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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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einander in verschiedenen preußischen Städten einen, wenn auch jedesmal
länger als ein Jahr dauernden, doch immerhin nur vorübergehenden Aufent¬
halt zu nehmen, wird in jeder Stadt für den Erwerb des Bürgerrechts von
Neuem Bürgerrechtsgeld zu zahlen haben.

Hiervon werden zahlreiche Classen von Personen hart betroffen, wie
die Beamten von Privateisenbahnen, Versicherungsgesellschaften, Jndustrie-
etablissements, Vermessungsbureaus, kaufmännischen Comptoiren und alle
Solche, die wegen ihrer Berufsverhältnisse das Dominik öfters wechseln und
wegen knapper Einnahmen durch das mehrmalige Zahlen von Bürgerrechts¬
geld unverhältnißmäßig belastet werden.

Zwar tritt die Verpflichtung zur Zahlung desselben immer erst nach
einem etwas längeren, als dem einjährigen Aufenthalt ein; dies vermindert
aber nicht, sondern vermehrt viel eher das Lästige. Auch ist es ein schlechter
Trost, daß bei fruchtloser Execution auf das Bürgerrechtsgeld nicht wie beim
Einzugsgeld Ausweisung, sondern nur Nichterwerb des Bürgerrechts eintritt.

Es erscheint hiernach das Forterheben des Bürgerrechtsgeldes als ein
Widerspruch mit dem Geiste der Bundesgesetzgebung, der um so stärker ist,
als dadurch der Freizügigkeit im engeren Heimathlande eine Fessel angelegt
wird. --

Aber auch abgesehen hiervon ist das Bürgerrechtsgeld eine nicht mehr
zeitgemäße und in mehrfacher Hinsicht drückende Abgabe.

Nach den Städteverfassungen der früheren Jahrhunderte war an die
Bürgereigenschaft das wichtige Recht geknüpft, städtischen Grundbesitz zu er"
werben und ausschließlich städtische Gewerbe zu betreiben. Diese Vorrechte
find den Bürgern noch durch das allgemeine Landrecht und die Städteord¬
nung von 1808 beigelegt. Es wurde von dem zum Bürger Gewordenen ein
besonderer Bürgereid geleistet, ihm ein besonderer Bürgerbrief ausgestellt und
die Bürger sahen mit einem gewissen Stolze auf die von Hausbesitz und
städtischem Gewerbebetrieb ausgeschlossenen Schutzverwandten herab. Danach
hatte das Bürgerrecht für den Einzelnen eine materielle Bedeutsamkeit und
es erschien Keinem drückend, für Erlangung eines so wichtigen Rechts eine
erhebliche Abgabe zu zahlen.

Als aber seit der revidirten Städteordnung von 1831 die Bürgereigen¬
schaft diese Wirkung verlor, indem sie nur noch die active und passive
Wahlfähigkeit für die unbesoldeten Functionen in der Gemeindeverwaltung
in sich begriff, und als die modernen Verhältnisse einen öfteren Domicil-
wechsel für viele Personen zur Regel machten, da nahm das Bürgerrechtsgeld
schließlich den Charakter einer lästigen und hemmenden Abgabe an, welche
die Städte lediglich aus financiellen Gründen forterhoben, ohne daß die Be¬
troffenen eine materielle Gegenleistung erhielten, welche sie als Aequivalent


einander in verschiedenen preußischen Städten einen, wenn auch jedesmal
länger als ein Jahr dauernden, doch immerhin nur vorübergehenden Aufent¬
halt zu nehmen, wird in jeder Stadt für den Erwerb des Bürgerrechts von
Neuem Bürgerrechtsgeld zu zahlen haben.

Hiervon werden zahlreiche Classen von Personen hart betroffen, wie
die Beamten von Privateisenbahnen, Versicherungsgesellschaften, Jndustrie-
etablissements, Vermessungsbureaus, kaufmännischen Comptoiren und alle
Solche, die wegen ihrer Berufsverhältnisse das Dominik öfters wechseln und
wegen knapper Einnahmen durch das mehrmalige Zahlen von Bürgerrechts¬
geld unverhältnißmäßig belastet werden.

Zwar tritt die Verpflichtung zur Zahlung desselben immer erst nach
einem etwas längeren, als dem einjährigen Aufenthalt ein; dies vermindert
aber nicht, sondern vermehrt viel eher das Lästige. Auch ist es ein schlechter
Trost, daß bei fruchtloser Execution auf das Bürgerrechtsgeld nicht wie beim
Einzugsgeld Ausweisung, sondern nur Nichterwerb des Bürgerrechts eintritt.

Es erscheint hiernach das Forterheben des Bürgerrechtsgeldes als ein
Widerspruch mit dem Geiste der Bundesgesetzgebung, der um so stärker ist,
als dadurch der Freizügigkeit im engeren Heimathlande eine Fessel angelegt
wird. —

Aber auch abgesehen hiervon ist das Bürgerrechtsgeld eine nicht mehr
zeitgemäße und in mehrfacher Hinsicht drückende Abgabe.

Nach den Städteverfassungen der früheren Jahrhunderte war an die
Bürgereigenschaft das wichtige Recht geknüpft, städtischen Grundbesitz zu er«
werben und ausschließlich städtische Gewerbe zu betreiben. Diese Vorrechte
find den Bürgern noch durch das allgemeine Landrecht und die Städteord¬
nung von 1808 beigelegt. Es wurde von dem zum Bürger Gewordenen ein
besonderer Bürgereid geleistet, ihm ein besonderer Bürgerbrief ausgestellt und
die Bürger sahen mit einem gewissen Stolze auf die von Hausbesitz und
städtischem Gewerbebetrieb ausgeschlossenen Schutzverwandten herab. Danach
hatte das Bürgerrecht für den Einzelnen eine materielle Bedeutsamkeit und
es erschien Keinem drückend, für Erlangung eines so wichtigen Rechts eine
erhebliche Abgabe zu zahlen.

Als aber seit der revidirten Städteordnung von 1831 die Bürgereigen¬
schaft diese Wirkung verlor, indem sie nur noch die active und passive
Wahlfähigkeit für die unbesoldeten Functionen in der Gemeindeverwaltung
in sich begriff, und als die modernen Verhältnisse einen öfteren Domicil-
wechsel für viele Personen zur Regel machten, da nahm das Bürgerrechtsgeld
schließlich den Charakter einer lästigen und hemmenden Abgabe an, welche
die Städte lediglich aus financiellen Gründen forterhoben, ohne daß die Be¬
troffenen eine materielle Gegenleistung erhielten, welche sie als Aequivalent


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[0409] einander in verschiedenen preußischen Städten einen, wenn auch jedesmal länger als ein Jahr dauernden, doch immerhin nur vorübergehenden Aufent¬ halt zu nehmen, wird in jeder Stadt für den Erwerb des Bürgerrechts von Neuem Bürgerrechtsgeld zu zahlen haben. Hiervon werden zahlreiche Classen von Personen hart betroffen, wie die Beamten von Privateisenbahnen, Versicherungsgesellschaften, Jndustrie- etablissements, Vermessungsbureaus, kaufmännischen Comptoiren und alle Solche, die wegen ihrer Berufsverhältnisse das Dominik öfters wechseln und wegen knapper Einnahmen durch das mehrmalige Zahlen von Bürgerrechts¬ geld unverhältnißmäßig belastet werden. Zwar tritt die Verpflichtung zur Zahlung desselben immer erst nach einem etwas längeren, als dem einjährigen Aufenthalt ein; dies vermindert aber nicht, sondern vermehrt viel eher das Lästige. Auch ist es ein schlechter Trost, daß bei fruchtloser Execution auf das Bürgerrechtsgeld nicht wie beim Einzugsgeld Ausweisung, sondern nur Nichterwerb des Bürgerrechts eintritt. Es erscheint hiernach das Forterheben des Bürgerrechtsgeldes als ein Widerspruch mit dem Geiste der Bundesgesetzgebung, der um so stärker ist, als dadurch der Freizügigkeit im engeren Heimathlande eine Fessel angelegt wird. — Aber auch abgesehen hiervon ist das Bürgerrechtsgeld eine nicht mehr zeitgemäße und in mehrfacher Hinsicht drückende Abgabe. Nach den Städteverfassungen der früheren Jahrhunderte war an die Bürgereigenschaft das wichtige Recht geknüpft, städtischen Grundbesitz zu er« werben und ausschließlich städtische Gewerbe zu betreiben. Diese Vorrechte find den Bürgern noch durch das allgemeine Landrecht und die Städteord¬ nung von 1808 beigelegt. Es wurde von dem zum Bürger Gewordenen ein besonderer Bürgereid geleistet, ihm ein besonderer Bürgerbrief ausgestellt und die Bürger sahen mit einem gewissen Stolze auf die von Hausbesitz und städtischem Gewerbebetrieb ausgeschlossenen Schutzverwandten herab. Danach hatte das Bürgerrecht für den Einzelnen eine materielle Bedeutsamkeit und es erschien Keinem drückend, für Erlangung eines so wichtigen Rechts eine erhebliche Abgabe zu zahlen. Als aber seit der revidirten Städteordnung von 1831 die Bürgereigen¬ schaft diese Wirkung verlor, indem sie nur noch die active und passive Wahlfähigkeit für die unbesoldeten Functionen in der Gemeindeverwaltung in sich begriff, und als die modernen Verhältnisse einen öfteren Domicil- wechsel für viele Personen zur Regel machten, da nahm das Bürgerrechtsgeld schließlich den Charakter einer lästigen und hemmenden Abgabe an, welche die Städte lediglich aus financiellen Gründen forterhoben, ohne daß die Be¬ troffenen eine materielle Gegenleistung erhielten, welche sie als Aequivalent

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/409>, abgerufen am 18.05.2024.