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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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mit dem Tuche bedeckt, damit auch die Secretäre und Schreiber in den beiden
Durchgangszimmern die Arrestanten nicht erkennen sollten. Nach einigen
Minuten befand ich mich wieder in meiner Ur. 13.

Drei Tage später wurde mir ein versiegeltes Packet aus der Commission
überreicht. Die Fragepunkte waren fast dieselben, die man mir in der
Sitzung vorgelegt hatte, es waren aber neue Beschuldigungen eingeschlossen,
mit Erwähnung verschiedener Personen und Anzeigen. Der Platzmajor, als
er mir das Packet einhändigte, sagte: "Eilen Sie nicht und bedenken Sie
Alles." In dem ersten Augenblicke freute ich mich, einige Bogen Papier,
Feder und Tinte zu besitzen; als ich aber die Fragepunkte mit raschem
Blicke überschaute und Namen gewahr wurde, preßte sich mir das Herz zu¬
sammen. Sollen denn alle diese Männer der Einkerkerung und dem Gerichte
verfallen sein! -- Die Commission war bereits von der Versammlung, die bei
Repin stattgefunden, unterrichtet, ebenso von den Berathungen bei RrMjew
und bei Öbolensky. Was mich selbst persönlich betraf, so lagen die Ant¬
worten auf der Hand, da meine Handlungen am 14. December öffentlich be¬
gangen worden waren. Wie sollte ich mich aber gegenüber den Angaben,
die die Berathungen betrafen, verhalten? Ich war so glücklich, daß Niemand
der mir genannten Personen arretirt, Niemand von meinen Soldaten be¬
straft wurde. Meine Antworten gaben in der Folge zu einer einzigen Con-
frontation mit einem Diensteameraden Ursache, deren ich weiter am gelege¬
nen Orte erwähnen werde.-- Nachdem ich meine Antworten beendet, schloß
ich ein Gesuch an die Commission ein; ich bat um die Erlaubniß, meiner
Frau schreiben zu dürfen. Den folgenden Tag war dieses Gesuch gewährt;
ich schrieb einen langen Brief und erhielt nach einigen Tagen die Antwort.
Darauf wurde mir gestattet ein Mal monatlich zu schreiben; mein zweiter
Brief wurde mir mit der Bemerkung zurückgeschickt, daß er zu lang sei und
daß ich künftig nur einige Zeilen schreiben dürfe. Die Antworten meiner Frau
mußten auch kurz gefaßt sein, doch waren sie mir eine große Beruhigung
und ein wahrhafter Trost. Noch hatte ich um Erlaubniß gebeten, Bücher
von Hause zu bekommen; das wurde nicht gestattet, der Platzmajor brachte
mir aber von sich aus die Psalmen David's.

Die Untersuchungscommission hielt tägliche Sitzungen. Der Großfürst
war später seltener zugegen. Tschernytschew schien die Hauptperson zu sein,
die Canzlei der Commission schrieb oft bis spät in die Nacht. Alle Specialan-
gaben fügte D. N. Bludow*) in ein Ganzes zusammen; er schloß häufig
das Wichtige und für die Angeklagten Günstige aus, schob Denunciationen
und Privatunterhaltungen ein, wie jeder unbefangene Leser des gedruckten
Berichtes der Commission aus demselben ersehen kann. Die Gründer der



-) Starb vor einigen Jahren als Graf und Präsident des Reichsraths und Ministercomites.
Grmzoolen IV. 1868. 19

mit dem Tuche bedeckt, damit auch die Secretäre und Schreiber in den beiden
Durchgangszimmern die Arrestanten nicht erkennen sollten. Nach einigen
Minuten befand ich mich wieder in meiner Ur. 13.

Drei Tage später wurde mir ein versiegeltes Packet aus der Commission
überreicht. Die Fragepunkte waren fast dieselben, die man mir in der
Sitzung vorgelegt hatte, es waren aber neue Beschuldigungen eingeschlossen,
mit Erwähnung verschiedener Personen und Anzeigen. Der Platzmajor, als
er mir das Packet einhändigte, sagte: „Eilen Sie nicht und bedenken Sie
Alles." In dem ersten Augenblicke freute ich mich, einige Bogen Papier,
Feder und Tinte zu besitzen; als ich aber die Fragepunkte mit raschem
Blicke überschaute und Namen gewahr wurde, preßte sich mir das Herz zu¬
sammen. Sollen denn alle diese Männer der Einkerkerung und dem Gerichte
verfallen sein! — Die Commission war bereits von der Versammlung, die bei
Repin stattgefunden, unterrichtet, ebenso von den Berathungen bei RrMjew
und bei Öbolensky. Was mich selbst persönlich betraf, so lagen die Ant¬
worten auf der Hand, da meine Handlungen am 14. December öffentlich be¬
gangen worden waren. Wie sollte ich mich aber gegenüber den Angaben,
die die Berathungen betrafen, verhalten? Ich war so glücklich, daß Niemand
der mir genannten Personen arretirt, Niemand von meinen Soldaten be¬
straft wurde. Meine Antworten gaben in der Folge zu einer einzigen Con-
frontation mit einem Diensteameraden Ursache, deren ich weiter am gelege¬
nen Orte erwähnen werde.— Nachdem ich meine Antworten beendet, schloß
ich ein Gesuch an die Commission ein; ich bat um die Erlaubniß, meiner
Frau schreiben zu dürfen. Den folgenden Tag war dieses Gesuch gewährt;
ich schrieb einen langen Brief und erhielt nach einigen Tagen die Antwort.
Darauf wurde mir gestattet ein Mal monatlich zu schreiben; mein zweiter
Brief wurde mir mit der Bemerkung zurückgeschickt, daß er zu lang sei und
daß ich künftig nur einige Zeilen schreiben dürfe. Die Antworten meiner Frau
mußten auch kurz gefaßt sein, doch waren sie mir eine große Beruhigung
und ein wahrhafter Trost. Noch hatte ich um Erlaubniß gebeten, Bücher
von Hause zu bekommen; das wurde nicht gestattet, der Platzmajor brachte
mir aber von sich aus die Psalmen David's.

Die Untersuchungscommission hielt tägliche Sitzungen. Der Großfürst
war später seltener zugegen. Tschernytschew schien die Hauptperson zu sein,
die Canzlei der Commission schrieb oft bis spät in die Nacht. Alle Specialan-
gaben fügte D. N. Bludow*) in ein Ganzes zusammen; er schloß häufig
das Wichtige und für die Angeklagten Günstige aus, schob Denunciationen
und Privatunterhaltungen ein, wie jeder unbefangene Leser des gedruckten
Berichtes der Commission aus demselben ersehen kann. Die Gründer der



-) Starb vor einigen Jahren als Graf und Präsident des Reichsraths und Ministercomites.
Grmzoolen IV. 1868. 19
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[0161] mit dem Tuche bedeckt, damit auch die Secretäre und Schreiber in den beiden Durchgangszimmern die Arrestanten nicht erkennen sollten. Nach einigen Minuten befand ich mich wieder in meiner Ur. 13. Drei Tage später wurde mir ein versiegeltes Packet aus der Commission überreicht. Die Fragepunkte waren fast dieselben, die man mir in der Sitzung vorgelegt hatte, es waren aber neue Beschuldigungen eingeschlossen, mit Erwähnung verschiedener Personen und Anzeigen. Der Platzmajor, als er mir das Packet einhändigte, sagte: „Eilen Sie nicht und bedenken Sie Alles." In dem ersten Augenblicke freute ich mich, einige Bogen Papier, Feder und Tinte zu besitzen; als ich aber die Fragepunkte mit raschem Blicke überschaute und Namen gewahr wurde, preßte sich mir das Herz zu¬ sammen. Sollen denn alle diese Männer der Einkerkerung und dem Gerichte verfallen sein! — Die Commission war bereits von der Versammlung, die bei Repin stattgefunden, unterrichtet, ebenso von den Berathungen bei RrMjew und bei Öbolensky. Was mich selbst persönlich betraf, so lagen die Ant¬ worten auf der Hand, da meine Handlungen am 14. December öffentlich be¬ gangen worden waren. Wie sollte ich mich aber gegenüber den Angaben, die die Berathungen betrafen, verhalten? Ich war so glücklich, daß Niemand der mir genannten Personen arretirt, Niemand von meinen Soldaten be¬ straft wurde. Meine Antworten gaben in der Folge zu einer einzigen Con- frontation mit einem Diensteameraden Ursache, deren ich weiter am gelege¬ nen Orte erwähnen werde.— Nachdem ich meine Antworten beendet, schloß ich ein Gesuch an die Commission ein; ich bat um die Erlaubniß, meiner Frau schreiben zu dürfen. Den folgenden Tag war dieses Gesuch gewährt; ich schrieb einen langen Brief und erhielt nach einigen Tagen die Antwort. Darauf wurde mir gestattet ein Mal monatlich zu schreiben; mein zweiter Brief wurde mir mit der Bemerkung zurückgeschickt, daß er zu lang sei und daß ich künftig nur einige Zeilen schreiben dürfe. Die Antworten meiner Frau mußten auch kurz gefaßt sein, doch waren sie mir eine große Beruhigung und ein wahrhafter Trost. Noch hatte ich um Erlaubniß gebeten, Bücher von Hause zu bekommen; das wurde nicht gestattet, der Platzmajor brachte mir aber von sich aus die Psalmen David's. Die Untersuchungscommission hielt tägliche Sitzungen. Der Großfürst war später seltener zugegen. Tschernytschew schien die Hauptperson zu sein, die Canzlei der Commission schrieb oft bis spät in die Nacht. Alle Specialan- gaben fügte D. N. Bludow*) in ein Ganzes zusammen; er schloß häufig das Wichtige und für die Angeklagten Günstige aus, schob Denunciationen und Privatunterhaltungen ein, wie jeder unbefangene Leser des gedruckten Berichtes der Commission aus demselben ersehen kann. Die Gründer der -) Starb vor einigen Jahren als Graf und Präsident des Reichsraths und Ministercomites. Grmzoolen IV. 1868. 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/161>, abgerufen am 19.05.2024.