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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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vor dem Helden und Verbindung Beider, dann Scipio und-Masinissa, d. h.
Reaction in der Seele des Helden, drittens Schlußwirkung und Katastrophe;
das aber ist in der That nur Umkehr und Schluß eines Drama, Act vier
und fünf. Alles was diese Momente unserer Empfindung tragisch machen
würde: Leidenschaft, Spannung, Schuld, Verhängniß fehlt dem Stoff und
bisher allen seinen Dramen. Dies Alles aber muß aus der früheren Geschichte
des Mafinissa und der Sophoniba genommen werden. Es ist gar nicht nöthig,
dafür viel zu erfinden; bei Livius steht Manches davon: wie Mafinissa gegen
die Grenzen des Syphax seine Raubzüge macht/ wie Hasdrubal mit der Tochter
den Gastfreund Syphax besucht u. s. w.

Der Dichter also, welcher die Aufgabe lockend findet, eine junge ver¬
führerische kluge Diplomatin von punischen Blut mit der heißen Leiden¬
schaft und Heldenkraft eines numidischen Häuplingö zu gesellen uno Beiden
dadurch ein tragisches Schicksal zu schaffen, welches die Heldin vernichtet, der
müßte Beiden doch zuerst unbefangenen Antheil gewinnen, indem er ihre
auflodernde Leidenschaft unter günstigen Verhältnissen darstellt, verschieden
temperirt nach ihrem Charakter, vielleicht so motivirt, daß Mafinissa die
Sophoniba und ihren Vater auf der Reise zu Syphax gefangen nimmt und
ritterlich beschützt. Und ferner im zweiten Act, daß der staatstluge und doppel¬
züngige Hasdrubal den Masinisfa täuscht, dazu die Tochter zum nichtwissenden
Werkzeug gebraucht, etwa durch den Vorwand, den Masinissa mit Syphax
auszusöhnen; dann im dritten Act daß Sophoniba dem Syphax wider ihrer
Seele Wunsch vermählt wird und Masinissa verrathen und in finsterer Leiden¬
schaft sich aus Cirta in das Lager des Scipio rettet und den Römern zuschwört.
Ferner im vierten Act, daß Masinissa seine Rache an Syphax in der Schlacht
nimmt und wieder der Sophoniba gegenüber tritt, in welcher jetzt auch das
heiße Gefühl überwindet, und daß Beide dem Verhängniß verfallen, welches
ihnen die Vergangenheit bereitet, er, weil er ein Parteigänger Roms ge¬
worden, sie, weil sie den Geliebten zu den Römern gescheucht hatte.

Ob auf solcher oder ähnlicher Grundlage ein gutes und wirksames Stück
aufzubauen wäre, das würde unter Anderem davon abhängen, ob es dem
Dichter gelänge, die Handlung in wenigen Personen und großen Situationen
zusammenzuschließen, und ob er im Stande wäre, die Charaktere der beiden
Helden durch reiches charakteristisches Detail lebendig zu machen.

Bequemer ist der Stoff freilich für die große Oper.


G. F.


vor dem Helden und Verbindung Beider, dann Scipio und-Masinissa, d. h.
Reaction in der Seele des Helden, drittens Schlußwirkung und Katastrophe;
das aber ist in der That nur Umkehr und Schluß eines Drama, Act vier
und fünf. Alles was diese Momente unserer Empfindung tragisch machen
würde: Leidenschaft, Spannung, Schuld, Verhängniß fehlt dem Stoff und
bisher allen seinen Dramen. Dies Alles aber muß aus der früheren Geschichte
des Mafinissa und der Sophoniba genommen werden. Es ist gar nicht nöthig,
dafür viel zu erfinden; bei Livius steht Manches davon: wie Mafinissa gegen
die Grenzen des Syphax seine Raubzüge macht/ wie Hasdrubal mit der Tochter
den Gastfreund Syphax besucht u. s. w.

Der Dichter also, welcher die Aufgabe lockend findet, eine junge ver¬
führerische kluge Diplomatin von punischen Blut mit der heißen Leiden¬
schaft und Heldenkraft eines numidischen Häuplingö zu gesellen uno Beiden
dadurch ein tragisches Schicksal zu schaffen, welches die Heldin vernichtet, der
müßte Beiden doch zuerst unbefangenen Antheil gewinnen, indem er ihre
auflodernde Leidenschaft unter günstigen Verhältnissen darstellt, verschieden
temperirt nach ihrem Charakter, vielleicht so motivirt, daß Mafinissa die
Sophoniba und ihren Vater auf der Reise zu Syphax gefangen nimmt und
ritterlich beschützt. Und ferner im zweiten Act, daß der staatstluge und doppel¬
züngige Hasdrubal den Masinisfa täuscht, dazu die Tochter zum nichtwissenden
Werkzeug gebraucht, etwa durch den Vorwand, den Masinissa mit Syphax
auszusöhnen; dann im dritten Act daß Sophoniba dem Syphax wider ihrer
Seele Wunsch vermählt wird und Masinissa verrathen und in finsterer Leiden¬
schaft sich aus Cirta in das Lager des Scipio rettet und den Römern zuschwört.
Ferner im vierten Act, daß Masinissa seine Rache an Syphax in der Schlacht
nimmt und wieder der Sophoniba gegenüber tritt, in welcher jetzt auch das
heiße Gefühl überwindet, und daß Beide dem Verhängniß verfallen, welches
ihnen die Vergangenheit bereitet, er, weil er ein Parteigänger Roms ge¬
worden, sie, weil sie den Geliebten zu den Römern gescheucht hatte.

Ob auf solcher oder ähnlicher Grundlage ein gutes und wirksames Stück
aufzubauen wäre, das würde unter Anderem davon abhängen, ob es dem
Dichter gelänge, die Handlung in wenigen Personen und großen Situationen
zusammenzuschließen, und ob er im Stande wäre, die Charaktere der beiden
Helden durch reiches charakteristisches Detail lebendig zu machen.

Bequemer ist der Stoff freilich für die große Oper.


G. F.


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[0180] vor dem Helden und Verbindung Beider, dann Scipio und-Masinissa, d. h. Reaction in der Seele des Helden, drittens Schlußwirkung und Katastrophe; das aber ist in der That nur Umkehr und Schluß eines Drama, Act vier und fünf. Alles was diese Momente unserer Empfindung tragisch machen würde: Leidenschaft, Spannung, Schuld, Verhängniß fehlt dem Stoff und bisher allen seinen Dramen. Dies Alles aber muß aus der früheren Geschichte des Mafinissa und der Sophoniba genommen werden. Es ist gar nicht nöthig, dafür viel zu erfinden; bei Livius steht Manches davon: wie Mafinissa gegen die Grenzen des Syphax seine Raubzüge macht/ wie Hasdrubal mit der Tochter den Gastfreund Syphax besucht u. s. w. Der Dichter also, welcher die Aufgabe lockend findet, eine junge ver¬ führerische kluge Diplomatin von punischen Blut mit der heißen Leiden¬ schaft und Heldenkraft eines numidischen Häuplingö zu gesellen uno Beiden dadurch ein tragisches Schicksal zu schaffen, welches die Heldin vernichtet, der müßte Beiden doch zuerst unbefangenen Antheil gewinnen, indem er ihre auflodernde Leidenschaft unter günstigen Verhältnissen darstellt, verschieden temperirt nach ihrem Charakter, vielleicht so motivirt, daß Mafinissa die Sophoniba und ihren Vater auf der Reise zu Syphax gefangen nimmt und ritterlich beschützt. Und ferner im zweiten Act, daß der staatstluge und doppel¬ züngige Hasdrubal den Masinisfa täuscht, dazu die Tochter zum nichtwissenden Werkzeug gebraucht, etwa durch den Vorwand, den Masinissa mit Syphax auszusöhnen; dann im dritten Act daß Sophoniba dem Syphax wider ihrer Seele Wunsch vermählt wird und Masinissa verrathen und in finsterer Leiden¬ schaft sich aus Cirta in das Lager des Scipio rettet und den Römern zuschwört. Ferner im vierten Act, daß Masinissa seine Rache an Syphax in der Schlacht nimmt und wieder der Sophoniba gegenüber tritt, in welcher jetzt auch das heiße Gefühl überwindet, und daß Beide dem Verhängniß verfallen, welches ihnen die Vergangenheit bereitet, er, weil er ein Parteigänger Roms ge¬ worden, sie, weil sie den Geliebten zu den Römern gescheucht hatte. Ob auf solcher oder ähnlicher Grundlage ein gutes und wirksames Stück aufzubauen wäre, das würde unter Anderem davon abhängen, ob es dem Dichter gelänge, die Handlung in wenigen Personen und großen Situationen zusammenzuschließen, und ob er im Stande wäre, die Charaktere der beiden Helden durch reiches charakteristisches Detail lebendig zu machen. Bequemer ist der Stoff freilich für die große Oper. G. F.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/180>, abgerufen am 22.05.2024.