhältnissen mit dem Volk nichts anzufangen sei, auch
wenn ihm ein größeres Maß von Freiheit geboten werde.

Es wird übrig bleiben, nach Stimmung und Willen der zahlreichen Classe
von Leuten zu fragen, welche außerhalb der Parteien und außerhalb aller Be¬
theiligung an den Angelegenheiten des französischen Staats stehend die Dinge
ausschließlich nach ihrer Einwirkung aus ihre persönlichen Interessen beurtheilt.
Hier liegt die Sache ziemlich einfach. Direct gewünscht wird der Krieg von
dem rohen, urtheilslosen Haufen, von den Leuten, die nichts oder wenig zu
verlieren und — wie sie meinen — viel zu gewinnen haben, von den zahl¬
reichen Berufssoldaten der Armee und dem jugendlichen Proletariat und Halb¬
proletariat, an welchem die großen französischen Städte so reich sind. Diese bei
gutem Muth und günstiger Stimmung für das Empire zu erhalten, ist das
Hauptbestreben der Regierung, und fängt diese Krieg an, so geschieht es haupt¬
sächlich diesen Leuten zu Liebe. Die Classe der besitzenden und producirenden
Bürger ist an und für sich friedlich; wenn sie für den Krieg stimmt, so geschieht
es nur, weil sie glaubt, es stehe ihr bloß die Wahl zwischen diesem und einem
gewaltsamen, anarchischen Umsturz aller bestehenden Verhältnisse offen. Die
bessere Hälfte dieses Theiles der Gesellschaft wird mehr oder weniger mit der
Opposition sympathistrcn und die friedliche Schattirung derselben unterstützen.

Noch hat die Opposition, noch hat der bessere Theil des französischen
Volks sein letztes Wort nicht gesprochen. Faßt dieser zu sich selbst Vertrauen,
nimmt sein Einfluß aus die Massen zu, gewinnen die Versuche zu einer innern
Regeneration der Nation an Intensität und Nachdruck, läßt sich hoffen, daß der
Mittelstand die Macht wieder gewinnt, welche ihm die letzten Jahrzehnte aus
den Händen genommen haben, wissen die Führer Frankreichs wieder, „was sie
mit diesem Volk anfangen sollen", daS zu viel tüchtige Elemente enthält, um
in dem Jammer seines gegenwärtigen Zustandes zu verharren und dessen sitt-


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[0163] Wandelungen herbeiführen, bessere Elemente innerhalb des gegenwärtigen Sy¬ stems zur Geltung bringen. die Bedrängniß des Vaterlandes kann die ge¬ sunden Kräfte die gegenwärtig schlummern, durch sein Drohen wachrufen — wäh¬ rend die Fortdauer des augenblicklichen Zustandes bietet keinerlei Aussicht auf Impulse, die zum Umschwung des französischen Lebens führen können. Eine klare Vorstellung von den Vortheilen, welche ein Krieg der Volksgesundung bringen soll, findet sich freilich auch in diesen Schichten seiner Anhängerschaft nicht. Das Hauptargument ist die Ueberzeugung, daß der Frieden noch weniger zu diesem Ziele führen kann. Wäre die liberale Opposition des Volks und seiner Fähigkeit zu richtigem Gebrauch der Freiheit und zur Selbstregierung einigermaßen sicher, sie wollte gewiß von einem Kriege nichts wissen, — die¬ jenigen Glieder, welche einen solchen dennoch Wünschen, — und es sind ihrer wenige — werden zu diesem Wunsche von der Ueberzeugung gedrängt, daß unter den gegebenen Verhältnissen mit dem Volk nichts anzufangen sei, auch wenn ihm ein größeres Maß von Freiheit geboten werde. Es wird übrig bleiben, nach Stimmung und Willen der zahlreichen Classe von Leuten zu fragen, welche außerhalb der Parteien und außerhalb aller Be¬ theiligung an den Angelegenheiten des französischen Staats stehend die Dinge ausschließlich nach ihrer Einwirkung aus ihre persönlichen Interessen beurtheilt. Hier liegt die Sache ziemlich einfach. Direct gewünscht wird der Krieg von dem rohen, urtheilslosen Haufen, von den Leuten, die nichts oder wenig zu verlieren und — wie sie meinen — viel zu gewinnen haben, von den zahl¬ reichen Berufssoldaten der Armee und dem jugendlichen Proletariat und Halb¬ proletariat, an welchem die großen französischen Städte so reich sind. Diese bei gutem Muth und günstiger Stimmung für das Empire zu erhalten, ist das Hauptbestreben der Regierung, und fängt diese Krieg an, so geschieht es haupt¬ sächlich diesen Leuten zu Liebe. Die Classe der besitzenden und producirenden Bürger ist an und für sich friedlich; wenn sie für den Krieg stimmt, so geschieht es nur, weil sie glaubt, es stehe ihr bloß die Wahl zwischen diesem und einem gewaltsamen, anarchischen Umsturz aller bestehenden Verhältnisse offen. Die bessere Hälfte dieses Theiles der Gesellschaft wird mehr oder weniger mit der Opposition sympathistrcn und die friedliche Schattirung derselben unterstützen. Noch hat die Opposition, noch hat der bessere Theil des französischen Volks sein letztes Wort nicht gesprochen. Faßt dieser zu sich selbst Vertrauen, nimmt sein Einfluß aus die Massen zu, gewinnen die Versuche zu einer innern Regeneration der Nation an Intensität und Nachdruck, läßt sich hoffen, daß der Mittelstand die Macht wieder gewinnt, welche ihm die letzten Jahrzehnte aus den Händen genommen haben, wissen die Führer Frankreichs wieder, „was sie mit diesem Volk anfangen sollen", daS zu viel tüchtige Elemente enthält, um in dem Jammer seines gegenwärtigen Zustandes zu verharren und dessen sitt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/163>, abgerufen am 08.05.2024.