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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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gemahnt werden muß. Die Aufmerksamkeit des Volks und seiner Vertreter
von Vorgängen dieser Art abzulenken, der Regierung das gefährliche Experi-
mentiren mit liberalen Gesetzesvorschlägen, diesem rütimuin rötuFium, das in
Frankreich "Krönung des Gebäudes" heißt, -- zu ersparen und dem Kaiser
neuen Spielraum für sein diplomatisches Talent zu verschaffen, dazu ist der Kongreß
bestimmt! Diese Absichten zu unterstützen hat das deutsche Volk, hat der deutsche
Staat weder Grund noch Veranlassung; das französische Volk wird es uns nicht dan¬
ken, wenn wir seiner Negierung behilflich sind, die gegründeten Ansprüche der
Nation an würdigere innere Zustände durch die Beschäftigung mit Plänen äußern
Ehrgeizes zu übertäuben.

Es ist in letzter Zeit bereits häusig genug ausgesprochen worden, der
gegenwärtige innere Zustand Frankreichs sei eine europäische Gefahr; diese
Gefahr wird durch Palliativmittel nicht beseitigt, sondern nur verstärkt, und
wer es mit Frankreich und mit dem Frieden des übrigen Europa gut meint,
wird sich hüten müssen, die Wundercuren zu unterstützen, welche das Lmpiro
an dem kranken Körper vornimmt, und bei denen es doch nur darauf abgesehen
ist, dem wahren Sitz dieser Uebel das Secirmesser zu ersparen. Wollen wir
die Nichtintervcntionspolitik zum wirklichen Grundgesetz des europäischen Staats-
lebens machen, so dürfen wir auch in Frankreich "nicht interveniren". Das ge¬
schieht aber, wenn wir dem Kaiser behilflich sind, fremde Händel zu Fragen
der innern französischen Politik zu machen und den Austrag von Dingen zu
verzögern, die aufgetragen werden müssen, wenn das französische Volk zur
Ruhe kommen soll. Diese Ruhe zu finden, so lange die gegenwärtigen Zu¬
stände fortdauern und eines der ältesten Culturvölker unseres Welttheils dazu
verurtheilen, ausgeschlossen von den Segnungen eines freien Staatslebens im
wüsten Genuß und frivolen Eitelkeitscultus seine Kräfte zu verbrauchen, -- das
kann den Franzosen auf die Länge nicht zugemuthet werden. Und wir sind die
Letzten, die dazu helfen wollen.

Hat das Kaiserthum seine natürlichen Wurzeln im Volksboden verloren,
so kann es die Sache der Nachbarvölker nicht sein, demselben die Mittel zur
Fristung einer künstlichen Existenz auf fremde Unkosten zu liefern. Einen neuen
europäischen Kongreß zu Stande zu bringen und diesen zum Schlachtfelde diplo¬
matischer Siege zu machen, ist seit Jahren ein Lieblingsplan Napoleons. Mehr
wie einmal hat er versucht, die übrigen Staaten durch das Versprechen einer
zeitgemäßen "Revision der Verträge" zu ködern. Nun, so weit diese Verträge
Deutschland betreffen, sind sie durch das Jahr 18K6 gründlich genug revidirt
worden; wir haben allen Grund, mit den Resultaten dieser erneuten Durchsicht
unserer Acten zufrieden zu sein und brauchen weder französische, noch russische,
englische oder österreichische Beihilfe, um das begonnene Werk zum Schluß zu
führen. Unsere Pflicht wird es vielmehr sein, jene privilegirten Waghalter und


gemahnt werden muß. Die Aufmerksamkeit des Volks und seiner Vertreter
von Vorgängen dieser Art abzulenken, der Regierung das gefährliche Experi-
mentiren mit liberalen Gesetzesvorschlägen, diesem rütimuin rötuFium, das in
Frankreich „Krönung des Gebäudes" heißt, — zu ersparen und dem Kaiser
neuen Spielraum für sein diplomatisches Talent zu verschaffen, dazu ist der Kongreß
bestimmt! Diese Absichten zu unterstützen hat das deutsche Volk, hat der deutsche
Staat weder Grund noch Veranlassung; das französische Volk wird es uns nicht dan¬
ken, wenn wir seiner Negierung behilflich sind, die gegründeten Ansprüche der
Nation an würdigere innere Zustände durch die Beschäftigung mit Plänen äußern
Ehrgeizes zu übertäuben.

Es ist in letzter Zeit bereits häusig genug ausgesprochen worden, der
gegenwärtige innere Zustand Frankreichs sei eine europäische Gefahr; diese
Gefahr wird durch Palliativmittel nicht beseitigt, sondern nur verstärkt, und
wer es mit Frankreich und mit dem Frieden des übrigen Europa gut meint,
wird sich hüten müssen, die Wundercuren zu unterstützen, welche das Lmpiro
an dem kranken Körper vornimmt, und bei denen es doch nur darauf abgesehen
ist, dem wahren Sitz dieser Uebel das Secirmesser zu ersparen. Wollen wir
die Nichtintervcntionspolitik zum wirklichen Grundgesetz des europäischen Staats-
lebens machen, so dürfen wir auch in Frankreich „nicht interveniren". Das ge¬
schieht aber, wenn wir dem Kaiser behilflich sind, fremde Händel zu Fragen
der innern französischen Politik zu machen und den Austrag von Dingen zu
verzögern, die aufgetragen werden müssen, wenn das französische Volk zur
Ruhe kommen soll. Diese Ruhe zu finden, so lange die gegenwärtigen Zu¬
stände fortdauern und eines der ältesten Culturvölker unseres Welttheils dazu
verurtheilen, ausgeschlossen von den Segnungen eines freien Staatslebens im
wüsten Genuß und frivolen Eitelkeitscultus seine Kräfte zu verbrauchen, — das
kann den Franzosen auf die Länge nicht zugemuthet werden. Und wir sind die
Letzten, die dazu helfen wollen.

Hat das Kaiserthum seine natürlichen Wurzeln im Volksboden verloren,
so kann es die Sache der Nachbarvölker nicht sein, demselben die Mittel zur
Fristung einer künstlichen Existenz auf fremde Unkosten zu liefern. Einen neuen
europäischen Kongreß zu Stande zu bringen und diesen zum Schlachtfelde diplo¬
matischer Siege zu machen, ist seit Jahren ein Lieblingsplan Napoleons. Mehr
wie einmal hat er versucht, die übrigen Staaten durch das Versprechen einer
zeitgemäßen „Revision der Verträge" zu ködern. Nun, so weit diese Verträge
Deutschland betreffen, sind sie durch das Jahr 18K6 gründlich genug revidirt
worden; wir haben allen Grund, mit den Resultaten dieser erneuten Durchsicht
unserer Acten zufrieden zu sein und brauchen weder französische, noch russische,
englische oder österreichische Beihilfe, um das begonnene Werk zum Schluß zu
führen. Unsere Pflicht wird es vielmehr sein, jene privilegirten Waghalter und


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[0324] gemahnt werden muß. Die Aufmerksamkeit des Volks und seiner Vertreter von Vorgängen dieser Art abzulenken, der Regierung das gefährliche Experi- mentiren mit liberalen Gesetzesvorschlägen, diesem rütimuin rötuFium, das in Frankreich „Krönung des Gebäudes" heißt, — zu ersparen und dem Kaiser neuen Spielraum für sein diplomatisches Talent zu verschaffen, dazu ist der Kongreß bestimmt! Diese Absichten zu unterstützen hat das deutsche Volk, hat der deutsche Staat weder Grund noch Veranlassung; das französische Volk wird es uns nicht dan¬ ken, wenn wir seiner Negierung behilflich sind, die gegründeten Ansprüche der Nation an würdigere innere Zustände durch die Beschäftigung mit Plänen äußern Ehrgeizes zu übertäuben. Es ist in letzter Zeit bereits häusig genug ausgesprochen worden, der gegenwärtige innere Zustand Frankreichs sei eine europäische Gefahr; diese Gefahr wird durch Palliativmittel nicht beseitigt, sondern nur verstärkt, und wer es mit Frankreich und mit dem Frieden des übrigen Europa gut meint, wird sich hüten müssen, die Wundercuren zu unterstützen, welche das Lmpiro an dem kranken Körper vornimmt, und bei denen es doch nur darauf abgesehen ist, dem wahren Sitz dieser Uebel das Secirmesser zu ersparen. Wollen wir die Nichtintervcntionspolitik zum wirklichen Grundgesetz des europäischen Staats- lebens machen, so dürfen wir auch in Frankreich „nicht interveniren". Das ge¬ schieht aber, wenn wir dem Kaiser behilflich sind, fremde Händel zu Fragen der innern französischen Politik zu machen und den Austrag von Dingen zu verzögern, die aufgetragen werden müssen, wenn das französische Volk zur Ruhe kommen soll. Diese Ruhe zu finden, so lange die gegenwärtigen Zu¬ stände fortdauern und eines der ältesten Culturvölker unseres Welttheils dazu verurtheilen, ausgeschlossen von den Segnungen eines freien Staatslebens im wüsten Genuß und frivolen Eitelkeitscultus seine Kräfte zu verbrauchen, — das kann den Franzosen auf die Länge nicht zugemuthet werden. Und wir sind die Letzten, die dazu helfen wollen. Hat das Kaiserthum seine natürlichen Wurzeln im Volksboden verloren, so kann es die Sache der Nachbarvölker nicht sein, demselben die Mittel zur Fristung einer künstlichen Existenz auf fremde Unkosten zu liefern. Einen neuen europäischen Kongreß zu Stande zu bringen und diesen zum Schlachtfelde diplo¬ matischer Siege zu machen, ist seit Jahren ein Lieblingsplan Napoleons. Mehr wie einmal hat er versucht, die übrigen Staaten durch das Versprechen einer zeitgemäßen „Revision der Verträge" zu ködern. Nun, so weit diese Verträge Deutschland betreffen, sind sie durch das Jahr 18K6 gründlich genug revidirt worden; wir haben allen Grund, mit den Resultaten dieser erneuten Durchsicht unserer Acten zufrieden zu sein und brauchen weder französische, noch russische, englische oder österreichische Beihilfe, um das begonnene Werk zum Schluß zu führen. Unsere Pflicht wird es vielmehr sein, jene privilegirten Waghalter und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/324>, abgerufen am 06.05.2024.