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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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proscmirte und entgötterte Welt gebracht hatte", bekundete er nur, wie ihm
der politische Zelotismus jeden Maßstab für andere als politische Werthe ge¬
raubt hatte und daß er sogar religiöse Entrüstung heucheln konnte, wenn es
seinen politisch-selbstsüchtigen Zwecken diente; ebenso beweist seine Versicherung,
fünf Jahre mit dem Entschluß, katholisch zu werden, gerungen zu haben,
daß er sich von einer früheren, ernsteren, verstandesklaren Ueberzeugung schon
getrennt hatte. Die Ehrfurcht, mit welcher er religiöse Fragen zuweilen be¬
rührt, ist nichts als Emphase, welche die Untreue und Vergessenheit, deren
er sich schuldig fühlt, wieder gut machen soll. Ueber den zweiten Brief Pauli
an die Corinther wollte er halbe Nächte lang geweint haben. Der Ekel vor
der Welt, der sich seit dem Jahre 1813 seiner bemächtigte, sollte das Sonderbare
bewirkt haben, ihn für die innere Welt ebenso feindselig zu stimmen als für
die äußere. "Seitdem ist auch alle Poesie, alle Rührung, alle Wehmuth,
aller Glaube und alle Hoffnung aus meinem Gemüthe verschwunden, und
daß ich Ihnen dieses mit einer gewissen Ruhe sagen kann, beweiset Ihnen
wenigstens, wie wahr es sein muß. Ich lobe diesen Zustand nicht, auch liebe
ich ihn nicht; ich sehe aber die Möglichkeit nicht ab, mich in einen andern
zu versetzen. Ich trage ihn wie ein vernünftiger Mensch einen siechen Körper,
oder Armuth, oder andere Mängel und Widerwärtigkeiten trägt, gegen die
er nun einmal keine Hilfe weiß.--Glauben Sie mir, ich überhebe mich
wahrhaftig nicht meiner Weisheit und habe mich von der Religion nicht mit
Trotz oder Hochmuth getrennt. Ich habe nicht sie, sie hat mich verlassen (!);
und da mir das Unglück in einer ziemlich hohen Sphäre (wohin mein Ver¬
stand mich geführt hatte) begegnet ist, wie soll ich hoffen, sie in irgend einer,
weniger hohen, wieder zu finden?"

Diese schönen Worte sind nichts, als fein zurechtgelegte, und getiftelte
Entschuldigungsgründe vor sich selbst und vor der Welt, es ist eitle Schön¬
malerei. Der Mann hatte nicht die Kraft und nicht den Ernst, sich aus den
Versuchungen eines weltlichen Lebens je wieder auf sich selbst zu besinnen
und sich zu einer festen Ueberzeugung über die wichtigsten Fragen unseres
Daseins hindurchzuringen. Sein Bedürfniß danach war abgestumpft, sein
reich begabter Geist hatte sich dem Strome des Lebens überliefert. Es fordert
unsere entschiedene Verwahrung heraus, daß Gentz sich brüstet, "seine Zuflucht in
einer gewissen Neutralität der höheren Vernunft, der reinen Vernunft nämlich,
gefunden zu haben." Wer sich wirklich bewußt ist, der reinen Vernunft nach¬
zustreben, kann ihren Namen nicht so ungebührlich mißbrauchen und den
völligen Verzicht auf die Lösung der wichtigsten Fragen, den ohnmächtigen
geistigen Nihilismus daraus herleiten. Eben diese Worte, die mit so viel
Gleißnerei von der Religion und mit so viel Stolz von der Vernunft reden,
beweisen, daß er vor jener die Achtung verloren und den Dienst der Philosophie


proscmirte und entgötterte Welt gebracht hatte", bekundete er nur, wie ihm
der politische Zelotismus jeden Maßstab für andere als politische Werthe ge¬
raubt hatte und daß er sogar religiöse Entrüstung heucheln konnte, wenn es
seinen politisch-selbstsüchtigen Zwecken diente; ebenso beweist seine Versicherung,
fünf Jahre mit dem Entschluß, katholisch zu werden, gerungen zu haben,
daß er sich von einer früheren, ernsteren, verstandesklaren Ueberzeugung schon
getrennt hatte. Die Ehrfurcht, mit welcher er religiöse Fragen zuweilen be¬
rührt, ist nichts als Emphase, welche die Untreue und Vergessenheit, deren
er sich schuldig fühlt, wieder gut machen soll. Ueber den zweiten Brief Pauli
an die Corinther wollte er halbe Nächte lang geweint haben. Der Ekel vor
der Welt, der sich seit dem Jahre 1813 seiner bemächtigte, sollte das Sonderbare
bewirkt haben, ihn für die innere Welt ebenso feindselig zu stimmen als für
die äußere. „Seitdem ist auch alle Poesie, alle Rührung, alle Wehmuth,
aller Glaube und alle Hoffnung aus meinem Gemüthe verschwunden, und
daß ich Ihnen dieses mit einer gewissen Ruhe sagen kann, beweiset Ihnen
wenigstens, wie wahr es sein muß. Ich lobe diesen Zustand nicht, auch liebe
ich ihn nicht; ich sehe aber die Möglichkeit nicht ab, mich in einen andern
zu versetzen. Ich trage ihn wie ein vernünftiger Mensch einen siechen Körper,
oder Armuth, oder andere Mängel und Widerwärtigkeiten trägt, gegen die
er nun einmal keine Hilfe weiß.--Glauben Sie mir, ich überhebe mich
wahrhaftig nicht meiner Weisheit und habe mich von der Religion nicht mit
Trotz oder Hochmuth getrennt. Ich habe nicht sie, sie hat mich verlassen (!);
und da mir das Unglück in einer ziemlich hohen Sphäre (wohin mein Ver¬
stand mich geführt hatte) begegnet ist, wie soll ich hoffen, sie in irgend einer,
weniger hohen, wieder zu finden?"

Diese schönen Worte sind nichts, als fein zurechtgelegte, und getiftelte
Entschuldigungsgründe vor sich selbst und vor der Welt, es ist eitle Schön¬
malerei. Der Mann hatte nicht die Kraft und nicht den Ernst, sich aus den
Versuchungen eines weltlichen Lebens je wieder auf sich selbst zu besinnen
und sich zu einer festen Ueberzeugung über die wichtigsten Fragen unseres
Daseins hindurchzuringen. Sein Bedürfniß danach war abgestumpft, sein
reich begabter Geist hatte sich dem Strome des Lebens überliefert. Es fordert
unsere entschiedene Verwahrung heraus, daß Gentz sich brüstet, „seine Zuflucht in
einer gewissen Neutralität der höheren Vernunft, der reinen Vernunft nämlich,
gefunden zu haben." Wer sich wirklich bewußt ist, der reinen Vernunft nach¬
zustreben, kann ihren Namen nicht so ungebührlich mißbrauchen und den
völligen Verzicht auf die Lösung der wichtigsten Fragen, den ohnmächtigen
geistigen Nihilismus daraus herleiten. Eben diese Worte, die mit so viel
Gleißnerei von der Religion und mit so viel Stolz von der Vernunft reden,
beweisen, daß er vor jener die Achtung verloren und den Dienst der Philosophie


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[0468] proscmirte und entgötterte Welt gebracht hatte", bekundete er nur, wie ihm der politische Zelotismus jeden Maßstab für andere als politische Werthe ge¬ raubt hatte und daß er sogar religiöse Entrüstung heucheln konnte, wenn es seinen politisch-selbstsüchtigen Zwecken diente; ebenso beweist seine Versicherung, fünf Jahre mit dem Entschluß, katholisch zu werden, gerungen zu haben, daß er sich von einer früheren, ernsteren, verstandesklaren Ueberzeugung schon getrennt hatte. Die Ehrfurcht, mit welcher er religiöse Fragen zuweilen be¬ rührt, ist nichts als Emphase, welche die Untreue und Vergessenheit, deren er sich schuldig fühlt, wieder gut machen soll. Ueber den zweiten Brief Pauli an die Corinther wollte er halbe Nächte lang geweint haben. Der Ekel vor der Welt, der sich seit dem Jahre 1813 seiner bemächtigte, sollte das Sonderbare bewirkt haben, ihn für die innere Welt ebenso feindselig zu stimmen als für die äußere. „Seitdem ist auch alle Poesie, alle Rührung, alle Wehmuth, aller Glaube und alle Hoffnung aus meinem Gemüthe verschwunden, und daß ich Ihnen dieses mit einer gewissen Ruhe sagen kann, beweiset Ihnen wenigstens, wie wahr es sein muß. Ich lobe diesen Zustand nicht, auch liebe ich ihn nicht; ich sehe aber die Möglichkeit nicht ab, mich in einen andern zu versetzen. Ich trage ihn wie ein vernünftiger Mensch einen siechen Körper, oder Armuth, oder andere Mängel und Widerwärtigkeiten trägt, gegen die er nun einmal keine Hilfe weiß.--Glauben Sie mir, ich überhebe mich wahrhaftig nicht meiner Weisheit und habe mich von der Religion nicht mit Trotz oder Hochmuth getrennt. Ich habe nicht sie, sie hat mich verlassen (!); und da mir das Unglück in einer ziemlich hohen Sphäre (wohin mein Ver¬ stand mich geführt hatte) begegnet ist, wie soll ich hoffen, sie in irgend einer, weniger hohen, wieder zu finden?" Diese schönen Worte sind nichts, als fein zurechtgelegte, und getiftelte Entschuldigungsgründe vor sich selbst und vor der Welt, es ist eitle Schön¬ malerei. Der Mann hatte nicht die Kraft und nicht den Ernst, sich aus den Versuchungen eines weltlichen Lebens je wieder auf sich selbst zu besinnen und sich zu einer festen Ueberzeugung über die wichtigsten Fragen unseres Daseins hindurchzuringen. Sein Bedürfniß danach war abgestumpft, sein reich begabter Geist hatte sich dem Strome des Lebens überliefert. Es fordert unsere entschiedene Verwahrung heraus, daß Gentz sich brüstet, „seine Zuflucht in einer gewissen Neutralität der höheren Vernunft, der reinen Vernunft nämlich, gefunden zu haben." Wer sich wirklich bewußt ist, der reinen Vernunft nach¬ zustreben, kann ihren Namen nicht so ungebührlich mißbrauchen und den völligen Verzicht auf die Lösung der wichtigsten Fragen, den ohnmächtigen geistigen Nihilismus daraus herleiten. Eben diese Worte, die mit so viel Gleißnerei von der Religion und mit so viel Stolz von der Vernunft reden, beweisen, daß er vor jener die Achtung verloren und den Dienst der Philosophie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/468>, abgerufen am 18.05.2024.