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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Stationshäuser, ja die Rebe hüllt bereits in fröhliches Grün die schnell errich¬
teten Häuser, in denen unsere Dampfrosse aufbewahrt werden, oder der Bahn¬
wärter sein enges Lager hat. Auch in kleinen Städten ist der Verschönerungs¬
trieb thätig, die Promenaden um die alte Stadtmauer und den abgetragenen
Wall werden alljährlich verschönert, am Tage machen die Kinder der Bürger
dort ihre ersten Uebungen, und am Abend lagert sich auf den Bänken der müde
Arbeiter und freut sich der Gartenkunst, welche mehr ihm als dem Reichen zu
gute kommt. Auf dem Lande trägt der Postbote mit Briefen, Zeitungen und
Unterhaltungsblättern die Kunde von der großen Welt bis in das ärmste Wald-
dvrf, auch in kleinen Städten sucht man eifrig den Anschluß an die großen Ver¬
kehrsadern, sorgt um Gaslicht, gutes Trinkwasser, sorgfältige Pflasterung. Der
Trieb, die nächste Umgebung zu verschönern, auch das Aeuszere des Ortes heiter
und stattlich darzustellen, wird immer allgemeiner, und das Interesse an der
heimischen Vergangenheit, an alten Baudenkmälern und merkwürdigen Bräuchen
regt sich auch in kleinen Kreisen. Der Deutsche hat wieder den Wunsch und zum
Theil die Fertigkeit gewonnen, sich und seine Umgebung mit Selbstgefühl zu
betrachten. Und das ist viel werth als Bürgschaft und Vermittelung auch anderer
größerer Fortschritte. Seit dreißig Jahren, etwa seit dem Bau der ersten Eisen¬
bahnen, ist das Aussehen der Städte und Landschaften nicht weniger geändert
als das geistige und Verkehrsleben des Volkes, und der in seiner Jugend die
deutsche Heimath verließ und jetzt auf der Höhe des Mannesalters zurückkehrt,
der wird Mühe haben, in den meisten Gegenden die alten Bilder wieder zu
finden, die er bei seiner Abreise mitnahm. Es ist nützlich, immer wieder daran
zu erinnern.

Nicht ebenso bekannt aber ist, daß ein großer Theil Deutschlands schon an
der Scheide des vorigen Jahrhunderts von den letzten Lebensjahren Friedrichs
des Großen bis zu den Napoleonische" Kriegen in ähnlichem Aufblühen war.
Es waren damals die praktischen Folgen der Aufklärung, welche auch der mate¬
riellen Seite des deutschen Lebens zu gute kam. Auch damals, nach langem
kümmerlichen Siechthum der Volkskraft in den protestantischen Landschaften eine
starke Zunahme des Handels, der Industrie, das erste Herauskommen des Bürger-
thums und als Folge davon ein reger Verschönerungstrieb, der nach dem Zeit¬
geschmack Niederes aufbaute und die kahle Umgebung der Städte und Herren¬
sitze mit Anlagen schmückte. Durch die unerhörten Kriegslasten von zehn angst¬
vollen Jahren, durch Gefahr und Noth einer eisernen Zeit wurde Capital. Un¬
ternehmungsgeist und Absatzquellen wieder verringert, und nach dem Frieden
von 181S vergingen 20 Nothjahre, eine stille, schmucklose, an Behagen und
Selbstgefühl sehr arme Zeit. Aber an jenes frühere Aufblühen der Volkskraft
zur Zeit unserer Väter und Großväter sollen wir jetzt noch dankbar denken,
wenn wir die großen schönen Bäume auf den älteren Stadtpromenaden und


Stationshäuser, ja die Rebe hüllt bereits in fröhliches Grün die schnell errich¬
teten Häuser, in denen unsere Dampfrosse aufbewahrt werden, oder der Bahn¬
wärter sein enges Lager hat. Auch in kleinen Städten ist der Verschönerungs¬
trieb thätig, die Promenaden um die alte Stadtmauer und den abgetragenen
Wall werden alljährlich verschönert, am Tage machen die Kinder der Bürger
dort ihre ersten Uebungen, und am Abend lagert sich auf den Bänken der müde
Arbeiter und freut sich der Gartenkunst, welche mehr ihm als dem Reichen zu
gute kommt. Auf dem Lande trägt der Postbote mit Briefen, Zeitungen und
Unterhaltungsblättern die Kunde von der großen Welt bis in das ärmste Wald-
dvrf, auch in kleinen Städten sucht man eifrig den Anschluß an die großen Ver¬
kehrsadern, sorgt um Gaslicht, gutes Trinkwasser, sorgfältige Pflasterung. Der
Trieb, die nächste Umgebung zu verschönern, auch das Aeuszere des Ortes heiter
und stattlich darzustellen, wird immer allgemeiner, und das Interesse an der
heimischen Vergangenheit, an alten Baudenkmälern und merkwürdigen Bräuchen
regt sich auch in kleinen Kreisen. Der Deutsche hat wieder den Wunsch und zum
Theil die Fertigkeit gewonnen, sich und seine Umgebung mit Selbstgefühl zu
betrachten. Und das ist viel werth als Bürgschaft und Vermittelung auch anderer
größerer Fortschritte. Seit dreißig Jahren, etwa seit dem Bau der ersten Eisen¬
bahnen, ist das Aussehen der Städte und Landschaften nicht weniger geändert
als das geistige und Verkehrsleben des Volkes, und der in seiner Jugend die
deutsche Heimath verließ und jetzt auf der Höhe des Mannesalters zurückkehrt,
der wird Mühe haben, in den meisten Gegenden die alten Bilder wieder zu
finden, die er bei seiner Abreise mitnahm. Es ist nützlich, immer wieder daran
zu erinnern.

Nicht ebenso bekannt aber ist, daß ein großer Theil Deutschlands schon an
der Scheide des vorigen Jahrhunderts von den letzten Lebensjahren Friedrichs
des Großen bis zu den Napoleonische» Kriegen in ähnlichem Aufblühen war.
Es waren damals die praktischen Folgen der Aufklärung, welche auch der mate¬
riellen Seite des deutschen Lebens zu gute kam. Auch damals, nach langem
kümmerlichen Siechthum der Volkskraft in den protestantischen Landschaften eine
starke Zunahme des Handels, der Industrie, das erste Herauskommen des Bürger-
thums und als Folge davon ein reger Verschönerungstrieb, der nach dem Zeit¬
geschmack Niederes aufbaute und die kahle Umgebung der Städte und Herren¬
sitze mit Anlagen schmückte. Durch die unerhörten Kriegslasten von zehn angst¬
vollen Jahren, durch Gefahr und Noth einer eisernen Zeit wurde Capital. Un¬
ternehmungsgeist und Absatzquellen wieder verringert, und nach dem Frieden
von 181S vergingen 20 Nothjahre, eine stille, schmucklose, an Behagen und
Selbstgefühl sehr arme Zeit. Aber an jenes frühere Aufblühen der Volkskraft
zur Zeit unserer Väter und Großväter sollen wir jetzt noch dankbar denken,
wenn wir die großen schönen Bäume auf den älteren Stadtpromenaden und


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[0054] Stationshäuser, ja die Rebe hüllt bereits in fröhliches Grün die schnell errich¬ teten Häuser, in denen unsere Dampfrosse aufbewahrt werden, oder der Bahn¬ wärter sein enges Lager hat. Auch in kleinen Städten ist der Verschönerungs¬ trieb thätig, die Promenaden um die alte Stadtmauer und den abgetragenen Wall werden alljährlich verschönert, am Tage machen die Kinder der Bürger dort ihre ersten Uebungen, und am Abend lagert sich auf den Bänken der müde Arbeiter und freut sich der Gartenkunst, welche mehr ihm als dem Reichen zu gute kommt. Auf dem Lande trägt der Postbote mit Briefen, Zeitungen und Unterhaltungsblättern die Kunde von der großen Welt bis in das ärmste Wald- dvrf, auch in kleinen Städten sucht man eifrig den Anschluß an die großen Ver¬ kehrsadern, sorgt um Gaslicht, gutes Trinkwasser, sorgfältige Pflasterung. Der Trieb, die nächste Umgebung zu verschönern, auch das Aeuszere des Ortes heiter und stattlich darzustellen, wird immer allgemeiner, und das Interesse an der heimischen Vergangenheit, an alten Baudenkmälern und merkwürdigen Bräuchen regt sich auch in kleinen Kreisen. Der Deutsche hat wieder den Wunsch und zum Theil die Fertigkeit gewonnen, sich und seine Umgebung mit Selbstgefühl zu betrachten. Und das ist viel werth als Bürgschaft und Vermittelung auch anderer größerer Fortschritte. Seit dreißig Jahren, etwa seit dem Bau der ersten Eisen¬ bahnen, ist das Aussehen der Städte und Landschaften nicht weniger geändert als das geistige und Verkehrsleben des Volkes, und der in seiner Jugend die deutsche Heimath verließ und jetzt auf der Höhe des Mannesalters zurückkehrt, der wird Mühe haben, in den meisten Gegenden die alten Bilder wieder zu finden, die er bei seiner Abreise mitnahm. Es ist nützlich, immer wieder daran zu erinnern. Nicht ebenso bekannt aber ist, daß ein großer Theil Deutschlands schon an der Scheide des vorigen Jahrhunderts von den letzten Lebensjahren Friedrichs des Großen bis zu den Napoleonische» Kriegen in ähnlichem Aufblühen war. Es waren damals die praktischen Folgen der Aufklärung, welche auch der mate¬ riellen Seite des deutschen Lebens zu gute kam. Auch damals, nach langem kümmerlichen Siechthum der Volkskraft in den protestantischen Landschaften eine starke Zunahme des Handels, der Industrie, das erste Herauskommen des Bürger- thums und als Folge davon ein reger Verschönerungstrieb, der nach dem Zeit¬ geschmack Niederes aufbaute und die kahle Umgebung der Städte und Herren¬ sitze mit Anlagen schmückte. Durch die unerhörten Kriegslasten von zehn angst¬ vollen Jahren, durch Gefahr und Noth einer eisernen Zeit wurde Capital. Un¬ ternehmungsgeist und Absatzquellen wieder verringert, und nach dem Frieden von 181S vergingen 20 Nothjahre, eine stille, schmucklose, an Behagen und Selbstgefühl sehr arme Zeit. Aber an jenes frühere Aufblühen der Volkskraft zur Zeit unserer Väter und Großväter sollen wir jetzt noch dankbar denken, wenn wir die großen schönen Bäume auf den älteren Stadtpromenaden und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/54>, abgerufen am 27.04.2024.