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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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selbst sein Heil in der Flucht gesucht habe. Beim Uebersehen über einen Gar-
tenzaun sei dann das Pferd mit einem Fuße hängen geblieben und in diesem
Momente der Prinz durch französische Husaren eingeholt. Hier spaltet sich die
Tradition noch einmal. Von der Marwitz, welcher der Erzählung Massenbachs
mit harten Worten entgegentritt, läßt den Prinzen von hinten erstochen sein,
und so ist das Ereigniß z. B. in Butans "Deutscher Geschichte in Bildern"
dargestellt; der Herausgeber der Denkwürdigkeiten Karls von Nostitz, Adjutan¬
ten Louis Ferdinands, berichtet nach handschriftlichen Quellen, die er nicht näher
bezeichnet -- Nostitz' eigener Bericht endet mit dem entscheidenden Tage --
mit folgenden Worten: "Sein vortreffliches Pferd, dessen Nostitz gedenkt, hätte
ihn auch aus der Gefahr gebracht, aber beim Uebersetzen über einen Zaun, un¬
weit des Einganges von Wölsdorf, blieb es mit einem Fuße hängen. Ein
ansprengender französischer Husar versetzte in diesem Augenblicke dem Prinzen
einen tiefen Hieb in den Hinterkopf; zugleich stürzte ein französischer Wacht¬
meister vom zehnten Husarenregiment, Namens Guindö, auf ihn los und rief
ihm zu, sich zu ergeben. Der Prinz antwortete durch einen Säbelhieb, empfing
aber selber einen Stich in die Brust. Noch hielt er sich einige Augenblicke zu
Pferde, geleitet von seinen herbeigeeilten Adjutanten von Valentini und Nostitz,
von denen der letztere auch schon einen Hieb in den Arm erhalten hatte. Der
Feind drängte heftig nach. Der Prinz schwankte, sank; Nostitz sing den Sin¬
kenden in seinen Armen aus, aber schon verhauchte er sein Leben." Ganz
ähnlich Varnhagen in seiner "Gallerte von Bildnissen aus Rahels Umgange".
Dieser Erzählung folgen Höpsner, Häußer und die meisten anderen, auch Grobe
in der Saalfelder Chronik. Ferdinand Schmidt in seiner preußischen Geschichte
erzählt, daß der Prinz beim Ueberspringen des Zaunes zwar verwundet, aber
daß er erst zum Gefecht genöthigt sei, als ihm, eine Strecke weiter, das Pferd
unter dem Leibe erschossen worden. Dieser Erzählung fügt er ein Bild bei^
das nach einer im berliner Kupferstichcabinet befindlichen Radirung vom Jahre
1807 gemacht ist. Auf diesem Bilde erhält der Prinz den Stich in die Brust
aus eine fast unmöglich scheinende Weise, in dem Momente, da er über den
Zaun setzt, von einem Reiter, der ihm folgt.

Nicht einmal über den Platz, wo der Prinz gefallen, sind die Berichte
einig, und jede Seite kann sogar einen steinernen Zeugen für sich aufführen.
An zwei, allerdings nicht gar weit von einander entfernten Punkten des Schlacht¬
feldes stehen Denkmäler, welche mit den nämlichen Worten die Stelle anzu¬
geben behaupten, wo der Prinz gefallen.

Aber wozu diese punctuelle Untersuchung eines Ereignisses, das weder eine
bis zu uns dauernde Schöpfung oder das Wachsthum einer wichtigen Existenz
bezeichnet, noch auch in der abwärts führenden Reihe von Thatsachen, die es
beginnt, die entscheidende Stelle einnimmt? eines Ereignisses, dessen Tragik,


selbst sein Heil in der Flucht gesucht habe. Beim Uebersehen über einen Gar-
tenzaun sei dann das Pferd mit einem Fuße hängen geblieben und in diesem
Momente der Prinz durch französische Husaren eingeholt. Hier spaltet sich die
Tradition noch einmal. Von der Marwitz, welcher der Erzählung Massenbachs
mit harten Worten entgegentritt, läßt den Prinzen von hinten erstochen sein,
und so ist das Ereigniß z. B. in Butans „Deutscher Geschichte in Bildern"
dargestellt; der Herausgeber der Denkwürdigkeiten Karls von Nostitz, Adjutan¬
ten Louis Ferdinands, berichtet nach handschriftlichen Quellen, die er nicht näher
bezeichnet — Nostitz' eigener Bericht endet mit dem entscheidenden Tage —
mit folgenden Worten: „Sein vortreffliches Pferd, dessen Nostitz gedenkt, hätte
ihn auch aus der Gefahr gebracht, aber beim Uebersetzen über einen Zaun, un¬
weit des Einganges von Wölsdorf, blieb es mit einem Fuße hängen. Ein
ansprengender französischer Husar versetzte in diesem Augenblicke dem Prinzen
einen tiefen Hieb in den Hinterkopf; zugleich stürzte ein französischer Wacht¬
meister vom zehnten Husarenregiment, Namens Guindö, auf ihn los und rief
ihm zu, sich zu ergeben. Der Prinz antwortete durch einen Säbelhieb, empfing
aber selber einen Stich in die Brust. Noch hielt er sich einige Augenblicke zu
Pferde, geleitet von seinen herbeigeeilten Adjutanten von Valentini und Nostitz,
von denen der letztere auch schon einen Hieb in den Arm erhalten hatte. Der
Feind drängte heftig nach. Der Prinz schwankte, sank; Nostitz sing den Sin¬
kenden in seinen Armen aus, aber schon verhauchte er sein Leben." Ganz
ähnlich Varnhagen in seiner „Gallerte von Bildnissen aus Rahels Umgange".
Dieser Erzählung folgen Höpsner, Häußer und die meisten anderen, auch Grobe
in der Saalfelder Chronik. Ferdinand Schmidt in seiner preußischen Geschichte
erzählt, daß der Prinz beim Ueberspringen des Zaunes zwar verwundet, aber
daß er erst zum Gefecht genöthigt sei, als ihm, eine Strecke weiter, das Pferd
unter dem Leibe erschossen worden. Dieser Erzählung fügt er ein Bild bei^
das nach einer im berliner Kupferstichcabinet befindlichen Radirung vom Jahre
1807 gemacht ist. Auf diesem Bilde erhält der Prinz den Stich in die Brust
aus eine fast unmöglich scheinende Weise, in dem Momente, da er über den
Zaun setzt, von einem Reiter, der ihm folgt.

Nicht einmal über den Platz, wo der Prinz gefallen, sind die Berichte
einig, und jede Seite kann sogar einen steinernen Zeugen für sich aufführen.
An zwei, allerdings nicht gar weit von einander entfernten Punkten des Schlacht¬
feldes stehen Denkmäler, welche mit den nämlichen Worten die Stelle anzu¬
geben behaupten, wo der Prinz gefallen.

Aber wozu diese punctuelle Untersuchung eines Ereignisses, das weder eine
bis zu uns dauernde Schöpfung oder das Wachsthum einer wichtigen Existenz
bezeichnet, noch auch in der abwärts führenden Reihe von Thatsachen, die es
beginnt, die entscheidende Stelle einnimmt? eines Ereignisses, dessen Tragik,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/86>, abgerufen am 06.05.2024.