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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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den übrigen Vorlagen weiß die Presse noch zu wenig um über sie reden zu
können. Nimmt doch zur Zeit die Zusammensetzung des Reichstages und was
mit dieser zusammenhängt, immer noch den Haupttheil des öffentlichen Interesses
in Anspruch, besonders so lange die Nachwahlen nicht beendetsind. Für diese ist. seit
die Versuche zur Durchdringung gemäßigter Kandidaten in Berlin noch ein Mal
gescheitert sind, nur der eine Wunsch berechtigt, daß die noch nicht gewählten
Veteranen des preußischen Parlamentarismus, vor allem Vincke, Lette und Gneist
berücksichtigt werden. Daß Namen von so erprobten Klang fehlen können, zeugt
von der Jugendlichkeit und Unreife unseres gesammten politischen Lebens und
ganz besonders des neuen Wahlapparats; daß einem englischen Parlament Män¬
ner wie d'Jsraeli, Gladstone oder Roebuck fehlen sollten, auch wenn dasselbe
unter dem Eindruck eines Erfolges ihrer Gegner zusammengetreten wäre, ist
undenkbar, weil ihre Nichtberücksichtigung für einen Verstoß gegen die Ehre des
Hauses gelten würde. Es giebt auch bei uns parlamentarische Männer, die nicht
mit dem, was sie thun oder zuletzt gethan haben, sondern mit dem was
sie sind, zahlen und das Gewicht dieser Art von Zahlung zu unterschätzen,
haben wir Deutsche am wenigsten Grund.

Mag der Ausgang dre Verhandlungen des Parlaments sein, welcher
er wolle, die Entscheidung über die Adresse -- wir müssen daraus zurückkommen,
wird unter allen Umständen zu den wichtigsten, dem Hause vorgelegten Fragen
gehören. Der Zeitpunkt für einen entscheidenden Schritt zur Annäherung des
Südens dünkt uns in jeder Rücksicht ein glücklich gewählter. Seit in eilfter
Stunde in die Regelung der Verhältnisse der annectirten Provinzen durch directe
Ausflüsse des königlichen Willens und durch Einberufung von Vertrauensmän¬
nern eingegriffen worden ist, hat sich die Stimmung in diesen unerwartet rasch ge¬
bessert, sogar in Hannover und Schleswig-Holstein, wo das "Stammesbewußt-
sein" unüberwindlich und die einzige Form des Vaterlandsgefühls zu sein be.
hauvtete. Die vor einigen Tagen stattgehabte Eröffnung des hannoverschen
Provinziallandtags, (dessen große Majorität sich entschiedener gegen das vorlaute
und anspruchsvolle Gebahren königlicher "Diener" aus welfischer Schule aus¬
gesprochen hat, als sich irgend erwarten ließ), hat zugleich dem neuen Ober-
präsidenten Grafen Stolberg Gelegenheit zur Abhaltung seines iniuäen-spöaeli
und zur Bekanntschaft mit dem Lande gegeben, das er künftig im Namen und
Geist des Königs und seines Ministers verwalten soll. Die Versuche der ra-
dicalen und particularistischen Opposition, den neuen Statthalter von Hause aus
zu discreditiren und in ächt bureaukratischer Manier aus mangelnden Exami-
nativuszeugnisscn auf mangelnde politische Fähigkeiten desselben zu schließen,
werden wenig ausrichten, wenn es sich bestätigt, daß der Graf nach erhaltener
Instruciivn und eigener Neigung bestrebt ist, im EinVerständniß mit Männern
wie Miquel und Benningsen. dem neuen Vicelandmarschall, zu wirken. Mit


den übrigen Vorlagen weiß die Presse noch zu wenig um über sie reden zu
können. Nimmt doch zur Zeit die Zusammensetzung des Reichstages und was
mit dieser zusammenhängt, immer noch den Haupttheil des öffentlichen Interesses
in Anspruch, besonders so lange die Nachwahlen nicht beendetsind. Für diese ist. seit
die Versuche zur Durchdringung gemäßigter Kandidaten in Berlin noch ein Mal
gescheitert sind, nur der eine Wunsch berechtigt, daß die noch nicht gewählten
Veteranen des preußischen Parlamentarismus, vor allem Vincke, Lette und Gneist
berücksichtigt werden. Daß Namen von so erprobten Klang fehlen können, zeugt
von der Jugendlichkeit und Unreife unseres gesammten politischen Lebens und
ganz besonders des neuen Wahlapparats; daß einem englischen Parlament Män¬
ner wie d'Jsraeli, Gladstone oder Roebuck fehlen sollten, auch wenn dasselbe
unter dem Eindruck eines Erfolges ihrer Gegner zusammengetreten wäre, ist
undenkbar, weil ihre Nichtberücksichtigung für einen Verstoß gegen die Ehre des
Hauses gelten würde. Es giebt auch bei uns parlamentarische Männer, die nicht
mit dem, was sie thun oder zuletzt gethan haben, sondern mit dem was
sie sind, zahlen und das Gewicht dieser Art von Zahlung zu unterschätzen,
haben wir Deutsche am wenigsten Grund.

Mag der Ausgang dre Verhandlungen des Parlaments sein, welcher
er wolle, die Entscheidung über die Adresse — wir müssen daraus zurückkommen,
wird unter allen Umständen zu den wichtigsten, dem Hause vorgelegten Fragen
gehören. Der Zeitpunkt für einen entscheidenden Schritt zur Annäherung des
Südens dünkt uns in jeder Rücksicht ein glücklich gewählter. Seit in eilfter
Stunde in die Regelung der Verhältnisse der annectirten Provinzen durch directe
Ausflüsse des königlichen Willens und durch Einberufung von Vertrauensmän¬
nern eingegriffen worden ist, hat sich die Stimmung in diesen unerwartet rasch ge¬
bessert, sogar in Hannover und Schleswig-Holstein, wo das „Stammesbewußt-
sein" unüberwindlich und die einzige Form des Vaterlandsgefühls zu sein be.
hauvtete. Die vor einigen Tagen stattgehabte Eröffnung des hannoverschen
Provinziallandtags, (dessen große Majorität sich entschiedener gegen das vorlaute
und anspruchsvolle Gebahren königlicher „Diener" aus welfischer Schule aus¬
gesprochen hat, als sich irgend erwarten ließ), hat zugleich dem neuen Ober-
präsidenten Grafen Stolberg Gelegenheit zur Abhaltung seines iniuäen-spöaeli
und zur Bekanntschaft mit dem Lande gegeben, das er künftig im Namen und
Geist des Königs und seines Ministers verwalten soll. Die Versuche der ra-
dicalen und particularistischen Opposition, den neuen Statthalter von Hause aus
zu discreditiren und in ächt bureaukratischer Manier aus mangelnden Exami-
nativuszeugnisscn auf mangelnde politische Fähigkeiten desselben zu schließen,
werden wenig ausrichten, wenn es sich bestätigt, daß der Graf nach erhaltener
Instruciivn und eigener Neigung bestrebt ist, im EinVerständniß mit Männern
wie Miquel und Benningsen. dem neuen Vicelandmarschall, zu wirken. Mit


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[0034] den übrigen Vorlagen weiß die Presse noch zu wenig um über sie reden zu können. Nimmt doch zur Zeit die Zusammensetzung des Reichstages und was mit dieser zusammenhängt, immer noch den Haupttheil des öffentlichen Interesses in Anspruch, besonders so lange die Nachwahlen nicht beendetsind. Für diese ist. seit die Versuche zur Durchdringung gemäßigter Kandidaten in Berlin noch ein Mal gescheitert sind, nur der eine Wunsch berechtigt, daß die noch nicht gewählten Veteranen des preußischen Parlamentarismus, vor allem Vincke, Lette und Gneist berücksichtigt werden. Daß Namen von so erprobten Klang fehlen können, zeugt von der Jugendlichkeit und Unreife unseres gesammten politischen Lebens und ganz besonders des neuen Wahlapparats; daß einem englischen Parlament Män¬ ner wie d'Jsraeli, Gladstone oder Roebuck fehlen sollten, auch wenn dasselbe unter dem Eindruck eines Erfolges ihrer Gegner zusammengetreten wäre, ist undenkbar, weil ihre Nichtberücksichtigung für einen Verstoß gegen die Ehre des Hauses gelten würde. Es giebt auch bei uns parlamentarische Männer, die nicht mit dem, was sie thun oder zuletzt gethan haben, sondern mit dem was sie sind, zahlen und das Gewicht dieser Art von Zahlung zu unterschätzen, haben wir Deutsche am wenigsten Grund. Mag der Ausgang dre Verhandlungen des Parlaments sein, welcher er wolle, die Entscheidung über die Adresse — wir müssen daraus zurückkommen, wird unter allen Umständen zu den wichtigsten, dem Hause vorgelegten Fragen gehören. Der Zeitpunkt für einen entscheidenden Schritt zur Annäherung des Südens dünkt uns in jeder Rücksicht ein glücklich gewählter. Seit in eilfter Stunde in die Regelung der Verhältnisse der annectirten Provinzen durch directe Ausflüsse des königlichen Willens und durch Einberufung von Vertrauensmän¬ nern eingegriffen worden ist, hat sich die Stimmung in diesen unerwartet rasch ge¬ bessert, sogar in Hannover und Schleswig-Holstein, wo das „Stammesbewußt- sein" unüberwindlich und die einzige Form des Vaterlandsgefühls zu sein be. hauvtete. Die vor einigen Tagen stattgehabte Eröffnung des hannoverschen Provinziallandtags, (dessen große Majorität sich entschiedener gegen das vorlaute und anspruchsvolle Gebahren königlicher „Diener" aus welfischer Schule aus¬ gesprochen hat, als sich irgend erwarten ließ), hat zugleich dem neuen Ober- präsidenten Grafen Stolberg Gelegenheit zur Abhaltung seines iniuäen-spöaeli und zur Bekanntschaft mit dem Lande gegeben, das er künftig im Namen und Geist des Königs und seines Ministers verwalten soll. Die Versuche der ra- dicalen und particularistischen Opposition, den neuen Statthalter von Hause aus zu discreditiren und in ächt bureaukratischer Manier aus mangelnden Exami- nativuszeugnisscn auf mangelnde politische Fähigkeiten desselben zu schließen, werden wenig ausrichten, wenn es sich bestätigt, daß der Graf nach erhaltener Instruciivn und eigener Neigung bestrebt ist, im EinVerständniß mit Männern wie Miquel und Benningsen. dem neuen Vicelandmarschall, zu wirken. Mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/34>, abgerufen am 03.05.2024.