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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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sich zu der Frage gedrungen fühlen, ob nicht außer dem poetischen Eindruck der
homerischen Schilderung, welche wohl geeignet war einen Künstler anzuregen,
eine bestimmte Veranlassung, ein mächtig wirkendes Ereigniß die sehr eigen¬
thümliche Schöpfung hervorgerufen habe, als welche wir jetzt das Original des
Apoll von Belvedere aufzufassen berechtigt sind. Eine scharfsinnige Vermuthung
Prell ers hat aus diese Frage eine befriedigende Antwort gegeben: er findet
in der Niederlage der Kelten vor Delphi das Ereigniß, welches den Künst¬
ler zu seinem Werke veranlaßte und begeisterte.

Als im Jahre 279 v. Chr. die Kelten unter Brennus vor Delphi
erschienen um den Tempel zu plündern, kamen den zur tapfern Vertheidigung
des schon durch seine Lage wirksam beschützten Heiligthums mit ihren Verbündeten
entschlossenen Delphiern ungewöhnliche Naturereignisse zu Hülse. Furchtbare Ge¬
witterstürme entluden sich unter Donner und Blitz mitSchneeundHagelüber den stür¬
menden Galliernund verbreiteten, einen panischen Schrecken unter ihnen, der die Nie¬
derlage herbeiführen half, welche zwar nicht, wie man nachher erzählte, ihre völlige Ver¬
nichtung zur Folge hatte, aber sie zum Abzug aus Griechenland zwang. Die Ret¬
tung des allgemeinen Heiligthums, die Besiegung und Vertreibung der Barbaren
durch gemeinsame Anstrengungen der verbündeten Hellenen rief in Griechenland,
namentlich in Athen große Begeisterung hervor, man glaubte die Thaten und
die Erfolge der Perserkriege seien wieder gekehrt, man hoffte auf nationale Eini¬
gung und Erhebung zu nationaler Freiheit und Größe. Wie damals schrieb
man den Göttern einen wesentlichen und unmittelbaren Antheil an dem Siege
zu. Ein Dank- und Netlungsfest (Soteria) wurde gestiftet, das in Delphi
noch lange Zeit mit glänzendem Aufwand gymnischer und musischer Wettspiele
zu Ehren Zeus des Erretters und des pythischen Apollo gefeiert
wurde. Es wurde erzählt und geglaubt, als man damit umgegangen sei, mit
den Tempelschätzen zu flüchten, habe ein Orakel das verboten mit der Weisung,
der Gott selbst werde Sorge tragen und die weißen Jungfrauen. Und
als die Kelten zu stürmen begannen, und das furchtbare Unweiter mit Donner
und Blitz, Schnee und Hagel über sie einbrach, als der Sturm entwurzelte
Bäume und losgerissene Felsblöcke über sie herflürzte, da sah man den Gott
selbst in überirdischer Schönheit leuchtend durch die Dachöffnung in seinen Tem¬
pel herabkommen und mit Athene und Artemis, deren Bilder vor dem Tempel
standen, den Feind bekämpfen.

Das war ein Moment und eine Stimmung, welche einen Künstler schöpferisch
anregen konnte, und keinen glücklicheren Ausdruck konnte er für die Vorstellung,
welche es hier galt, finden als das homerische Bild des Apollo mit der Aegis.
Bei wenigen Symbolen hat sich im Cultus und in der Sage die ursprünglich
zu Grunde liegende Naturanschauung so lebendig im Bewußtsein erhalten, als
bei der Aegis und dem Gorgoneion. Daß sie Sturm und Gewitter in den


sich zu der Frage gedrungen fühlen, ob nicht außer dem poetischen Eindruck der
homerischen Schilderung, welche wohl geeignet war einen Künstler anzuregen,
eine bestimmte Veranlassung, ein mächtig wirkendes Ereigniß die sehr eigen¬
thümliche Schöpfung hervorgerufen habe, als welche wir jetzt das Original des
Apoll von Belvedere aufzufassen berechtigt sind. Eine scharfsinnige Vermuthung
Prell ers hat aus diese Frage eine befriedigende Antwort gegeben: er findet
in der Niederlage der Kelten vor Delphi das Ereigniß, welches den Künst¬
ler zu seinem Werke veranlaßte und begeisterte.

Als im Jahre 279 v. Chr. die Kelten unter Brennus vor Delphi
erschienen um den Tempel zu plündern, kamen den zur tapfern Vertheidigung
des schon durch seine Lage wirksam beschützten Heiligthums mit ihren Verbündeten
entschlossenen Delphiern ungewöhnliche Naturereignisse zu Hülse. Furchtbare Ge¬
witterstürme entluden sich unter Donner und Blitz mitSchneeundHagelüber den stür¬
menden Galliernund verbreiteten, einen panischen Schrecken unter ihnen, der die Nie¬
derlage herbeiführen half, welche zwar nicht, wie man nachher erzählte, ihre völlige Ver¬
nichtung zur Folge hatte, aber sie zum Abzug aus Griechenland zwang. Die Ret¬
tung des allgemeinen Heiligthums, die Besiegung und Vertreibung der Barbaren
durch gemeinsame Anstrengungen der verbündeten Hellenen rief in Griechenland,
namentlich in Athen große Begeisterung hervor, man glaubte die Thaten und
die Erfolge der Perserkriege seien wieder gekehrt, man hoffte auf nationale Eini¬
gung und Erhebung zu nationaler Freiheit und Größe. Wie damals schrieb
man den Göttern einen wesentlichen und unmittelbaren Antheil an dem Siege
zu. Ein Dank- und Netlungsfest (Soteria) wurde gestiftet, das in Delphi
noch lange Zeit mit glänzendem Aufwand gymnischer und musischer Wettspiele
zu Ehren Zeus des Erretters und des pythischen Apollo gefeiert
wurde. Es wurde erzählt und geglaubt, als man damit umgegangen sei, mit
den Tempelschätzen zu flüchten, habe ein Orakel das verboten mit der Weisung,
der Gott selbst werde Sorge tragen und die weißen Jungfrauen. Und
als die Kelten zu stürmen begannen, und das furchtbare Unweiter mit Donner
und Blitz, Schnee und Hagel über sie einbrach, als der Sturm entwurzelte
Bäume und losgerissene Felsblöcke über sie herflürzte, da sah man den Gott
selbst in überirdischer Schönheit leuchtend durch die Dachöffnung in seinen Tem¬
pel herabkommen und mit Athene und Artemis, deren Bilder vor dem Tempel
standen, den Feind bekämpfen.

Das war ein Moment und eine Stimmung, welche einen Künstler schöpferisch
anregen konnte, und keinen glücklicheren Ausdruck konnte er für die Vorstellung,
welche es hier galt, finden als das homerische Bild des Apollo mit der Aegis.
Bei wenigen Symbolen hat sich im Cultus und in der Sage die ursprünglich
zu Grunde liegende Naturanschauung so lebendig im Bewußtsein erhalten, als
bei der Aegis und dem Gorgoneion. Daß sie Sturm und Gewitter in den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/52>, abgerufen am 27.04.2024.