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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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nur als Uebersetzer und Bccubäter erscheint. Dazu kamen außer jenen sophisti¬
schen Vortragen und Reden verschiedene Zweige der Unterhaltungsliteratur.
Er cultivirte, wie er selbst sagt, alle neun Musen, und schrieb mit einem
Schreiberohr in beiden Sprachen Gedichte für den Rhapsoden und Kiiharoden,
für den Soccus und Kolsun, Räthsel und Satyren, frivole Liebesgedichte
und fromme Hymnen. Geschichten, Reden und philosophische Dialoge, mit
gleichem Eifer, gleichem Fleiß, in gleichem Stil. In diese Reihe gehören seine
Romane, von denen nur die Metamorphosen erhalten sind, auch diese eine
Bearbeitung nach dem Griechischen.

Die Haupterzählung, welche aber wesentlich als Nahmen für eine Reihe
selbständiger Geschichten dient, ist einfach. Ein junger Mann Lucius, der an
allem Zauberwesen lebhaftes Interesse nimmt, kommt nach Thessalien und hofft
dort, in der Heimat der griechischen Hexen, Wunderdinge zu erfahren. In der
That hört und sieht er ernste und lustige Spuckgeschichten, und wird durch die
Gunst des Kammermädchens -Augenzeuge, wie seine Hauswirthin sich in einen
Vogel verwandelt. Als er dasselbe Experiment machen will, erhält er durch
einen Mißgriff des Mädchens die Gestalt eines Esels; Räuber entführen ihn,
er kommt aus einer Hand in die andere und erlebt mancherlei verschiedene
Abenteuer, bis er unter dem Schutz der Göttin Isis entzaubert wird und sich
in die Mysterien der Isis und des Osiris aufnehmen läßt. Außer diesen Er¬
lebnissen des verwandelten Lucius werden aber noch andere merkwürdige Be¬
gebenheiten mitgetheilt, von denen er Augen- oder Ohrenzeuge ist, oder die
auch in Erzählungen eingeschachtelte Erzählungen sind. Es ist begreiflich, daß
diese dem Interesse des Inhalts wie der Darstellung nach die Hauptgeschich¬
ten sind.

Unter den Schriften Lucians ist eine Erzählung welche die Geschichte
des verwandelten Lucius und seiner Begebenheiten, dem Inhalt und der An¬
ordnung nach übereinstimmend mit Apulejus, kurz und lustig erzählt, nur daß
sie statt der salbungsvollen Mysterieneniwickelung einen witzigen zum Ton des
Ganzen passenden Schluß hat. Es liegt nahe, hierin das von Apulejus be¬
arbeitete und durch die eingelegten Novellen erweiterte Original zu erkennen.
Wir erfahren aber, daß es auch eine griechische, viel weitläufigere Bearbeitung
von einem unbekannten Verfasser gegeben hat; leider wird nicht berichtet, ob sie
auch eingeschaltete Erzählungen enthalten habe, sodaß Apulejus die seinigen daher
entlehnen konnte. Denn daß er sie selbst erfunden habe, ist nach allem, was
Wir wissen, durchaus nicht wahrscheinlich. Was ihm angehört, ist die Dar¬
stellung, und diese ist eigenthümlich genug. Jene Zeit erstrebte eine Pikante
und anziehende sprachliche Darstellung namentlich dadurch, daß man anstatt
von Cicero und Horaz als Mustern auszugehen, auf die ältere Zeit, auf
Plautus und Cato zurückgriff. Von ihnen entlehnte man Worte und Wendun-


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nur als Uebersetzer und Bccubäter erscheint. Dazu kamen außer jenen sophisti¬
schen Vortragen und Reden verschiedene Zweige der Unterhaltungsliteratur.
Er cultivirte, wie er selbst sagt, alle neun Musen, und schrieb mit einem
Schreiberohr in beiden Sprachen Gedichte für den Rhapsoden und Kiiharoden,
für den Soccus und Kolsun, Räthsel und Satyren, frivole Liebesgedichte
und fromme Hymnen. Geschichten, Reden und philosophische Dialoge, mit
gleichem Eifer, gleichem Fleiß, in gleichem Stil. In diese Reihe gehören seine
Romane, von denen nur die Metamorphosen erhalten sind, auch diese eine
Bearbeitung nach dem Griechischen.

Die Haupterzählung, welche aber wesentlich als Nahmen für eine Reihe
selbständiger Geschichten dient, ist einfach. Ein junger Mann Lucius, der an
allem Zauberwesen lebhaftes Interesse nimmt, kommt nach Thessalien und hofft
dort, in der Heimat der griechischen Hexen, Wunderdinge zu erfahren. In der
That hört und sieht er ernste und lustige Spuckgeschichten, und wird durch die
Gunst des Kammermädchens -Augenzeuge, wie seine Hauswirthin sich in einen
Vogel verwandelt. Als er dasselbe Experiment machen will, erhält er durch
einen Mißgriff des Mädchens die Gestalt eines Esels; Räuber entführen ihn,
er kommt aus einer Hand in die andere und erlebt mancherlei verschiedene
Abenteuer, bis er unter dem Schutz der Göttin Isis entzaubert wird und sich
in die Mysterien der Isis und des Osiris aufnehmen läßt. Außer diesen Er¬
lebnissen des verwandelten Lucius werden aber noch andere merkwürdige Be¬
gebenheiten mitgetheilt, von denen er Augen- oder Ohrenzeuge ist, oder die
auch in Erzählungen eingeschachtelte Erzählungen sind. Es ist begreiflich, daß
diese dem Interesse des Inhalts wie der Darstellung nach die Hauptgeschich¬
ten sind.

Unter den Schriften Lucians ist eine Erzählung welche die Geschichte
des verwandelten Lucius und seiner Begebenheiten, dem Inhalt und der An¬
ordnung nach übereinstimmend mit Apulejus, kurz und lustig erzählt, nur daß
sie statt der salbungsvollen Mysterieneniwickelung einen witzigen zum Ton des
Ganzen passenden Schluß hat. Es liegt nahe, hierin das von Apulejus be¬
arbeitete und durch die eingelegten Novellen erweiterte Original zu erkennen.
Wir erfahren aber, daß es auch eine griechische, viel weitläufigere Bearbeitung
von einem unbekannten Verfasser gegeben hat; leider wird nicht berichtet, ob sie
auch eingeschaltete Erzählungen enthalten habe, sodaß Apulejus die seinigen daher
entlehnen konnte. Denn daß er sie selbst erfunden habe, ist nach allem, was
Wir wissen, durchaus nicht wahrscheinlich. Was ihm angehört, ist die Dar¬
stellung, und diese ist eigenthümlich genug. Jene Zeit erstrebte eine Pikante
und anziehende sprachliche Darstellung namentlich dadurch, daß man anstatt
von Cicero und Horaz als Mustern auszugehen, auf die ältere Zeit, auf
Plautus und Cato zurückgriff. Von ihnen entlehnte man Worte und Wendun-


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[0451] nur als Uebersetzer und Bccubäter erscheint. Dazu kamen außer jenen sophisti¬ schen Vortragen und Reden verschiedene Zweige der Unterhaltungsliteratur. Er cultivirte, wie er selbst sagt, alle neun Musen, und schrieb mit einem Schreiberohr in beiden Sprachen Gedichte für den Rhapsoden und Kiiharoden, für den Soccus und Kolsun, Räthsel und Satyren, frivole Liebesgedichte und fromme Hymnen. Geschichten, Reden und philosophische Dialoge, mit gleichem Eifer, gleichem Fleiß, in gleichem Stil. In diese Reihe gehören seine Romane, von denen nur die Metamorphosen erhalten sind, auch diese eine Bearbeitung nach dem Griechischen. Die Haupterzählung, welche aber wesentlich als Nahmen für eine Reihe selbständiger Geschichten dient, ist einfach. Ein junger Mann Lucius, der an allem Zauberwesen lebhaftes Interesse nimmt, kommt nach Thessalien und hofft dort, in der Heimat der griechischen Hexen, Wunderdinge zu erfahren. In der That hört und sieht er ernste und lustige Spuckgeschichten, und wird durch die Gunst des Kammermädchens -Augenzeuge, wie seine Hauswirthin sich in einen Vogel verwandelt. Als er dasselbe Experiment machen will, erhält er durch einen Mißgriff des Mädchens die Gestalt eines Esels; Räuber entführen ihn, er kommt aus einer Hand in die andere und erlebt mancherlei verschiedene Abenteuer, bis er unter dem Schutz der Göttin Isis entzaubert wird und sich in die Mysterien der Isis und des Osiris aufnehmen läßt. Außer diesen Er¬ lebnissen des verwandelten Lucius werden aber noch andere merkwürdige Be¬ gebenheiten mitgetheilt, von denen er Augen- oder Ohrenzeuge ist, oder die auch in Erzählungen eingeschachtelte Erzählungen sind. Es ist begreiflich, daß diese dem Interesse des Inhalts wie der Darstellung nach die Hauptgeschich¬ ten sind. Unter den Schriften Lucians ist eine Erzählung welche die Geschichte des verwandelten Lucius und seiner Begebenheiten, dem Inhalt und der An¬ ordnung nach übereinstimmend mit Apulejus, kurz und lustig erzählt, nur daß sie statt der salbungsvollen Mysterieneniwickelung einen witzigen zum Ton des Ganzen passenden Schluß hat. Es liegt nahe, hierin das von Apulejus be¬ arbeitete und durch die eingelegten Novellen erweiterte Original zu erkennen. Wir erfahren aber, daß es auch eine griechische, viel weitläufigere Bearbeitung von einem unbekannten Verfasser gegeben hat; leider wird nicht berichtet, ob sie auch eingeschaltete Erzählungen enthalten habe, sodaß Apulejus die seinigen daher entlehnen konnte. Denn daß er sie selbst erfunden habe, ist nach allem, was Wir wissen, durchaus nicht wahrscheinlich. Was ihm angehört, ist die Dar¬ stellung, und diese ist eigenthümlich genug. Jene Zeit erstrebte eine Pikante und anziehende sprachliche Darstellung namentlich dadurch, daß man anstatt von Cicero und Horaz als Mustern auszugehen, auf die ältere Zeit, auf Plautus und Cato zurückgriff. Von ihnen entlehnte man Worte und Wendun- b7*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/451>, abgerufen am 03.05.2024.