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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Das früheste Bildniß ist ein lebensgroßes Brustbild von Tischbein in
Oel gemalt. Es stellt Lessing etwa dreißigjährig dar, also in der Zeit, wo
er Mitglied der Berliner Academie ward, damals für einen Deutschen und
einen so jungen Mann keine geringe Ehre, und wo er denn als Tauenzien's
Secretär nach Breslau ging. Man sieht ihn fast von vorn, er hat den
dreispitzigen Hut verwegen auf den Hinterkopf gesetzt, das lockige lichtbraune
Haar hängt frei und ungefärbt auf die Schultern, der Hals ist nackt, der
Rock von gelblicher Farbe zeigt auf den umgeschlagenen Bruststücken ein rothes
Futter. Dies Bild war früher im Besitze des berühmten berliner Arztes
Hofrath Hertz, nach seinem Tode erhielt es der Stadtrath D. Friedlaender,
dessen Nachkommen es der neuen Nationalgallerie zu Berlin geschenkt haben.
Daß es von einem der zahlreichen Tischbein gemalt ist, beruht nicht allein
auf mündlicher Ueberlieferung, , auch ein älterer Kupferstich danach, von
Bussler, nennt Tischbein als Maler. Dieser Tischbein ist wahrscheinlich
Johann Heinrich der ältere, welcher auch Gleim, Campe und andere Schrift¬
steller jener Zeit gemalt hat. Auch ist das Bild dieses ausgezeichneten Künst¬
lers würdig, so wie es Lessing's würdig ist. Der Kopf erscheint höchst geist¬
voll, die anmuthigen freien Züge sind voll heiteren Lebens, die blauen
Augen funkeln. Das Bild erfreuet jeden Beschauer, und schon mancher hat
davor ausgerufen: ja, so muß Lessing in seinen besten Stunden ausgesehen
haben.

Der erwähnte Bussler'sche Kupferstich in punktirter Manier ist äußerst
schlecht, er entstellt das schöne Bild, und nach diesem Blatte ist das erwähnte
neue Portrait copirt! Es gibt aber noch eine nach dem Originalbilde ge¬
machte geistreiche und geschickte wenn auch rohe Radirung, welche die Hand
eines Malers, nicht eines Kupferstechers, verräth, vielleicht Tischbein's eigene
Hand, mit dessen bezeichneten Radirungen dies Blatt einige Aehnlichkeit in
der Technik hat. Das einzig bekannte Exemplar davon besitzt Herr Buch¬
händler Dr. S. Hirzel zu Leipzig, und ein Umdruck ist im königlichen Kupfer-
stichcabinet zu Berlin. Auch hat Lachmann für seine Ausgabe von Lessing's
Werken dies Bild von Karl Schuler dem Aelteren stechen lassen, allein der
sonst gute Stich gibt nicht den Charakter des Orginals wieder, vielleicht
weil einige Äußerlichkeiten verändert sind; so ist der Hut fortgeblieben,
welcher in dem Bilde wesentlich die Charakteristik bedingt, und außerdem
fehlt nach der jetzigen leidigen Mode auch der dunkele Hintergrund und die
viereckige Umrahmung des Bildes, der Kopf ist statt dessen nur von einigen
sogenannten Wolken umgeben. Wieviel deutscher war dagegen die ernste
und liebevolle Behandlung der Kupferstichbildnisse des vorigen Jahrhunderts,
in denen nicht die Köpfe allein, auch die Kleidung und alles Beiwerk sorg¬
sam ausgeführt sind. Den jetzigen gestochenen Bildnissen hat der Steindruck


Das früheste Bildniß ist ein lebensgroßes Brustbild von Tischbein in
Oel gemalt. Es stellt Lessing etwa dreißigjährig dar, also in der Zeit, wo
er Mitglied der Berliner Academie ward, damals für einen Deutschen und
einen so jungen Mann keine geringe Ehre, und wo er denn als Tauenzien's
Secretär nach Breslau ging. Man sieht ihn fast von vorn, er hat den
dreispitzigen Hut verwegen auf den Hinterkopf gesetzt, das lockige lichtbraune
Haar hängt frei und ungefärbt auf die Schultern, der Hals ist nackt, der
Rock von gelblicher Farbe zeigt auf den umgeschlagenen Bruststücken ein rothes
Futter. Dies Bild war früher im Besitze des berühmten berliner Arztes
Hofrath Hertz, nach seinem Tode erhielt es der Stadtrath D. Friedlaender,
dessen Nachkommen es der neuen Nationalgallerie zu Berlin geschenkt haben.
Daß es von einem der zahlreichen Tischbein gemalt ist, beruht nicht allein
auf mündlicher Ueberlieferung, , auch ein älterer Kupferstich danach, von
Bussler, nennt Tischbein als Maler. Dieser Tischbein ist wahrscheinlich
Johann Heinrich der ältere, welcher auch Gleim, Campe und andere Schrift¬
steller jener Zeit gemalt hat. Auch ist das Bild dieses ausgezeichneten Künst¬
lers würdig, so wie es Lessing's würdig ist. Der Kopf erscheint höchst geist¬
voll, die anmuthigen freien Züge sind voll heiteren Lebens, die blauen
Augen funkeln. Das Bild erfreuet jeden Beschauer, und schon mancher hat
davor ausgerufen: ja, so muß Lessing in seinen besten Stunden ausgesehen
haben.

Der erwähnte Bussler'sche Kupferstich in punktirter Manier ist äußerst
schlecht, er entstellt das schöne Bild, und nach diesem Blatte ist das erwähnte
neue Portrait copirt! Es gibt aber noch eine nach dem Originalbilde ge¬
machte geistreiche und geschickte wenn auch rohe Radirung, welche die Hand
eines Malers, nicht eines Kupferstechers, verräth, vielleicht Tischbein's eigene
Hand, mit dessen bezeichneten Radirungen dies Blatt einige Aehnlichkeit in
der Technik hat. Das einzig bekannte Exemplar davon besitzt Herr Buch¬
händler Dr. S. Hirzel zu Leipzig, und ein Umdruck ist im königlichen Kupfer-
stichcabinet zu Berlin. Auch hat Lachmann für seine Ausgabe von Lessing's
Werken dies Bild von Karl Schuler dem Aelteren stechen lassen, allein der
sonst gute Stich gibt nicht den Charakter des Orginals wieder, vielleicht
weil einige Äußerlichkeiten verändert sind; so ist der Hut fortgeblieben,
welcher in dem Bilde wesentlich die Charakteristik bedingt, und außerdem
fehlt nach der jetzigen leidigen Mode auch der dunkele Hintergrund und die
viereckige Umrahmung des Bildes, der Kopf ist statt dessen nur von einigen
sogenannten Wolken umgeben. Wieviel deutscher war dagegen die ernste
und liebevolle Behandlung der Kupferstichbildnisse des vorigen Jahrhunderts,
in denen nicht die Köpfe allein, auch die Kleidung und alles Beiwerk sorg¬
sam ausgeführt sind. Den jetzigen gestochenen Bildnissen hat der Steindruck


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[0450] Das früheste Bildniß ist ein lebensgroßes Brustbild von Tischbein in Oel gemalt. Es stellt Lessing etwa dreißigjährig dar, also in der Zeit, wo er Mitglied der Berliner Academie ward, damals für einen Deutschen und einen so jungen Mann keine geringe Ehre, und wo er denn als Tauenzien's Secretär nach Breslau ging. Man sieht ihn fast von vorn, er hat den dreispitzigen Hut verwegen auf den Hinterkopf gesetzt, das lockige lichtbraune Haar hängt frei und ungefärbt auf die Schultern, der Hals ist nackt, der Rock von gelblicher Farbe zeigt auf den umgeschlagenen Bruststücken ein rothes Futter. Dies Bild war früher im Besitze des berühmten berliner Arztes Hofrath Hertz, nach seinem Tode erhielt es der Stadtrath D. Friedlaender, dessen Nachkommen es der neuen Nationalgallerie zu Berlin geschenkt haben. Daß es von einem der zahlreichen Tischbein gemalt ist, beruht nicht allein auf mündlicher Ueberlieferung, , auch ein älterer Kupferstich danach, von Bussler, nennt Tischbein als Maler. Dieser Tischbein ist wahrscheinlich Johann Heinrich der ältere, welcher auch Gleim, Campe und andere Schrift¬ steller jener Zeit gemalt hat. Auch ist das Bild dieses ausgezeichneten Künst¬ lers würdig, so wie es Lessing's würdig ist. Der Kopf erscheint höchst geist¬ voll, die anmuthigen freien Züge sind voll heiteren Lebens, die blauen Augen funkeln. Das Bild erfreuet jeden Beschauer, und schon mancher hat davor ausgerufen: ja, so muß Lessing in seinen besten Stunden ausgesehen haben. Der erwähnte Bussler'sche Kupferstich in punktirter Manier ist äußerst schlecht, er entstellt das schöne Bild, und nach diesem Blatte ist das erwähnte neue Portrait copirt! Es gibt aber noch eine nach dem Originalbilde ge¬ machte geistreiche und geschickte wenn auch rohe Radirung, welche die Hand eines Malers, nicht eines Kupferstechers, verräth, vielleicht Tischbein's eigene Hand, mit dessen bezeichneten Radirungen dies Blatt einige Aehnlichkeit in der Technik hat. Das einzig bekannte Exemplar davon besitzt Herr Buch¬ händler Dr. S. Hirzel zu Leipzig, und ein Umdruck ist im königlichen Kupfer- stichcabinet zu Berlin. Auch hat Lachmann für seine Ausgabe von Lessing's Werken dies Bild von Karl Schuler dem Aelteren stechen lassen, allein der sonst gute Stich gibt nicht den Charakter des Orginals wieder, vielleicht weil einige Äußerlichkeiten verändert sind; so ist der Hut fortgeblieben, welcher in dem Bilde wesentlich die Charakteristik bedingt, und außerdem fehlt nach der jetzigen leidigen Mode auch der dunkele Hintergrund und die viereckige Umrahmung des Bildes, der Kopf ist statt dessen nur von einigen sogenannten Wolken umgeben. Wieviel deutscher war dagegen die ernste und liebevolle Behandlung der Kupferstichbildnisse des vorigen Jahrhunderts, in denen nicht die Köpfe allein, auch die Kleidung und alles Beiwerk sorg¬ sam ausgeführt sind. Den jetzigen gestochenen Bildnissen hat der Steindruck

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/450>, abgerufen am 18.05.2024.