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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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sten Kräfte von ganz Deutschland aufgewendet werden; sind sie vielmehr umge¬
kehrt der Mehrzahl nach schon seit Jahren zu der Ueberzeugung gekommen
daß ihre Bedürfnisse in den meisten Materien entschieden auf eine Anlehnung
an größere Kreise hinweisen; so gibt es doch auch einige, und zwar praktisch
sehr bedeutende Theile des Rechts, in denen sie sich vermöge der Natur ihrer
täglichen Aufgabe eine durchschnittliche Ueberlegenheit über den binnenländischen
Juristenstand zutrauen dürfen. Zum Glück ist gerade das Handelsrecht schon
länger unificirt worden und folglich kein Gegenstand des Streits und Zweifels
mehr. Nicht dasselbe jedoch gilt von der Handelspolitik; und diese an die
Centralgewalt zu verlieren, ist in der That für die Hansestädte keine Kleinigkeit.
Man stelle sich nur vor, welche ununterbrochen fließende Quelle der werth¬
vollsten Vortheile es für einen weitverzweigten Handelsverkehr sein mußte, daß
ihm alle Mittel eines unabhängigen souveränen Staats -- mit alleiniger Aus¬
nahme eigentlicher militärischer Macht -- zu Gebote standen; die Schließung
von Verträgen, die Aussendung von Gesandten, die Ernennung von Consuln,
die Gesetzgebung, das Recht Steuern aufzuerlegen und abzuschaffen, die Verwal¬
tung aller öffentlichen Anstalten, die Polizei. Alle diese Hebel menschlicher Ge-
sammtthätigkeit waren in Hamburg, Bremen und Lübeck unausgesetzt und aner¬
kanntermaßen vor allem zu dem einen Zwecke thätig, den Handel der Stadt
auf den erreichbar höchsten Grad von Ausdehnung, Sicherheit und Einträglich¬
keit zu bringen.. Jetzt kommt ihnen die wirksamere Hälfte derselben abhanden,
und zum Ersatz erhalten sie nur die gleiche Anwartschaft, wie alle anderen
norddeutschen Handelsplätze auf die allgemeine Fürsorge der Bundesgewalt.
Diese hat freilich einen Vorzug vor der selbständigen hanseatischen Politik; sie
ist die Trägerin großer materieller Macht, und vermag ihrem einmal ausge¬
sprochenen Willen einen nicht leicht zu entkräftenden Nachdruck zu geben. Aber
dieser ihr Wille gerade immer den besonderen Interessen der Hansestädte,
oder deren aus langer Praxis fließenden Ansichten von den commerciellen In¬
teressen Deutschlands entspreche, dafür gibt es bei weitem weniger Bürgschaft,
als sie der hanseatische Handel bisher dafür besaß, daß die Politik seine Sache
"es ein guter und getreuer Anwalt führen werde. Wo sonst die Handelskammer,
in der die Gesammt-Erfahrung und Einsicht des Kaufmannsstandes sich sammelt,
"ur einfach an den Senat oder dessen Commission für auswärtige Angelegen¬
heiten zu berichten hatte, und der Anwendung der freilich viel bescheidneren, aber
gewöhnlich doch ausreichenden staatlichen Mittel in der ihr erwünschten Rich¬
tung ziemlich gewiß sein konnte, da hat sie jetzt kaum einen andern Weg, auf den
handelnden Arm zu wirken, als denjenigen schriftlicher Berichterstattung an ein
einzelnes Mitglied des Bundesraths oder mündlichen Vortrags im Reichstag
durch einen oder zwei ihr näherstehende Volksvertreter. Um die Executive wirk¬
lich in Bewegung zu setzen, muß schon eine Anzahl günstiger Verhältnisse


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sten Kräfte von ganz Deutschland aufgewendet werden; sind sie vielmehr umge¬
kehrt der Mehrzahl nach schon seit Jahren zu der Ueberzeugung gekommen
daß ihre Bedürfnisse in den meisten Materien entschieden auf eine Anlehnung
an größere Kreise hinweisen; so gibt es doch auch einige, und zwar praktisch
sehr bedeutende Theile des Rechts, in denen sie sich vermöge der Natur ihrer
täglichen Aufgabe eine durchschnittliche Ueberlegenheit über den binnenländischen
Juristenstand zutrauen dürfen. Zum Glück ist gerade das Handelsrecht schon
länger unificirt worden und folglich kein Gegenstand des Streits und Zweifels
mehr. Nicht dasselbe jedoch gilt von der Handelspolitik; und diese an die
Centralgewalt zu verlieren, ist in der That für die Hansestädte keine Kleinigkeit.
Man stelle sich nur vor, welche ununterbrochen fließende Quelle der werth¬
vollsten Vortheile es für einen weitverzweigten Handelsverkehr sein mußte, daß
ihm alle Mittel eines unabhängigen souveränen Staats — mit alleiniger Aus¬
nahme eigentlicher militärischer Macht — zu Gebote standen; die Schließung
von Verträgen, die Aussendung von Gesandten, die Ernennung von Consuln,
die Gesetzgebung, das Recht Steuern aufzuerlegen und abzuschaffen, die Verwal¬
tung aller öffentlichen Anstalten, die Polizei. Alle diese Hebel menschlicher Ge-
sammtthätigkeit waren in Hamburg, Bremen und Lübeck unausgesetzt und aner¬
kanntermaßen vor allem zu dem einen Zwecke thätig, den Handel der Stadt
auf den erreichbar höchsten Grad von Ausdehnung, Sicherheit und Einträglich¬
keit zu bringen.. Jetzt kommt ihnen die wirksamere Hälfte derselben abhanden,
und zum Ersatz erhalten sie nur die gleiche Anwartschaft, wie alle anderen
norddeutschen Handelsplätze auf die allgemeine Fürsorge der Bundesgewalt.
Diese hat freilich einen Vorzug vor der selbständigen hanseatischen Politik; sie
ist die Trägerin großer materieller Macht, und vermag ihrem einmal ausge¬
sprochenen Willen einen nicht leicht zu entkräftenden Nachdruck zu geben. Aber
dieser ihr Wille gerade immer den besonderen Interessen der Hansestädte,
oder deren aus langer Praxis fließenden Ansichten von den commerciellen In¬
teressen Deutschlands entspreche, dafür gibt es bei weitem weniger Bürgschaft,
als sie der hanseatische Handel bisher dafür besaß, daß die Politik seine Sache
"es ein guter und getreuer Anwalt führen werde. Wo sonst die Handelskammer,
in der die Gesammt-Erfahrung und Einsicht des Kaufmannsstandes sich sammelt,
"ur einfach an den Senat oder dessen Commission für auswärtige Angelegen¬
heiten zu berichten hatte, und der Anwendung der freilich viel bescheidneren, aber
gewöhnlich doch ausreichenden staatlichen Mittel in der ihr erwünschten Rich¬
tung ziemlich gewiß sein konnte, da hat sie jetzt kaum einen andern Weg, auf den
handelnden Arm zu wirken, als denjenigen schriftlicher Berichterstattung an ein
einzelnes Mitglied des Bundesraths oder mündlichen Vortrags im Reichstag
durch einen oder zwei ihr näherstehende Volksvertreter. Um die Executive wirk¬
lich in Bewegung zu setzen, muß schon eine Anzahl günstiger Verhältnisse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/227>, abgerufen am 04.05.2024.