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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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neue, welches neue Stoffe und neue Methode der Behandlung sucht, innere
Armuth. Verwilderung, zuletzt Rohheit der Form.

Und doch ist die Darstellung dieser ganzen Periode von dem gestiefelten
Kater bis zu Fritz Reuters mecklenburgischen Geschichten, Von dem vaseler
Frieden bis zum Vertrage von Nikolsburg in der neuen Arbeit des Verfassers
so tief und edel gefaßt, daß das allmcilige Wachsen der nationalen Kraft
im Vordergrund steht, und über den einzelnen Verirrungen des Urtheils und
Geschmacks die Steigerung der gemüthlichen Bedürfnisse und der Veränderte Ma߬
stab für den Werth des Geschaffenen sichtbar werden. Denn aus seinem Urtheil
fühlt sich immer ein patriotisches Herz und die frohe Zuversicht zu der Tüchtig¬
keit deutscher Natur heraus. Kaum ist irgendwo so vortrefflich, als hier, nach¬
gewiesen worden, wie der Mangel eines starken Staatslebens niederdrückend auf
dem besten geistigen Schaffen der Nation lag. und wie die Sehnsucht darnach
selbst in den wunderlichsten Verirrungen zu Tage kam, immer stärker und seit dem
Jahre 1848 immer gewaltiger. Es ist natürlich, daß bei einem Werke,
welches ein fast unermeßliches Gebiet der höchsten menschlichen Thätigkeit schil¬
dert, nicht jede Richtung und jede Persönlichkeit mit gleichmäßiger Theilnahme
bedacht ist, und das Urtheil des Verfassers über das Einzelne wird zuweilen
Widerspruch erfahren, aber den geistvollen und wahrhaften Grundgedanken des
Werkes soll man nicht antasten, nicht das Verständniß des Verfassers für den
großen Gang unserer nationalen Entwickelung und nicht die lautere Wärme,
womit er die sittlichen Forderungen der deutschen Gegenwart gegen unsere eigene
Vergangenheit und gegen die Fremden vertritt.

Es ist die frohe Zeit einer aufsteigenden nationalen Bewegung, welche in
diesem Werke geschildert wird. Dem Verfasser erscheint die Neugestaltung
Deutschlands als ein epochemachender Abschnitt für das gesammte geistige Leben
der Deutschen, und wie er in den Leistungen der Geisteswissenschaft und der
poetischen Literatur Vorarbeit und Sehnsucht darnach erkennt, so deutet er
auch an, daß die Neubildung unseres Staatslebens der Wissenschaft, wie
der poetischen Literatur und Kunst, neue, höhere Aufgaben stelle. Wir ver¬
trauen, sie wird ihren Segensgruß auch in das Arbeitszimmer unserer Gelehr¬
ten und Dichter senden, denn jede politisch bewegte Zeit gibt dem Volke außer
Bewunderung und Haß neue Einsicht und schärferes Verständniß zunächst
für politische Persönlichkeiten, dann für jede Menschennatur; und jede Steige¬
rung des nationalen Selbstgefühls und patriotischen Stolzes macht produktive
Kraft auf jedem Gebiet der geistigen und materiellen Interessen frei. Und wir
dürfen allerdings hoffen, daß unsere Historiker und Dichter klarer, fester und
siegesfroher das Leben beurtheilen werden, welches sie zu schildern unter¬
nehmen. Wie schnell der politische Fortschritt sich in unserer Literatur als ein
neuer Höhepunkt kundgeben wird, das wissen wir freilich nicht, und wir


neue, welches neue Stoffe und neue Methode der Behandlung sucht, innere
Armuth. Verwilderung, zuletzt Rohheit der Form.

Und doch ist die Darstellung dieser ganzen Periode von dem gestiefelten
Kater bis zu Fritz Reuters mecklenburgischen Geschichten, Von dem vaseler
Frieden bis zum Vertrage von Nikolsburg in der neuen Arbeit des Verfassers
so tief und edel gefaßt, daß das allmcilige Wachsen der nationalen Kraft
im Vordergrund steht, und über den einzelnen Verirrungen des Urtheils und
Geschmacks die Steigerung der gemüthlichen Bedürfnisse und der Veränderte Ma߬
stab für den Werth des Geschaffenen sichtbar werden. Denn aus seinem Urtheil
fühlt sich immer ein patriotisches Herz und die frohe Zuversicht zu der Tüchtig¬
keit deutscher Natur heraus. Kaum ist irgendwo so vortrefflich, als hier, nach¬
gewiesen worden, wie der Mangel eines starken Staatslebens niederdrückend auf
dem besten geistigen Schaffen der Nation lag. und wie die Sehnsucht darnach
selbst in den wunderlichsten Verirrungen zu Tage kam, immer stärker und seit dem
Jahre 1848 immer gewaltiger. Es ist natürlich, daß bei einem Werke,
welches ein fast unermeßliches Gebiet der höchsten menschlichen Thätigkeit schil¬
dert, nicht jede Richtung und jede Persönlichkeit mit gleichmäßiger Theilnahme
bedacht ist, und das Urtheil des Verfassers über das Einzelne wird zuweilen
Widerspruch erfahren, aber den geistvollen und wahrhaften Grundgedanken des
Werkes soll man nicht antasten, nicht das Verständniß des Verfassers für den
großen Gang unserer nationalen Entwickelung und nicht die lautere Wärme,
womit er die sittlichen Forderungen der deutschen Gegenwart gegen unsere eigene
Vergangenheit und gegen die Fremden vertritt.

Es ist die frohe Zeit einer aufsteigenden nationalen Bewegung, welche in
diesem Werke geschildert wird. Dem Verfasser erscheint die Neugestaltung
Deutschlands als ein epochemachender Abschnitt für das gesammte geistige Leben
der Deutschen, und wie er in den Leistungen der Geisteswissenschaft und der
poetischen Literatur Vorarbeit und Sehnsucht darnach erkennt, so deutet er
auch an, daß die Neubildung unseres Staatslebens der Wissenschaft, wie
der poetischen Literatur und Kunst, neue, höhere Aufgaben stelle. Wir ver¬
trauen, sie wird ihren Segensgruß auch in das Arbeitszimmer unserer Gelehr¬
ten und Dichter senden, denn jede politisch bewegte Zeit gibt dem Volke außer
Bewunderung und Haß neue Einsicht und schärferes Verständniß zunächst
für politische Persönlichkeiten, dann für jede Menschennatur; und jede Steige¬
rung des nationalen Selbstgefühls und patriotischen Stolzes macht produktive
Kraft auf jedem Gebiet der geistigen und materiellen Interessen frei. Und wir
dürfen allerdings hoffen, daß unsere Historiker und Dichter klarer, fester und
siegesfroher das Leben beurtheilen werden, welches sie zu schildern unter¬
nehmen. Wie schnell der politische Fortschritt sich in unserer Literatur als ein
neuer Höhepunkt kundgeben wird, das wissen wir freilich nicht, und wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/392>, abgerufen am 28.04.2024.