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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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unbedingt die beste Leistung des Verfassers, auch weit über Ungarns Grenzen
hinaus Interesse erregt: fünfundzwanzig Jahre aus der Geschichte
Ungarns 1823 -- 1848. Wir haben nicht zu fürchten, daß Horvuth g,c!
inerivrom eoelösiav gloriam die Thatsachen verdreht, die Ereignisse unrichtig
zeichnet, falsch färbt. Der Kleriker tritt vollkommen in den Hintergrund zurück.
Desto ausschließlicher macht sich der enthusiastische Ungar, der Stockmagyare,
wie die Wiener sagen würden, geltend. "Lxtrn. KunAaritrirl non est vita,
si est vio, no" estitu/ lautet ein altes ungarisches Sprichwort. Frei über¬
setzt bedeutet dasselbe, daß der echte Magyar für alles Außcrungarische kein
rechtes Verständniß besitz't, daß, wie seine Theilnahme, so auch sein Begriffs¬
vermögen gern an der Landesgrenze stehen bleibt. Der Ungar ist zu stolz, als
daß er sich um das Treiben der Nachbarn ernstlich kümmerte, er ist viel zu sehr
von dem Glauben an die Wichtigkeit der Vorgänge in seiner Heimath durch¬
drungen, als daß er der übrigen Welt irgend welche Bedeutung zugestehen
könnte. Aus diese Weise erklären sich manche Naivitäten in Hvrvirths Buche.
Die schlimmste ist wohl die Charakteristik des Kronprinzen (des spätern Kaisers
Ferdinand) als eines "energischen Menschen, der mehr Verstand besitzt als man
erzählt und als er von sich selbst glauben machen will. Seine Stellung ist
sehr delicat und erklärt alles." Kaiser Ferdinand, ein zweiter Brutus, der Ver¬
stellungskünste übt und der Gegenstand mannigfacher Hofintriguen wurde --
das übersteigt doch alles Maß der Leichtgläubigkeit. Und dennoch erscheint Horvälh
diese einem Briefe Desseroffy's entlehnte Schilderung so richtig, daß er sie
zweimal (I, 197 und 404) wiederholt. Eine kurze Besinnung hätte den Ver¬
fasser von der Unrichtigkeit derselben überzeugt, wozu aber die Mühe der Be¬
sinnung, wenn es sich um eine nichtungarische Persönlichkeit handelt? Aehnlich
flüchtig und unbedacht sind noch viele andere Aeußerungen über fremde Staats¬
männer und allgemeine europäische Verhältnisse. Sie verringern nicht unmit¬
telbar den Werth des Buches -- niemand wird aus Horväth die moderne Ge¬
schichte studiren wollen -- sie sind aber bezeichnend für die in Ungarn weithin
herrschenden Anschauungen, als deren treuen Vertreter uns der Czanader Bischof
gilt. Aus demselben Grunde finden wir auch Horv^iss nationalökonomische Irr¬
thümer lehrreich. Wärni dieselben nur einer falschen persönlichen Ansicht ent¬
sprungen, so verdienten sie allerdings eine scharfe Rüge. Die Vertheidigung
der Zwischcnzolllinicn. eines starren Schutzsystems, die Verwerflichkeit des Luxus
und aller fremden Industrie, in einem systematischen Werfe vorgetragen, erscheint
unbedingt verwerflich. Anders wen" das nationale Vorurtheil sich darin aus¬
spricht, ein ganzes Volk i" solchen Anschauungen und Maßregeln das Ziel er¬
blickt. Dann erhalten wir durch sie den Schlüssel zum Verständniß seiner
Geschichte, zur Würdigung seiner Schicksale. Was die Ungarn wollten und
was sie fürchteten, lernt man am besten aus ihren nationalökonomischen Wun-


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unbedingt die beste Leistung des Verfassers, auch weit über Ungarns Grenzen
hinaus Interesse erregt: fünfundzwanzig Jahre aus der Geschichte
Ungarns 1823 — 1848. Wir haben nicht zu fürchten, daß Horvuth g,c!
inerivrom eoelösiav gloriam die Thatsachen verdreht, die Ereignisse unrichtig
zeichnet, falsch färbt. Der Kleriker tritt vollkommen in den Hintergrund zurück.
Desto ausschließlicher macht sich der enthusiastische Ungar, der Stockmagyare,
wie die Wiener sagen würden, geltend. „Lxtrn. KunAaritrirl non est vita,
si est vio, no» estitu/ lautet ein altes ungarisches Sprichwort. Frei über¬
setzt bedeutet dasselbe, daß der echte Magyar für alles Außcrungarische kein
rechtes Verständniß besitz't, daß, wie seine Theilnahme, so auch sein Begriffs¬
vermögen gern an der Landesgrenze stehen bleibt. Der Ungar ist zu stolz, als
daß er sich um das Treiben der Nachbarn ernstlich kümmerte, er ist viel zu sehr
von dem Glauben an die Wichtigkeit der Vorgänge in seiner Heimath durch¬
drungen, als daß er der übrigen Welt irgend welche Bedeutung zugestehen
könnte. Aus diese Weise erklären sich manche Naivitäten in Hvrvirths Buche.
Die schlimmste ist wohl die Charakteristik des Kronprinzen (des spätern Kaisers
Ferdinand) als eines „energischen Menschen, der mehr Verstand besitzt als man
erzählt und als er von sich selbst glauben machen will. Seine Stellung ist
sehr delicat und erklärt alles." Kaiser Ferdinand, ein zweiter Brutus, der Ver¬
stellungskünste übt und der Gegenstand mannigfacher Hofintriguen wurde —
das übersteigt doch alles Maß der Leichtgläubigkeit. Und dennoch erscheint Horvälh
diese einem Briefe Desseroffy's entlehnte Schilderung so richtig, daß er sie
zweimal (I, 197 und 404) wiederholt. Eine kurze Besinnung hätte den Ver¬
fasser von der Unrichtigkeit derselben überzeugt, wozu aber die Mühe der Be¬
sinnung, wenn es sich um eine nichtungarische Persönlichkeit handelt? Aehnlich
flüchtig und unbedacht sind noch viele andere Aeußerungen über fremde Staats¬
männer und allgemeine europäische Verhältnisse. Sie verringern nicht unmit¬
telbar den Werth des Buches — niemand wird aus Horväth die moderne Ge¬
schichte studiren wollen — sie sind aber bezeichnend für die in Ungarn weithin
herrschenden Anschauungen, als deren treuen Vertreter uns der Czanader Bischof
gilt. Aus demselben Grunde finden wir auch Horv^iss nationalökonomische Irr¬
thümer lehrreich. Wärni dieselben nur einer falschen persönlichen Ansicht ent¬
sprungen, so verdienten sie allerdings eine scharfe Rüge. Die Vertheidigung
der Zwischcnzolllinicn. eines starren Schutzsystems, die Verwerflichkeit des Luxus
und aller fremden Industrie, in einem systematischen Werfe vorgetragen, erscheint
unbedingt verwerflich. Anders wen» das nationale Vorurtheil sich darin aus¬
spricht, ein ganzes Volk i» solchen Anschauungen und Maßregeln das Ziel er¬
blickt. Dann erhalten wir durch sie den Schlüssel zum Verständniß seiner
Geschichte, zur Würdigung seiner Schicksale. Was die Ungarn wollten und
was sie fürchteten, lernt man am besten aus ihren nationalökonomischen Wun-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/7>, abgerufen am 03.05.2024.