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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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sich vielmehr muthig in die Debatte über den Allianzvertrag, der dann auch
nach dreimal erneuter Verhandlung am folgenden Abend mit starker Mehrheit
genehmigt wurde. Allein selbst jetzt war das Schicksal des Zollvercinsvertrags.
zu dessen Genehmigung nicht einfache, sondern Zweidrittelmehrheit erforderlich
war, noch keineswegs gesichert. Bevor die entscheidende Sitzung am 31. Mor¬
gens eröffnet wurde, bemerkte man, wie da und dort eifrig die Mitglieder-
Verzeichnisse studirt wurden, um zu berechnen, welche Abgeordneten für, und
welche gegen stimmen würden, und ob die für eine Zweidrittelmehrheit erforder¬
liche Zahl von 60 zu erreichen sei. Aber man mochte noch so oft und genau
abzählen, allgemein war die Meinung, daß nur auf 59 mit Sicherheit für die
Genehmigung zu rechnen seien. Da trat noch einmal rettend die Correspon-
denz mit den guten Freunden in München ein. Gleich beim Beginn der Die-
cussion erhob sich ein schutzzöllnerisches Mitglied, das als einer der heftigsten
Gegner der neuen Zollvereinsverträge bekannt war, und sagte: zuverlässigen
Berichten aus München zufolge gebe die Kammer der Reichsrathe ihren Wider¬
stand auf und damit werde auch der Widerstand Würtembergs hinfällig; er
selbst halte nach wie vor den neuen Zollverein für schädlich, verderblich, ver-
hängnißvoll und dergl. mehr, werde aber für ihn stimmen. Dies war das sig.
mal zu einer allgemeinen Fahnenflucht; man erklärte für einen Vertrag zu stim¬
men, den man gleichzeitig als ein schreckliches Unglück für das Land vrädicirte,
statt der Discussion gab es nur noch motivirte Abstimmungen. Selbst Mohl
erklärte trauernd die Schlacht für verloren, was aber nicht hinderte, daß Frhr.
d. Varnbüler zu guter Letzt mit wahrhaft vernichtenden Streichen über Mohl
herfiel, von denen dieser in jedem andern Lande als Schwaben sich nicht mehr
erholen würde. An demselben Vormittag, während unsere Debatten im Gang
waren, erfolgte die Abstimmung in der Reichsrathkammer zu München. Wirk¬
lich hatte sie ihren Widerstand aufgegeben, wegen der unzweideutigen und dro¬
henden Haltung des bayrischen Volks, wie die Einen sagten, weil die Schlacht
w Würtemberg in diesem Augenblick verloren sei, wie die Anderen sagten.
Unter dem Eindruck dieser Nachricht aus München geschah dann vollends die
Abstimmung zu Stuttgart, die nur noch eine unbedeutende Minderheit auf Seite
der "eisernen Konsequenz" auswies.

Also die Bayern gaben nach, weil die Würtenberger nachgaben, und diese
Ü"ben nach, weil die Bayern nachgaben. Mit anderen Worten: beide schreckten
Zurück vor den Folgen ihres Eigensinns, und dies war die treffendste Selbst¬
kritik der Einwendungen, die sie bis zum letzten Augenblick aufrecht gehalten
hatten, und die sie doch selber durch ihre Handlungsweise für bedeutungslos
^klärten gegen die Folgen, welche die Verwerfung gehabt hätte. Die Bayern
waren froh, daß sie sich auf die Würtenberger. und diese, daß sie sich auf die
Bayern berufen konnten. Schließlich war es doch die unzweideutige Kundgebung


sich vielmehr muthig in die Debatte über den Allianzvertrag, der dann auch
nach dreimal erneuter Verhandlung am folgenden Abend mit starker Mehrheit
genehmigt wurde. Allein selbst jetzt war das Schicksal des Zollvercinsvertrags.
zu dessen Genehmigung nicht einfache, sondern Zweidrittelmehrheit erforderlich
war, noch keineswegs gesichert. Bevor die entscheidende Sitzung am 31. Mor¬
gens eröffnet wurde, bemerkte man, wie da und dort eifrig die Mitglieder-
Verzeichnisse studirt wurden, um zu berechnen, welche Abgeordneten für, und
welche gegen stimmen würden, und ob die für eine Zweidrittelmehrheit erforder¬
liche Zahl von 60 zu erreichen sei. Aber man mochte noch so oft und genau
abzählen, allgemein war die Meinung, daß nur auf 59 mit Sicherheit für die
Genehmigung zu rechnen seien. Da trat noch einmal rettend die Correspon-
denz mit den guten Freunden in München ein. Gleich beim Beginn der Die-
cussion erhob sich ein schutzzöllnerisches Mitglied, das als einer der heftigsten
Gegner der neuen Zollvereinsverträge bekannt war, und sagte: zuverlässigen
Berichten aus München zufolge gebe die Kammer der Reichsrathe ihren Wider¬
stand auf und damit werde auch der Widerstand Würtembergs hinfällig; er
selbst halte nach wie vor den neuen Zollverein für schädlich, verderblich, ver-
hängnißvoll und dergl. mehr, werde aber für ihn stimmen. Dies war das sig.
mal zu einer allgemeinen Fahnenflucht; man erklärte für einen Vertrag zu stim¬
men, den man gleichzeitig als ein schreckliches Unglück für das Land vrädicirte,
statt der Discussion gab es nur noch motivirte Abstimmungen. Selbst Mohl
erklärte trauernd die Schlacht für verloren, was aber nicht hinderte, daß Frhr.
d. Varnbüler zu guter Letzt mit wahrhaft vernichtenden Streichen über Mohl
herfiel, von denen dieser in jedem andern Lande als Schwaben sich nicht mehr
erholen würde. An demselben Vormittag, während unsere Debatten im Gang
waren, erfolgte die Abstimmung in der Reichsrathkammer zu München. Wirk¬
lich hatte sie ihren Widerstand aufgegeben, wegen der unzweideutigen und dro¬
henden Haltung des bayrischen Volks, wie die Einen sagten, weil die Schlacht
w Würtemberg in diesem Augenblick verloren sei, wie die Anderen sagten.
Unter dem Eindruck dieser Nachricht aus München geschah dann vollends die
Abstimmung zu Stuttgart, die nur noch eine unbedeutende Minderheit auf Seite
der „eisernen Konsequenz" auswies.

Also die Bayern gaben nach, weil die Würtenberger nachgaben, und diese
Ü"ben nach, weil die Bayern nachgaben. Mit anderen Worten: beide schreckten
Zurück vor den Folgen ihres Eigensinns, und dies war die treffendste Selbst¬
kritik der Einwendungen, die sie bis zum letzten Augenblick aufrecht gehalten
hatten, und die sie doch selber durch ihre Handlungsweise für bedeutungslos
^klärten gegen die Folgen, welche die Verwerfung gehabt hätte. Die Bayern
waren froh, daß sie sich auf die Würtenberger. und diese, daß sie sich auf die
Bayern berufen konnten. Schließlich war es doch die unzweideutige Kundgebung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/317>, abgerufen am 03.05.2024.