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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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handelt sich's in dem Proceß, den die Italiener begonnen haben, als sie sich
gegen die kleinen und großen souveraine auflehnten, die von der Entwürdigung
ihrer Unterthanen lebten -- und dieser Proceß ist wieder einmal verloren ge-
gangen. Das Forum, vor welchem er zum Austrag gebracht wurde, war die
Regierung Victor Emanuels und die Richter, welche es nicht über sich gewinnen
konnten, noch einmal gegen ihre Ueberzeugung zu urtheilen und dem Staat
die Pflicht der Selbstschwächung zu Gunsten eines feindlichen Gegners aufzu¬
erlegen -- diese haben weichen müssen, um Männern Platz zu machen, die
trotz der Verschiedenheit ihrer Parteifarbe genau ebenso denken Wie ihre Vor¬
gänger, einstweilen aber darein gewilligt haben, ihre Ueberzeugung zu verleugnen.

Es kann für die Dringlichkeit einer Lösung der römischen Frage im natio¬
nalen Sinne kein schlagenderer Beweis beigebracht werden, als der Rücktritt
Ratazzis, und die Weigerung Cialdinis, derselben Staatsmänner, die das Werk
von Aspramonte fertig gebracht hatten. Das neue Cabinet Menabrca will es
versuchen, trotz der bessern Erkenntniß seiner Glieder, (deren Abneigung gegen
die Radikalen die Forderung der Occupations Roms durch die Regierung selbst
zur nothwendigen Consequenz hat) die Zügel der Regierung zu übernehmen; daß
es ihnen nicht gelingen werde, das Ansehen der Monarchie wieder herzustellen
und die Grundlagen einer friedlichen, wahrhaft konstitutionellen Entwickelung
zu legen, wissen diese konservativen Politiker ebenso gut, wie ihre liberalen
Gegner. Der Schlüssel zur Achtung des italienischen Volks ist weder in einer
radicalen noch in einer konservativen Schmiede, sondern allein an den Thüren
des Sanct Peter zu finden und auf ihn verzichtet zu haben, bildet das Ver¬
dienst, welchem die neuen Minister ihre Portefeuilles verdanken. So lange die
Italiener das schmähliche Bewußtsein, nicht loswerden, vor dem ersehnten Hasen
der Ruhe stillstehen zu müssen, ist ihnen wenig daran gelegen, ob sie nach
konservativen, liberalen oder democratischen Grundsätzen regiert werden; instinctiv
fühlt das Volk, daß die einzige Politik, welche ihm frommt, die eines guten
Gewissens ist und dieses muß italienischen Ministern fehlen, welche für die
Aufrechterhaltung eines guten Vernehmens mit Frankreich den Preis der Selbst¬
schwächung des jungen Staats, und der Entwürdigung seiner Dynastie nicht zu
hoch finden.

Noch einmal ist es die Negierung des dritten Napoleon gewesen, welche
es auf sich genommen, die Italiener vor den Thoren Roms aufzuhalten. Daß
die Ausübung dieses Zwangs dem Kaiser eine persönliche Genugthuung, die
Aufrechterhaltung des Papstthums ein Herzenswunsch gewesen, ist ebenso wenig
anzunehmen, wie daß Victor Emanuel Natazzi mit leichtem Herzen entlassen
habe. Beide, der französische Kaiser, wie der italienische König machen kein
Geheimniß daraus, daß sie einer peinlichen Nothwendigkeit das Opfer ihrer
Neigungen gebracht, jener indem er eine Expedition absandte, die Frank-


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handelt sich's in dem Proceß, den die Italiener begonnen haben, als sie sich
gegen die kleinen und großen souveraine auflehnten, die von der Entwürdigung
ihrer Unterthanen lebten — und dieser Proceß ist wieder einmal verloren ge-
gangen. Das Forum, vor welchem er zum Austrag gebracht wurde, war die
Regierung Victor Emanuels und die Richter, welche es nicht über sich gewinnen
konnten, noch einmal gegen ihre Ueberzeugung zu urtheilen und dem Staat
die Pflicht der Selbstschwächung zu Gunsten eines feindlichen Gegners aufzu¬
erlegen — diese haben weichen müssen, um Männern Platz zu machen, die
trotz der Verschiedenheit ihrer Parteifarbe genau ebenso denken Wie ihre Vor¬
gänger, einstweilen aber darein gewilligt haben, ihre Ueberzeugung zu verleugnen.

Es kann für die Dringlichkeit einer Lösung der römischen Frage im natio¬
nalen Sinne kein schlagenderer Beweis beigebracht werden, als der Rücktritt
Ratazzis, und die Weigerung Cialdinis, derselben Staatsmänner, die das Werk
von Aspramonte fertig gebracht hatten. Das neue Cabinet Menabrca will es
versuchen, trotz der bessern Erkenntniß seiner Glieder, (deren Abneigung gegen
die Radikalen die Forderung der Occupations Roms durch die Regierung selbst
zur nothwendigen Consequenz hat) die Zügel der Regierung zu übernehmen; daß
es ihnen nicht gelingen werde, das Ansehen der Monarchie wieder herzustellen
und die Grundlagen einer friedlichen, wahrhaft konstitutionellen Entwickelung
zu legen, wissen diese konservativen Politiker ebenso gut, wie ihre liberalen
Gegner. Der Schlüssel zur Achtung des italienischen Volks ist weder in einer
radicalen noch in einer konservativen Schmiede, sondern allein an den Thüren
des Sanct Peter zu finden und auf ihn verzichtet zu haben, bildet das Ver¬
dienst, welchem die neuen Minister ihre Portefeuilles verdanken. So lange die
Italiener das schmähliche Bewußtsein, nicht loswerden, vor dem ersehnten Hasen
der Ruhe stillstehen zu müssen, ist ihnen wenig daran gelegen, ob sie nach
konservativen, liberalen oder democratischen Grundsätzen regiert werden; instinctiv
fühlt das Volk, daß die einzige Politik, welche ihm frommt, die eines guten
Gewissens ist und dieses muß italienischen Ministern fehlen, welche für die
Aufrechterhaltung eines guten Vernehmens mit Frankreich den Preis der Selbst¬
schwächung des jungen Staats, und der Entwürdigung seiner Dynastie nicht zu
hoch finden.

Noch einmal ist es die Negierung des dritten Napoleon gewesen, welche
es auf sich genommen, die Italiener vor den Thoren Roms aufzuhalten. Daß
die Ausübung dieses Zwangs dem Kaiser eine persönliche Genugthuung, die
Aufrechterhaltung des Papstthums ein Herzenswunsch gewesen, ist ebenso wenig
anzunehmen, wie daß Victor Emanuel Natazzi mit leichtem Herzen entlassen
habe. Beide, der französische Kaiser, wie der italienische König machen kein
Geheimniß daraus, daß sie einer peinlichen Nothwendigkeit das Opfer ihrer
Neigungen gebracht, jener indem er eine Expedition absandte, die Frank-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/235>, abgerufen am 29.04.2024.