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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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abgewendet worden, beiß ein deutschem Volk, Herr seines freien Willens, die
Waffen- und Verkehre-gen-inschaft mit den Brüdern aufsagte und mit eigenen
Händen einen Strich zwischen sich und Deutschland zog. Diese Schmach, dieser
Loskanf a" das Ausland ist erspart worden. Aber dies ändert nichts an der
beschämenden Thatsache, daß diese Gefahr in der That nahe lag, daß Tage lang
da, über gestritten wurde, ob wir auch hinfort zu Deutschland gehören wollen
oder nicht, und daß die Gründe, welche schließlich den Ausschlag gaben, wesent¬
lich von außen gekommen sind. Der schwäbische Particularismus ist aufs
Haupt geschlagen worden, aber die innere Ueberwindung des Feindes muß nun
erst folgen.

Möglich, daß, wenn der Particularismus das Feld behauptet hätte, eine um
so raschere Nadicalcur die Folge gewesen wäre. Der Gedanke war verzeihlich,
daß die feindlichen Elemente in unserer Volkskammer und in der bayrischen
Adciskammcr wirklich die "eiserne Consequenz" möchten bewahrt haben, die ihr
"Beobachter" und "Volksbotc", dieses Dioskurenpaar am Himmel süddeutscher
Publ>cistik. bis zum letzten Augenblick andichteten, daß Bayern und Würtem-
berg eine Weile vor die Thüre des Zollvereins gesetzt worden wären und die
Folgen ihres Trotzes zu spüren gehabt hätten. Ohne Zweifel hätten nicht wir
Ursache gehabt, mit dem Gang der Dinge unzufrieden zu sein. Die Aufregung,
welche sich der bayrischen Bevölkerung bemächtigte, als der eine Factor der
Gesetzgebung dem Lande den Fehdehandschuh hinwarf, zeigt deutlich, welche ge¬
gewaltige Hebel der nationalen Sache zu Gebote standen, wenn sie einem ern¬
sten Widerstand begegnete. Gleichwohl ist es besser. daß nicht größere Zwangs¬
mittel angewendet werden mußten und ein normaler Gang der Dinge davor
bewahrte, die deutsche Entwicklung in die Bahn von Experimenten zu werfen.
Durch die Annahme der Verträge ist der Boden gewonnen, von welchem ans
ji'der weitere Fortschritt ohne Wiederkehr einer Krisis sich vollziehen läßt, und
das Zvllparlamcm, das nun gesichert ist, ist auch darum ein so unschätzbares
Instrument, weil so lange der förmliche Eintritt der süddeutschen Staaten in
den Bund nicht angeht, doch seine Competenz sich jederzeit beliebig erwei¬
tern läßt, bis endlich niemand mehr ein Interesse hat, dem völligen Eintritt zu
widerstreben.

Sehr unerwünscht war den Gegnern die Wahrnehmung von der Conne-
xität des Zoll- und Allianzvcrtrags. Es brauchte lange, bis die wiederholten
Erklärungen in Berlin endlich diese unbequeme Erkenntniß zur Reise brachten.
In der That hatte man sich in der seltsamen Illusion gewiegt, daß man recht
gut den einen Vertrag verwerfen, den andern annehmen könne; manche schienen
es^ als einen ganz billigen Handel zu betrachten, wenn sie, den Zollvertrag ge¬
gen den Allianzvertrag abwägend, eine Concession nach der einen Seite durch
ein Zugeständniß nach der andern compcnsirtcn. Als zuerst der Abg. Braun


abgewendet worden, beiß ein deutschem Volk, Herr seines freien Willens, die
Waffen- und Verkehre-gen-inschaft mit den Brüdern aufsagte und mit eigenen
Händen einen Strich zwischen sich und Deutschland zog. Diese Schmach, dieser
Loskanf a» das Ausland ist erspart worden. Aber dies ändert nichts an der
beschämenden Thatsache, daß diese Gefahr in der That nahe lag, daß Tage lang
da, über gestritten wurde, ob wir auch hinfort zu Deutschland gehören wollen
oder nicht, und daß die Gründe, welche schließlich den Ausschlag gaben, wesent¬
lich von außen gekommen sind. Der schwäbische Particularismus ist aufs
Haupt geschlagen worden, aber die innere Ueberwindung des Feindes muß nun
erst folgen.

Möglich, daß, wenn der Particularismus das Feld behauptet hätte, eine um
so raschere Nadicalcur die Folge gewesen wäre. Der Gedanke war verzeihlich,
daß die feindlichen Elemente in unserer Volkskammer und in der bayrischen
Adciskammcr wirklich die „eiserne Consequenz" möchten bewahrt haben, die ihr
„Beobachter" und „Volksbotc", dieses Dioskurenpaar am Himmel süddeutscher
Publ>cistik. bis zum letzten Augenblick andichteten, daß Bayern und Würtem-
berg eine Weile vor die Thüre des Zollvereins gesetzt worden wären und die
Folgen ihres Trotzes zu spüren gehabt hätten. Ohne Zweifel hätten nicht wir
Ursache gehabt, mit dem Gang der Dinge unzufrieden zu sein. Die Aufregung,
welche sich der bayrischen Bevölkerung bemächtigte, als der eine Factor der
Gesetzgebung dem Lande den Fehdehandschuh hinwarf, zeigt deutlich, welche ge¬
gewaltige Hebel der nationalen Sache zu Gebote standen, wenn sie einem ern¬
sten Widerstand begegnete. Gleichwohl ist es besser. daß nicht größere Zwangs¬
mittel angewendet werden mußten und ein normaler Gang der Dinge davor
bewahrte, die deutsche Entwicklung in die Bahn von Experimenten zu werfen.
Durch die Annahme der Verträge ist der Boden gewonnen, von welchem ans
ji'der weitere Fortschritt ohne Wiederkehr einer Krisis sich vollziehen läßt, und
das Zvllparlamcm, das nun gesichert ist, ist auch darum ein so unschätzbares
Instrument, weil so lange der förmliche Eintritt der süddeutschen Staaten in
den Bund nicht angeht, doch seine Competenz sich jederzeit beliebig erwei¬
tern läßt, bis endlich niemand mehr ein Interesse hat, dem völligen Eintritt zu
widerstreben.

Sehr unerwünscht war den Gegnern die Wahrnehmung von der Conne-
xität des Zoll- und Allianzvcrtrags. Es brauchte lange, bis die wiederholten
Erklärungen in Berlin endlich diese unbequeme Erkenntniß zur Reise brachten.
In der That hatte man sich in der seltsamen Illusion gewiegt, daß man recht
gut den einen Vertrag verwerfen, den andern annehmen könne; manche schienen
es^ als einen ganz billigen Handel zu betrachten, wenn sie, den Zollvertrag ge¬
gen den Allianzvertrag abwägend, eine Concession nach der einen Seite durch
ein Zugeständniß nach der andern compcnsirtcn. Als zuerst der Abg. Braun


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/312>, abgerufen am 04.05.2024.