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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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gewendeten Systems bezeichnet, obgleich dieses System von der Regierung aner¬
kannter maßen nur zur Bekämpfung der Revolution adoptirt wurde, von
der Gefahr einer solchen in den Ostseeprovinzen aber niemals die Rede
gewesen ist. Die Absicht, welche die Nationalpartei bei der Jnscenirung
dieser angeblichen "Reformen" verfolgt, ist sehr viel deutlicher abzusehen,
als die Intention der Negierung, welche auf diese Weise um die feste
Stütze gebracht wird, welche sie an der Zufriedenheit ihrer deutsch-protestantischen
Unterthanen besaß. Das Gespenst, mit welchem die leitenden Staatsmänner
Rußlands von der Presse geängstigt werden, ist die Gefahr der täglich
mächtiger werdenden preußischen Nachbarschaft; die "Most. Zeit." wird nicht
müde vor Preußen zu warnen und hat noch neuerdings eine Reihe fulminanter
Artikel in die Welt gesandt, welche von dem Bau einer Pinsk-Bjaiostvcker Eisen¬
bahn, die einen preußischen Einfall erleichtern könnte, abrathen. Aus einem ähn¬
lichen Grunde wird seit Jahren gegen eine directe Schienenverbindung der Düna-
mündung mit Meine! agitirt. -- Während man dem russischen Staat vor einer Schä¬
digung seiner westlichen Grenzen bange zu machen sucht, dehnt derselbe sich unaufhalt¬
sam nach Osten weiter ans. Die petersb. Journale verkünden neue Siege
gegen die Bewohner Bucharas und das ehemalige Chanat von Taschkend ist
vor einigen Wochen in ein Generalgouvernement verwandelt worden, an dessen
Spitze der aus der Zeit seiner Oberverwaltung in Wilna bekannte General¬
adjutant v. Kaufmann steht. Immer näher rückt der Zeitpunkt, in welchem
die russischen und die büttischen Interessen in Asien auseinander stoßen müssen
und es sind nur noch 80 deutsche Meilen, welche die äußersten asiatischen Vorposten
dieser beiden Nationen von einander trennen.

In England ist seit Beendigung der Parlamentssession und eingeholter
königlicher Bestätigung der d'Jsraelyschcn Reformbill ein Ruhepunkt im öffent¬
lichen Leben eingetreten. Die Ausrüstung der gegen Theodoros von Abyssinien
bestimmten Expedition, die voraussichtlichen Folgen des neuen Wahlgesetzes,
das Verhältniß Frankreichs zu Deutschland und der noch immer gährende ame¬
rikanische Verfassungscvnflict sind die Gegenstände, mit welchen die englische
Presse ihre Leser unterhält, bis zu einem neuen parlamentarischen Feldzuge ge¬
rüstet wird. Für diesen aber stehen Entscheidungen von Bedeutung zu erwarten.
Das Ministerium Derby-d'Zsracly. dessen Fortbestehen von dem allgemeinen
Bedürfniß nach Erledigung der Reformangelegenheit getragen worden war,
wird nicht umhin können, sich einem Gesetz über Arbeitcrassociationen zuzu-
wenden, wie es durch die Resultate der in Sheffield vorgenommenen Enquete
dringend verlangt wird. Die während der vorigen Session durch den Staats-
secrctär des Innern, Mr. Hardy von dem Hause eingeholte Genehmigung zu Er¬
hebungen über die Iraäös-unions, verpflichtet die Regierung zu einer eingehen¬
den Umgestaltung der Associations- und Arbcitcrgesetzgebung und führt ganz


gewendeten Systems bezeichnet, obgleich dieses System von der Regierung aner¬
kannter maßen nur zur Bekämpfung der Revolution adoptirt wurde, von
der Gefahr einer solchen in den Ostseeprovinzen aber niemals die Rede
gewesen ist. Die Absicht, welche die Nationalpartei bei der Jnscenirung
dieser angeblichen „Reformen" verfolgt, ist sehr viel deutlicher abzusehen,
als die Intention der Negierung, welche auf diese Weise um die feste
Stütze gebracht wird, welche sie an der Zufriedenheit ihrer deutsch-protestantischen
Unterthanen besaß. Das Gespenst, mit welchem die leitenden Staatsmänner
Rußlands von der Presse geängstigt werden, ist die Gefahr der täglich
mächtiger werdenden preußischen Nachbarschaft; die „Most. Zeit." wird nicht
müde vor Preußen zu warnen und hat noch neuerdings eine Reihe fulminanter
Artikel in die Welt gesandt, welche von dem Bau einer Pinsk-Bjaiostvcker Eisen¬
bahn, die einen preußischen Einfall erleichtern könnte, abrathen. Aus einem ähn¬
lichen Grunde wird seit Jahren gegen eine directe Schienenverbindung der Düna-
mündung mit Meine! agitirt. — Während man dem russischen Staat vor einer Schä¬
digung seiner westlichen Grenzen bange zu machen sucht, dehnt derselbe sich unaufhalt¬
sam nach Osten weiter ans. Die petersb. Journale verkünden neue Siege
gegen die Bewohner Bucharas und das ehemalige Chanat von Taschkend ist
vor einigen Wochen in ein Generalgouvernement verwandelt worden, an dessen
Spitze der aus der Zeit seiner Oberverwaltung in Wilna bekannte General¬
adjutant v. Kaufmann steht. Immer näher rückt der Zeitpunkt, in welchem
die russischen und die büttischen Interessen in Asien auseinander stoßen müssen
und es sind nur noch 80 deutsche Meilen, welche die äußersten asiatischen Vorposten
dieser beiden Nationen von einander trennen.

In England ist seit Beendigung der Parlamentssession und eingeholter
königlicher Bestätigung der d'Jsraelyschcn Reformbill ein Ruhepunkt im öffent¬
lichen Leben eingetreten. Die Ausrüstung der gegen Theodoros von Abyssinien
bestimmten Expedition, die voraussichtlichen Folgen des neuen Wahlgesetzes,
das Verhältniß Frankreichs zu Deutschland und der noch immer gährende ame¬
rikanische Verfassungscvnflict sind die Gegenstände, mit welchen die englische
Presse ihre Leser unterhält, bis zu einem neuen parlamentarischen Feldzuge ge¬
rüstet wird. Für diesen aber stehen Entscheidungen von Bedeutung zu erwarten.
Das Ministerium Derby-d'Zsracly. dessen Fortbestehen von dem allgemeinen
Bedürfniß nach Erledigung der Reformangelegenheit getragen worden war,
wird nicht umhin können, sich einem Gesetz über Arbeitcrassociationen zuzu-
wenden, wie es durch die Resultate der in Sheffield vorgenommenen Enquete
dringend verlangt wird. Die während der vorigen Session durch den Staats-
secrctär des Innern, Mr. Hardy von dem Hause eingeholte Genehmigung zu Er¬
hebungen über die Iraäös-unions, verpflichtet die Regierung zu einer eingehen¬
den Umgestaltung der Associations- und Arbcitcrgesetzgebung und führt ganz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/40>, abgerufen am 03.05.2024.