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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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rungsort der Tropfen heiligen Blutes, der zweite, neu aufgestellte enthält in
der Mitte die Krönung Mariä, in der Staffel ihren Tod und weitere auf sie
bezügliche Scenen. Unbedingt ist dieses Werk, dessen Meister nicht bekannt ist,
von höchstem Kunstwerthe, und vornehmlich der Tod Maria eine vortreffliche,
plastische Arbeit. In fast runden Figuren sind die Apostel daraus dargestellt,
eifrig besänftigt um das Sterbebette, unter dem die Pantoffel und der Wasser¬
krug nicht fehlen. Einer der Apostel, ein richtiger Mönchskopf, mit dem Weih-
wasserkessel, ein anderer mit der geweihten Kerze, ein dritter der Sterbenden
aus geöffnetem Buche vorlesend, andere eindringlich mit einander redend und
inmitten die Jungfrau selbst, das zarte Köpfchen von einer unvergeßlichen Lieb¬
lichkeit des Ausdrucks und ungemeiner Anmuth der Form. Mehrere andere,
allerdings weniger bedeutende Stücke sind auf Antrieb des jetzigen Kirchners,
eines Mannes, der mit Verständniß für seine Ausgabe erfüllt ist. aus unzuträg¬
lichen Aufbewahrungsorten, z. B. vom Rathhause, in einen Raum ge¬
bracht worden, der an den Thorweg am Westende stößt, darunter steinerne Fi¬
guren von einem Oelberg. Bemerkenswerth, wenn auch mehr für Kunstge¬
schichte, als ästhetisch, sind mehrere Stücke eines Altars, welche die Lebensge¬
schichte eines frommen Bischofs erzählen, Ausläufer des Realismus, wie er
durch Harlem für die Malerei nach Oberdeutschland gedrungen, während er in
der Plastik hier schon längere Zeit geherrscht. Man denke z. B. an die reichen
Portale der Heiligenkreuzkirche zu schwäbisch Gmünd. Unter den erhaltenen
Stücken ist z. B. sehr lebendig aufgefaßt die Scene, wo der Teufel den Gottes¬
mann zwischen zwei Felsen zerquetschen will, der aber die Steinsäule mit aller
Kraft sich vom Leibe wegzustemmcn weiß. --

So etwa sind die Eindrücke beschaffen, welche ein Besuch in der stillen
Tauberstadt hervorruft. Wohl ist in Rotenburg die alte Beste gesunken, wäh-
rend die Burg auf der Felsenkuppe über der Negnitz noch wohl erhalten em¬
porragt. Und allerdings steht Nürnberg in seiner reichen Fülle Von Kunstdenk¬
mälern der viel geringern Nachbarstadt weit voran; ja selbst die beiden Georgs¬
kirchen in den unfern gelegenen alten Reichsstädten Dinkelsbühl und Nöcdlingen
bergen einen quantitativ reichern Schatz von Werken der oberdeutschen Maler
des spätem Mittelalters, als die rotenburger Se. Jakobskirche. Aber vielleicht
giebt es keinen zweiten Platz ans deutschem Boden, etwa eine und die andere
Stadt der Ostseeküste ausgenommen, der in dem Besucher einen so einheitlichen,
in sich abgeschlossenen, durch keine modernen Zuthaten gestörten Totaleindruck
einer mittelalterlichen Stadt zurückläßt, wie Rotenburg. Wir wünschen, daß
dem Deutschen, der dieses Stück Mittelalter theilnehmend betrachtet, auch die
gediegenen Arbeiten des städtischen Historiographen Heinrich Wilhelm Bensen
nicht unbekannt bleiben mögen.




rungsort der Tropfen heiligen Blutes, der zweite, neu aufgestellte enthält in
der Mitte die Krönung Mariä, in der Staffel ihren Tod und weitere auf sie
bezügliche Scenen. Unbedingt ist dieses Werk, dessen Meister nicht bekannt ist,
von höchstem Kunstwerthe, und vornehmlich der Tod Maria eine vortreffliche,
plastische Arbeit. In fast runden Figuren sind die Apostel daraus dargestellt,
eifrig besänftigt um das Sterbebette, unter dem die Pantoffel und der Wasser¬
krug nicht fehlen. Einer der Apostel, ein richtiger Mönchskopf, mit dem Weih-
wasserkessel, ein anderer mit der geweihten Kerze, ein dritter der Sterbenden
aus geöffnetem Buche vorlesend, andere eindringlich mit einander redend und
inmitten die Jungfrau selbst, das zarte Köpfchen von einer unvergeßlichen Lieb¬
lichkeit des Ausdrucks und ungemeiner Anmuth der Form. Mehrere andere,
allerdings weniger bedeutende Stücke sind auf Antrieb des jetzigen Kirchners,
eines Mannes, der mit Verständniß für seine Ausgabe erfüllt ist. aus unzuträg¬
lichen Aufbewahrungsorten, z. B. vom Rathhause, in einen Raum ge¬
bracht worden, der an den Thorweg am Westende stößt, darunter steinerne Fi¬
guren von einem Oelberg. Bemerkenswerth, wenn auch mehr für Kunstge¬
schichte, als ästhetisch, sind mehrere Stücke eines Altars, welche die Lebensge¬
schichte eines frommen Bischofs erzählen, Ausläufer des Realismus, wie er
durch Harlem für die Malerei nach Oberdeutschland gedrungen, während er in
der Plastik hier schon längere Zeit geherrscht. Man denke z. B. an die reichen
Portale der Heiligenkreuzkirche zu schwäbisch Gmünd. Unter den erhaltenen
Stücken ist z. B. sehr lebendig aufgefaßt die Scene, wo der Teufel den Gottes¬
mann zwischen zwei Felsen zerquetschen will, der aber die Steinsäule mit aller
Kraft sich vom Leibe wegzustemmcn weiß. —

So etwa sind die Eindrücke beschaffen, welche ein Besuch in der stillen
Tauberstadt hervorruft. Wohl ist in Rotenburg die alte Beste gesunken, wäh-
rend die Burg auf der Felsenkuppe über der Negnitz noch wohl erhalten em¬
porragt. Und allerdings steht Nürnberg in seiner reichen Fülle Von Kunstdenk¬
mälern der viel geringern Nachbarstadt weit voran; ja selbst die beiden Georgs¬
kirchen in den unfern gelegenen alten Reichsstädten Dinkelsbühl und Nöcdlingen
bergen einen quantitativ reichern Schatz von Werken der oberdeutschen Maler
des spätem Mittelalters, als die rotenburger Se. Jakobskirche. Aber vielleicht
giebt es keinen zweiten Platz ans deutschem Boden, etwa eine und die andere
Stadt der Ostseeküste ausgenommen, der in dem Besucher einen so einheitlichen,
in sich abgeschlossenen, durch keine modernen Zuthaten gestörten Totaleindruck
einer mittelalterlichen Stadt zurückläßt, wie Rotenburg. Wir wünschen, daß
dem Deutschen, der dieses Stück Mittelalter theilnehmend betrachtet, auch die
gediegenen Arbeiten des städtischen Historiographen Heinrich Wilhelm Bensen
nicht unbekannt bleiben mögen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/68>, abgerufen am 29.04.2024.